Hunde als Sinnbild des Menschen
Der Iran hat zwei Künstlerinnen zur Biennale nach Venedig geschickt. Eine von ihnen ist Bita Fayyazi, die für ihre Installationen und Performances bekannt ist. Fotos von ihrem Projekt "Road kill" mit sterbenden Hunden kann man derzeit in Leuchtboxen in einer Berliner Galerie betrachten.
Langgestreckt liegt da Spielzeug? – oder doch eher eine edle Gestalt, der alles Hündische ausgetrieben scheint. Auf anderen Bildern sind es Gruppen, die wie Geister in der Landschaft lauern oder versehrte fragile bemitleidenswerte Kreaturen, denen Gewalt angetan wurde. "Road Kill" steckt voller Assoziationsmöglichkeiten.
Die iranische Künstlerin Bita Fayyazi hat 200 lebensgroße Hundegestalten geformt, anatomisch korrekt zu Beginn, dann immer abstraktere, verletzte Massen, deutlich gezeichnet von Spuren der Gewalt, Verwahrlosung und Vernachlässigung – Hundekadaver: Freiwild auf den Straßen, Inbegriff des Verachteten. Hunde sind in der islamischen Kultur das Letzte, Stellvertreter des Satans und damit bedrohliche Gegenwart des Bösen.
"Es geht nicht um Hunde, sondern handelt nur von uns Menschen", sagt Bita Fayyazi und zwingt den Betrachter, einen Blick auf den vernachlässigten Teil der eigenen Kultur zu werfen, auf Ausschluss und Gewalt, Rohheit und Neugier oder Ekel und Mitleid. In ganz direkten Aktionen oder Performances entsteht diese Konfrontation – etwa wenn sie die Tonskulpturen weit außerhalb Teherans auf einer Straße aufreiht. Zwei Männer halten ihr Motorrad an und betrachten die befremdliche Assemblage:
" Ich mag es, wenn ganz normale Leute und nicht irgendwelche Eliten meine Arbeiten sehen. Ich hatte Glück, dass diese Menschen dabei waren, denn das ist befriedigender. Ich arbeite deshalb hauptsächlich im öffentlichen Raum und nicht in privaten Galerien. Das ist eher selten, denn ich brauche den Kontakt zum Alltäglichen. Diese beiden Männer würden wahrscheinlich nie eine Galerie betreten. Fast wie ein Diktator habe ich sie mit diesem Anblick konfrontiert und für sie war es bestimmt seltsam, was sie da sahen. Das trainiert die Wahrnehmung, wenn Kunst in anderen, neuen Zusammenhängen auftaucht. Die Sensibilisierung für die Umgebung war mir wichtig bei dem Projekt. "
Es bleiben lediglich Filme und Fotos von einer solchen Aktion. Eine Auswahl davon zeigt die Berliner Ausstellung; Fotos in Leuchtkästen, doppelt belichtet gewissermaßen, weil man sie von beiden Seiten sehen kann. Nach einem Jahr fand das Projekt seinen endgültigen Abschluss in einem "Gnadenakt", indem die Künstlerin schließlich ihre Objekte oder Skulpturen begraben hat – in Massengräbern, auf denen mittlerweile ein Hochhaus entsteht und ein Krankenhaus gebaut wird.
Interessanterweise scheint das Foto von einer "Bergung" zu erzählen, nicht von "Entsorgung", von einer archäologischen Grabung mit Terracotta-Funden, von etwas ganz "Wertvollem" also. Die Geschichte entsteht im Kopf des Betrachters – in Ausstellungen in England, Dänemark, im Libanon, in Südafrika oder Indien – und derzeit auch im iranischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. "Kismet" oder Fatum beziehungsweise Schicksal heißt die Installation aus überlebensgroßen Alluminiumskulpturen von Neugeborenen mit Abwehrgesten. Bita Fayyazi hat viel Zeit in der Fondatione Levi verbracht in den letzten Wochen:
" Da ich meine Arbeit als Work in Progress verstehe, muss ich anwesend sein und mit dem Publikum sprechen, die physische Präsenz und den Augenausdruck spüren. Im Gespräch überlegt man, neue Dinge tauchen auf. So ergaben sich unterschiedliche Stadien oder Schritte, denn hin und wieder kamen Besucher auf mich zu und hatten Vorschläge, dieses oder jenes anders zu gestalten. Also habe ich das so arrangiert für einen Tag, am nächsten Tag wieder rückgängig gemacht oder ein wenig verändert zu Kismet Nummer 2, 3 und so weiter bis ich zuletzt eine Performance in den Räumen machte, ohne Publikum – und das war Kismet Nummer 6. Da ich nicht gerne einen Schlusspunkt setze, entspricht mir diese Work-in-Progress-Idee sehr. Die Arbeit soll sich, wie mein Leben auch – auf und ab bewegen. Auch wenn das nicht immer Erfolg verspricht, so ist das Leben. "
Venedigs Biennale gilt als das große Kunstereignis. Und da erstaunt es, dass die islamische Republik in diesem Jahr zwei Künstlerinnen als Vertretung des Landes geschickt hat. Doch Bita Fayyazi rückt die Dinge zurecht:
" Wir haben mehr weibliche als männliche Künstler im Iran. Warum, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wir haben auch einen größeren Prozentsatz an weiblichen Studierenden in den Hochschulen als etwa in England. Da ist wirklich etwas passiert – wie überall auf der Welt. Die Frauen entwickeln Aktivitäten, wollen zeigen, was sie zu bieten haben. "
Für Bita Fayyazi ergaben sich bisher keine Schwierigkeiten mit Genehmigungen oder Zensur, denn in einer Kultur, die das Bild traditionell vernachlässigt hat, gilt die größere Wachsamkeit der Aufsichtsbehörden dem Wort und damit dem Gedruckten. Für die visuellen Künste scheinen die Grenzen viel weniger eng.
