Hüfner sieht Spaltung der Unesco

Klaus Hüfner im Gespräch mit Katrin Heise · 23.09.2009
Nach der knappen Wahl der Bulgarin Irina Bokova als neue Unesco-Generaldirektorin geht Klaus Hüfner von der Deutschen Unesco-Kommission von einer Spaltung der UN-Organisation aus.
Katrin Heise: Irina Bokova wird wohl Nachfolgerin des Japaners Koichiro Matsuura als Unesco-Generaldirektorin. Das war wirklich eine beschwerliche Entscheidungsfindung des Unesco-Exekutivrates. Am Ende standen zur Auswahl: der ägyptische Kulturminister Faruk Hosni und die bulgarische Diplomatin Irina Bokova. Hosni war der Kandidat der arabischen und afrikanischen Länder, Widerstand gegen ihn formierte sich wegen antisemitischer Äußerungen. Durchgesetzt in einer Stichwahl hat sich also dann die Bulgarin. Die Generalkonferenz muss Mitte Oktober das Ganze noch bestätigen. Im Studio ist jetzt bei mir Professor Dr. Klaus Hüfner, er ist von der Deutschen Unesco-Kommission und als Adviser to the Government bei allen Wahlgängen dabei gewesen. Ich begrüße Sie recht herzlich, guten Tag, Herr Hüfner!

Klaus Hüfner: Guten Morgen!

Heise: Einen solchen Posten am Ende per Stichwahl nach vier ergebnislosen Wahlgängen zu besetzen – das klingt nach einem ziemlich harten Kampf hinter den Kulissen. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Hüfner: Ja, ohne Zweifel war es diesmal ein sehr komplexer Wahlvorgang, denn schließlich hatten wir neun Kandidaten, und es wurde dann schrittweise einfacher, weil einige Kandidaten dann – mit den geringsten Stimmenzahlen – aufgaben. Und zum Schluss hatten wir dann eben nur noch Herrn Hosni aus Ägypten und Frau Bokova aus Bulgarien, wobei der vorletzte Wahlgang 29 zu 29 endete, also unentschieden. Und jetzt traten enorme Befürchtungen auf: Wenn es beim fünften und letzten Wahlgang wieder zu einem Unentschieden käme oder gekommen wäre, dann hätte das Los entscheiden müssen. Und das war eigentlich eine unglaubliche Situation, die eigentlich niemand wollte, denn man war sich darüber im Klaren: Da kann sich die Unesco nur blamieren.

Heise: So haben sich dann noch zwei Länder umentschieden, aber hat sich die Unesco nicht trotzdem in eine ziemlich schwierige Situation gebracht? Was heißt so eine knappe Wahlentscheidung für das Standing, für die Autorität der Generaldirektorin?

Hüfner: Sie haben völlig recht, die Organisation ist eigentlich gespalten in zwei Lager, aber es ist nicht dazu gekommen, dass hier ein Nord-Süd-Konflikt ausgetragen wurde. Es hatte sich ja auch deutlich herumgesprochen, dass zum Beispiel die EU keinen gemeinsamen Kandidaten hatte aus mehreren Gründen. Der eine Grund bestand darin, dass es ja zwei Kandidatinnen aus dem zweiten Block, also Osteuropa, gab, während die Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten noch aus Westeuropa, also der Gruppe eins, kommt. Die Gruppen sind also noch anders aufgeteilt in der Unesco. Und das gab schon Schwierigkeiten für die EU, und dann gab es noch mal Schwierigkeiten, dass es unter den größeren, man könnte fast sagen Gründungsmitgliedern der EU, enorme Meinungsverschiedenheiten gab, nämlich, dass die Mediterranean States, also die Mittelmeeranrainerstaaten, doch schon eine sehr enge Kooperation mit Ägypten hatten und deswegen man davon ausgehen kann, dass Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien für den arabischen Kandidaten gestimmt haben.

