Hrant Dink – die Stimme der "Unsichtbaren"

Von Ellen Rudnitzki · 20.01.2007
Am 19. Januar wird der armenische Journalist Hrank Dink vor dem Gebäude, seiner Zeitschrift in Istanbul auf offener Straße erschossen. Hrant Dink war wohl der bekannteste armenische Journalist in der Türkei. Für seinen Einsatz für Pressefreiheit erhielt er im Mai 2006 den Henri-Nannen-Preis. Damit verlieren die Armenier in der Türkei und auch außerhalb der Türkei einen Mann der sich allen Anfeindungen zum Trotz immer um Ausgleich bemüht hat.
Hrant Dink: "Mein tägliches Leben wird natürlich durch meine Arbeit beeinflusst, diese vielen Anklagen, Beschuldigungen, immer wieder der Versuch mich als Feind darzustellen, als Feind der Türken, das macht mich traurig."

Ein Feind der Türken wollte der armenische Herausgeber der Zeitschrift "Agos" auf keinen Fall sein. Gerade deshalb ließ Hrant Dink seine Zeitschrift nicht nur in armenischer, sondern auch in türkischer Sprache erscheinen. Jeder sollte sie lesen können. Agos sollte Vermittlerin sein, damit die Probleme der armenischen Minderheit hinausgetragen werden in die türkische Gesellschaft.

"Wir wollten mit unserer Zeitschrift Agos klar machen, dass wir uns nicht gegen die Türkei stellen, auch nicht gegen den türkischen Staat, aber natürlich wollten wir den Finger auch auf Menschenrechtsverletzungen legen, diese anprangern, überall da unsere Stimme erheben, wo sie vorkommen, auch die Pressefreiheit war uns wichtig."

So hat er zum Beispiel den Völkermord an den Armeniern öffentlich als solchen benannt, aber gleichzeitig auch darauf hingewiesen, dass es seiner Meinung nach mehr Sinn macht, nach vorne zu gucken, sich um ein friedliches Miteinander im Hier und Jetzt zu kümmern. Doch obwohl Hrant Dink sich immer wieder als Mann des Ausgleichs gezeigt hat, stand er allein in den letzten Monaten dreimal vor Gericht. Immer wieder angeklagt auf der Grundlage des berüchtigten Paragraphen 301, der jedem Richter genug Spielraum lässt, praktisch jede kritische Äußerung nach eigenem Gutdünken unter Strafe zu stellen. Zu sechs Monaten auf Bewährung wurde er wegen seiner Äußerungen zur Armenienfrage verurteilt. Im März hätte er wieder vor Gericht stehen sollen.

Geboren im Südosten der Türkei und aufgewachsen in Istanbul hat sich Hrant Dink als Journalist schon früh zum Sprachrohr der armenischen Minderheit gemacht.

"Bisher hat die armenische Minderheit sehr isoliert gelebt und viele hatten Angst, unsere Probleme öffentlich zu diskutieren. Aber wir haben uns letztlich entschieden, genau das zu tun: Wir wollten, dass die türkische Gesellschaft uns kennen lernt. Dass sie die Möglichkeit bekommt, ihr falsches Bild, das sie von uns hat zu korrigieren, zu zeigen, dass niemand Angst vor uns haben muss. Vor allem aber wollten wir, dass die offizielle Presse aufhört, uns zu verunglimpfen und in die Nähe radikaler Gruppen wie der PKK zu rücken."

Hrant Dink war beliebt, weil er ruhig und sachlich diskutierte, seine Argumente stets mit einem Lächeln vortrug. Falsche Rücksichtnahme aber gab es bei ihm nie. Jede Diskriminierung wurde öffentlich gemacht. Er selbst hätte als Abiturient während seines Armeedienstes schnell zum Offizier aufsteigen können. Hätte. Denn Hrant Dink ist Christ und Christen sind im säkularen Staat Türkei solche Karrieren bis heute verwehrt, wie allen Nichtmuslimen.

"Als dann die Orden verteilt wurden, war ich der Einzige, der keinen erhielt, war ich der Einzige, der nicht dekoriert wurde. Jeder ging nach vorne, um einen Orden zu empfangen, nur ich blieb stehen, als Einziger in dieser Menge. Eine militärische Karriere war nicht wichtig für mich. Aber ich fühlte mich so diskriminiert, ich versteckte mich hinter einem Schlafzelt und habe zwei Stunden geweint. Ich kann dieses Gefühl bis heute nicht vergessen."

Trotz solcher Erfahrungen trat Hrant Dink immer für ein friedliches Miteinander ein und geriet dennoch von allen Seiten unter Beschuss. Hier der türkische Staat, dort die Nationalisten, die ihm mit Mord drohten, in E-Mails, am Telefon, auch bei Demonstrationen vor dem Verlagsgebäude. Jeden Tag war er sich der Gefahr bewusst.

"Vielleicht hört sich das komisch an, aber ich vergleiche mich mit einer Taube. Wenn Sie eine Taube auf der Straße beobachten sehen Sie, dass sie immer in Bewegung ist, sich ständig umschaut, ständig bereit zu fliehen, um sich zu schützen. Ich habe etwas von der Nervosität dieser Tauben. Auf der anderen Seite … Tauben lieben es, in die Freiheit zu fliegen. Damit kann ich mich identifizieren, denn ich will in Freiheit weiter leben."

Wiederholt hatten Freunde ihn gedrängt, das Land zu verlassen und seinen Kampf im Ausland weiterzuführen. Das aber hatte er immer abgelehnt.

"Ich möchte meinen Kampf fortsetzen innerhalb der Türkei, das ist nicht nur mein Kampf, das ist der Kampf aller, die in der Türkei um Demokratie bemüht sind. Wenn ich aufgebe und das Land verlasse, wäre das eine Schande für uns alle. Hier ist das Land meiner Vorfahren, hier sind meine Wurzeln und ich habe ein Recht darauf, in dem Land zu sterben, in dem ich auch geboren bin."