" Ich hatte nie irgendwelche Probleme mit der Zensur. Das Einzige, was wirklich nicht erlaubt ist in der Kunst und was problematisch wäre, das heißt die Zensur auf den Plan rufen würde: Das ist Nacktheit. Als künstlerischer Ausdruck ist sie einfach nicht erlaubt. Alles andere geht. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich da auch nicht wirklich etwas dagegen habe. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich auszudrücken, während Nacktheit alles sagt, direkt und ohne Umwege. Ich allerdings mag Umwege, Zwischentöne, Verwirrungen, falsche Fährten und Mehrdeutigkeiten. Das fordert meine eigene Phantasie heraus und die der Zuschauer. Wer hinschaut, soll sich Fragen stellen – mich eingeschlossen. Es muss ein Geheimnis geben, Labyrinthe, durch die Geschichten vielfältig werden, sich erschließen oder auch nicht."
Ihr Leben jedoch kann die 42-jährige Künstlerin, die ihre Gymnasialzeit in England verbracht hat, nicht durch die Kunst finanzieren. Weder ist der Kunstmarkt an Installationen und Performances interessiert und noch gibt es etablierte Förderstrukturen. Wäre da nicht das Museum für zeitgenössische Kunst mit seiner beeindruckenden Sammlung von Monet bis Picasso, van Gogh und Paul Klee, Francis Bacon und Roy Lichtenstein, Edward Hopper und Mark Rothko.
" Wir haben keine Stipendien oder andere Institutionen, die Künstler fördern. Das Einzige, worauf wir uns in den letzten sieben bis acht Jahren verlassen konnten, war das Museum für zeitgenössische Kunst mit seinem Direktor Sami Azar. Es wurde zu einem Mekka, weil er ein echter Kunstliebhaber ist und viel für uns – innerhalb und außerhalb des Irans – getan hat. Aber wie das jetzt weitergehen wird nach den Präsidentschaftswahlen und den Veränderungen, die in der neuen Regierung zu erwarten sind, ist ungewiss. Wir wissen noch nicht, wohin das führen wird. "
Nicht nur die Künstlerinnen und Künstler im Iran befinden sich in einer Art Wartestand. So unterstreicht die iranische Publizistin Haleh Anvari, dass die dem Links-rechts-Schema entlehnten Kategorien von konservativ und reformerisch im Iran nicht hilfreich seien. Vielen Interpretationen zum Trotz handele es sich durchaus um eine Protestwahl, weil günstigenfalls die extrem gewachsene Kluft zwischen reich und arm nun endlich ausgeglichen werde.
Bita Fayyazi, die von sich sagt, sie habe gelernt, nicht pessimistisch zu sein, versucht dieses Gefühl auch auf die Wahl von Ahmadineschad zu übertragen:
" Es scheint keine Alternative gegeben zu haben und er sagt eine Menge guter Dinge, vor allem für diejenigen, die schlechter gestellt sind und wenig verdienen. Für sie hatte er Versprechungen, und wenn er sie umsetzt, könnten viele Menschen glücklicher sein. Die wachsende Armut ist allerdings nichts Spezifisches in unserem Land. Wo ist denn die ökonomische Situation gesund und ausbalanciert? Es scheint durchaus möglich, dass er uns alle überraschen wird und anders handelt, als die meisten erwarten – auch wenn ich über ihn als Person nicht viel sagen kann."