Heise: Also das klingt mir nach ziemlich viel Gezerre, ziemlich viel Durcheinander, wenig Miteinander, das heißt ja für Frau Irina Bokova, dass sie doch eine sehr integrative Rolle jetzt spielen muss. Was ist sie eigentlich für eine Persönlichkeit?

Hüfner: Die muss sie auf jeden Fall … Zunächst mal: Zum ersten Mal haben wir eine Frau an der Spitze der Organisation, und das war auch ein Argument, das wurde von vielen Mitgliedsstaaten vorgetragen: Wir möchten endlich mal eine Frau haben. Und zum Zweiten: Sie tritt nicht laut auf, sie ist eine sehr zurückhaltende Erscheinung, aber politisch äußerst engagiert. Also beispielsweise hat sie bei ihrer Vorstellung noch mal betont, dass sie in den letzten acht Monaten 45 Staaten besucht hat, also sie hat sehr versucht, persönliche Kontakte aufzunehmen. Und sie ist eine engagierte Außenpolitikerin mit viel Erfahrung, wobei auch da wieder einige kritische Stimmen sagten, dass sie ja in der Geschichte Bulgariens auch schon sehr aktiv war zu Zeiten des Ost-West-Konflikts. Aber wenn man sich ihre Erfahrungen in den letzten 20 Jahren ansieht, dann wird man feststellen, dass sie sehr stark mit Westeuropa jetzt verankert ist und sich sehr engagiert hat für die Integration Bulgariens innerhalb der westeuropäischen Welt.

Heise: Sie hatten vorhin gesagt, Sie sehen keine Nord-Süd-Spaltung, sondern eher so insgesamt unterschiedliche Ambitionen, die da irgendwie vorherrschten. Wie schätzen Sie denn jetzt die Reaktion der arabischen Länder eigentlich ein, denn Hosni war ja ihr Kandidat, und ich habe mal von so ungeschriebenen Unesco-Regeln gehört, dass eigentlich die arabischen Länder auch dran gewesen wären?

Hüfner: Ja, dieses ungeschriebene Gesetz spricht von einer Rotation und dass jede Region einmal einen Kandidaten stellen konnte, aber da hatte Frau Bokova auch ein Plus, das sie direkt gar nicht ausgespielt hat: Es gab bisher keinen einzigen Generaldirektor aus der Gruppe zwei, Osteuropa. Also, insofern ist da auch ein gewisser Gerechtigkeitssinn Realität geworden.

Heise: Irina Bokova soll also neue Unesco-Generaldirektorin werden, so das Votum des Exekutivrates, und darum geht es im Gespräch mit Klaus Hüfner, er ist Mitglied in der Deutschen Kommission der Unesco, er war 2002 Präsident der Deutschen Unesco-Kommission. Herr Hüfner, wenn wir jetzt uns mal die Aufgaben anschauen, die da auf Frau Bokova warten – Sie haben ja gesagt, sie ist eine eher stille Diplomatin, die sehr viel im Hintergrund schon gearbeitet hat –, die Aufgaben sind groß, ich habe das schon auch so ein bisschen angedeutet, also von der Tsunami-Frühwarnung bis zur Aids-Aufklärung und Bildung weltweit. Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass die Unesco sich da so ein bisschen verzettelt mit dem, was da jetzt alles im Programm steht?

Hüfner: Das ist ohne Zweifel das größte Problem der Organisation. Sie haben das ja schon im Einzelnen geschildert, da gehört auch noch der Sport dazu, das Bibliothekswesen, et cetera, et cetera. Und ich hab die Organisation und die Arbeit der Organisation in den letzten 30 Jahren verfolgt und musste feststellen, dass jeder Generaldirektor immer wieder davon sprach, dass man also Prioritäten setzen muss, dass die Kräfte angesichts des sehr bescheidenen Budgets konzentriert werden müssen. Aber die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten divergieren so stark, dass es dann zu Kompromissen kommt, und dann wird hier ein kleines Institut gegründet und dort ein kleines. Es fehlt sozusagen der Mut, mit einem Programm anzutreten, das von vornherein sagt, welche Prioritäten von dieser Organisation bewältigt werden sollen.