Service:
"Amazones" heißt eine dreiteilige Ausstellung mit iranischen Künstlerinnen in Berlin. Von 19. Juli bis 31. August 2005 ist in der Rebell Minds Gallery der Zyklus "Road Kill" von Bita Fayyazi zu sehen sein. Derzeit ist die Künstlerin auch bei der 51. Biennale in Venedig mit einer Installation vertreten.
Die iranische Künstlerin Bita Fayyazi hat 200 lebensgroße Hundegestalten geformt, anatomisch korrekt zu Beginn, dann immer abstraktere, verletzte Massen, deutlich gezeichnet von Spuren der Gewalt, Verwahrlosung und Vernachlässigung – Hundekadaver: Freiwild auf den Straßen, Inbegriff des Verachteten. Hunde sind in der islamischen Kultur das Letzte, Stellvertreter des Satans und damit bedrohliche Gegenwart des Bösen.
"Es geht nicht um Hunde, sondern handelt nur von uns Menschen", sagt Bita Fayyazi und zwingt den Betrachter, einen Blick auf den vernachlässigten Teil der eigenen Kultur zu werfen, auf Ausschluss und Gewalt, Rohheit und Neugier oder Ekel und Mitleid. In ganz direkten Aktionen oder Performances entsteht diese Konfrontation – etwa wenn sie die Tonskulpturen weit außerhalb Teherans auf einer Straße aufreiht. Zwei Männer halten ihr Motorrad an und betrachten die befremdliche Assemblage:
" Ich mag es, wenn ganz normale Leute und nicht irgendwelche Eliten meine Arbeiten sehen. Ich hatte Glück, dass diese Menschen dabei waren, denn das ist befriedigender. Ich arbeite deshalb hauptsächlich im öffentlichen Raum und nicht in privaten Galerien. Das ist eher selten, denn ich brauche den Kontakt zum Alltäglichen. Diese beiden Männer würden wahrscheinlich nie eine Galerie betreten. Fast wie ein Diktator habe ich sie mit diesem Anblick konfrontiert und für sie war es bestimmt seltsam, was sie da sahen. Das trainiert die Wahrnehmung, wenn Kunst in anderen, neuen Zusammenhängen auftaucht. Die Sensibilisierung für die Umgebung war mir wichtig bei dem Projekt. "
Es bleiben lediglich Filme und Fotos von einer solchen Aktion. Eine Auswahl davon zeigt die Berliner Ausstellung; Fotos in Leuchtkästen, doppelt belichtet gewissermaßen, weil man sie von beiden Seiten sehen kann. Nach einem Jahr fand das Projekt seinen endgültigen Abschluss in einem "Gnadenakt", indem die Künstlerin schließlich ihre Objekte oder Skulpturen begraben hat – in Massengräbern, auf denen mittlerweile ein Hochhaus entsteht und ein Krankenhaus gebaut wird.
Interessanterweise scheint das Foto von einer "Bergung" zu erzählen, nicht von "Entsorgung", von einer archäologischen Grabung mit Terracotta-Funden, von etwas ganz "Wertvollem" also. Die Geschichte entsteht im Kopf des Betrachters – in Ausstellungen in England, Dänemark, im Libanon, in Südafrika oder Indien – und derzeit auch im iranischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. "Kismet" oder Fatum beziehungsweise Schicksal heißt die Installation aus überlebensgroßen Alluminiumskulpturen von Neugeborenen mit Abwehrgesten. Bita Fayyazi hat viel Zeit in der Fondatione Levi verbracht in den letzten Wochen:
" Da ich meine Arbeit als Work in Progress verstehe, muss ich anwesend sein und mit dem Publikum sprechen, die physische Präsenz und den Augenausdruck spüren. Im Gespräch überlegt man, neue Dinge tauchen auf. So ergaben sich unterschiedliche Stadien oder Schritte, denn hin und wieder kamen Besucher auf mich zu und hatten Vorschläge, dieses oder jenes anders zu gestalten. Also habe ich das so arrangiert für einen Tag, am nächsten Tag wieder rückgängig gemacht oder ein wenig verändert zu Kismet Nummer 2, 3 und so weiter bis ich zuletzt eine Performance in den Räumen machte, ohne Publikum – und das war Kismet Nummer 6. Da ich nicht gerne einen Schlusspunkt setze, entspricht mir diese Work-in-Progress-Idee sehr. Die Arbeit soll sich, wie mein Leben auch – auf und ab bewegen. Auch wenn das nicht immer Erfolg verspricht, so ist das Leben. "
Venedigs Biennale gilt als das große Kunstereignis. Und da erstaunt es, dass die islamische Republik in diesem Jahr zwei Künstlerinnen als Vertretung des Landes geschickt hat. Doch Bita Fayyazi rückt die Dinge zurecht:
" Wir haben mehr weibliche als männliche Künstler im Iran. Warum, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wir haben auch einen größeren Prozentsatz an weiblichen Studierenden in den Hochschulen als etwa in England. Da ist wirklich etwas passiert – wie überall auf der Welt. Die Frauen entwickeln Aktivitäten, wollen zeigen, was sie zu bieten haben. "
Für Bita Fayyazi ergaben sich bisher keine Schwierigkeiten mit Genehmigungen oder Zensur, denn in einer Kultur, die das Bild traditionell vernachlässigt hat, gilt die größere Wachsamkeit der Aufsichtsbehörden dem Wort und damit dem Gedruckten. Für die visuellen Künste scheinen die Grenzen viel weniger eng.