Heise: Sehen Sie das bei Frau Bokova, dieses Programm, diesen Mut?

Hüfner: Ich glaube nicht, dass sie das schaffen wird, es sei denn, sie ist in der Lage, eine Persönlichkeit als Stellvertreter zu gewinnen, die mit dieser Aufgabe betraut wird, wobei es also nicht nur darum geht, innerhalb der Organisation Prioritäten zu setzen, sondern auch zwischen der Unesco und den anderen Sonderorganisationen und den Vereinten Nationen selbst. Denn es überlappen sich jetzt eine Reihe von Problemen – wenn sie jetzt etwa an das aktuelle Problem des Klimagipfels denken, wo Ban Ki-Moon als Generalsekretär der Vereinten Nationen nun das Heft in die Hand genommen hat, aber eben eine Vielzahl von Organisationen, Institutionen innerhalb des UN-Systems sich auch mit dieser Fragestellung beschäftigen.

Heise: Außerdem müsste sie noch mehr Finanzen irgendwie noch akquirieren, denn da sind die Länder ja auch zum Teil sehr zurückhaltend.

Hüfner: Ja, sie kommt aus einem sehr armen Land, und im Unterschied zu ihrem Vorgänger, der aus Japan kam, kann man nicht damit rechnen, dass bulgarische Stiftungen eine Vielzahl von Geldern der Organisation – mit welchen Bedingungen auch immer – zur Verfügung stellen werden. Der Anteil Bulgariens am Haushalt liegt bei, ich glaube, so 0,02 Prozent. Das ist also sehr bescheiden, schon wenn man an den ordentlichen Haushalt denkt. Da muss sie sehr viel Mut aufbringen und auch sehr viel diplomatisches Geschick, um vor allem im Rahmen der EU, der Europäischen Union mehr Gelder auf freiwilliger Basis für die Organisation zu gewinnen.

Heise: Wir haben ja jetzt schon einen ganz guten Eindruck gewonnen, wie unterschiedlich die Interessen der ganzen vielen Länder sind, die da vertreten sind, 193 Länder sind in der Unesco. Die haben auch ein sehr unterschiedliches Kulturverständnis. Da gibt es auf der einen Seite die, die das Kulturleben von Staatsseite her eher kontrollieren und lenken, das waren ja jetzt auch die Argumente gegen Herrn Hosni, es gibt die anderen, die meinen, dass … Kultur sollte sich gerade über Autoritäten hinwegsetzen. Da prallen ja auch Welten aufeinander. Sollte es da eigentlich mal eine Einigung geben in der Unesco, einen Kulturbegriff, oder sollte man vielleicht auf Dissens setzen?

Hüfner: Auf keinen Fall einen Kulturbegriff, also, ich bin ein großer Anhänger der Vielfalt der Kulturen, denn dadurch wird überhaupt Reichtum geschaffen. Wenn wir gerade die Entwicklung der unterschiedlichen Kulturen unter höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen, rein historisch, sehen, so wäre es vermessen, heute zu versuchen, im Zeitalter der Globalisierung alles über einen doch eher primitiven Kulturbegriff dann zu organisieren. Also, da wird die Vielfalt der Kulturen weiterhin in der Unesco eine große Rolle spielen. Wichtig ist es aber, dass ein ständiger Dialog hergestellt wird, dass nicht es zu einem Kampf der Kulturen kommt. Und da hat Frau Bokova gleich in ihrer Antrittsrede gesagt, da wird sie sich engagieren, das darf es auf keinen Fall geben.

Heise: Also, da liegen die Hoffnungen doch sehr bei ihr. Klaus Hüfner, seit 1971 Mitglied der Deutschen Unesco-Kommission, vier Jahre lang ihr Präsident, und er war gestern bei der Wahl im Exekutivrat dabei. Irina Bokova wird als nächste Unesco-Generaldirektorin vorgeschlagen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch, Herr Hüfner!

Hüfner: Auf Wiederhören!