" Ich hatte nie irgendwelche Probleme mit der Zensur. Das Einzige, was wirklich nicht erlaubt ist in der Kunst und was problematisch wäre, das heißt die Zensur auf den Plan rufen würde: Das ist Nacktheit. Als künstlerischer Ausdruck ist sie einfach nicht erlaubt. Alles andere geht. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich da auch nicht wirklich etwas dagegen habe. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich auszudrücken, während Nacktheit alles sagt, direkt und ohne Umwege. Ich allerdings mag Umwege, Zwischentöne, Verwirrungen, falsche Fährten und Mehrdeutigkeiten. Das fordert meine eigene Phantasie heraus und die der Zuschauer. Wer hinschaut, soll sich Fragen stellen – mich eingeschlossen. Es muss ein Geheimnis geben, Labyrinthe, durch die Geschichten vielfältig werden, sich erschließen oder auch nicht."
Ihr Leben jedoch kann die 42-jährige Künstlerin, die ihre Gymnasialzeit in England verbracht hat, nicht durch die Kunst finanzieren. Weder ist der Kunstmarkt an Installationen und Performances interessiert und noch gibt es etablierte Förderstrukturen. Wäre da nicht das Museum für zeitgenössische Kunst mit seiner beeindruckenden Sammlung von Monet bis Picasso, van Gogh und Paul Klee, Francis Bacon und Roy Lichtenstein, Edward Hopper und Mark Rothko.
" Wir haben keine Stipendien oder andere Institutionen, die Künstler fördern. Das Einzige, worauf wir uns in den letzten sieben bis acht Jahren verlassen konnten, war das Museum für zeitgenössische Kunst mit seinem Direktor Sami Azar. Es wurde zu einem Mekka, weil er ein echter Kunstliebhaber ist und viel für uns – innerhalb und außerhalb des Irans – getan hat. Aber wie das jetzt weitergehen wird nach den Präsidentschaftswahlen und den Veränderungen, die in der neuen Regierung zu erwarten sind, ist ungewiss. Wir wissen noch nicht, wohin das führen wird. "
Nicht nur die Künstlerinnen und Künstler im Iran befinden sich in einer Art Wartestand. So unterstreicht die iranische Publizistin Haleh Anvari, dass die dem Links-rechts-Schema entlehnten Kategorien von konservativ und reformerisch im Iran nicht hilfreich seien. Vielen Interpretationen zum Trotz handele es sich durchaus um eine Protestwahl, weil günstigenfalls die extrem gewachsene Kluft zwischen reich und arm nun endlich ausgeglichen werde.
Bita Fayyazi, die von sich sagt, sie habe gelernt, nicht pessimistisch zu sein, versucht dieses Gefühl auch auf die Wahl von Ahmadineschad zu übertragen:
" Es scheint keine Alternative gegeben zu haben und er sagt eine Menge guter Dinge, vor allem für diejenigen, die schlechter gestellt sind und wenig verdienen. Für sie hatte er Versprechungen, und wenn er sie umsetzt, könnten viele Menschen glücklicher sein. Die wachsende Armut ist allerdings nichts Spezifisches in unserem Land. Wo ist denn die ökonomische Situation gesund und ausbalanciert? Es scheint durchaus möglich, dass er uns alle überraschen wird und anders handelt, als die meisten erwarten – auch wenn ich über ihn als Person nicht viel sagen kann."
Service:
"Amazones" heißt eine dreiteilige Ausstellung mit iranischen Künstlerinnen in Berlin. Von 19. Juli bis 31. August 2005 ist in der Rebell Minds Gallery der Zyklus "Road Kill" von Bita Fayyazi zu sehen sein. Derzeit ist die Künstlerin auch bei der 51. Biennale in Venedig mit einer Installation vertreten.