Hoyerswerda mal anders

Von Michael Frantzen · 07.08.2008
Ostdeutschland schrumpft. "Stadtumbau Ost" nennt sich das staatlich geförderte Programm zum "Gesundschrumpfen" der Wohnungsbaugesellschaften. Am schnellsten schrumpft das sächsische Hoyerswerda: 72000 Einwohner lebten hier zu Wendezeiten, Ende Oktober 2007 fiel die 40.000-Marke, jede vierte Wohnung wurde abgerissen.
Und das ausgerechnet in einer Stadt, die einmal wie kaum eine andere für den "Aufbau Ost" stand. Die gesamte Architekturgeschichte der DDR ist hier versammelt. Doch langsam tut sich wieder was, hat nicht nur der Bürgermeister "das Schrumpfen als Chance erkannt" - und ein "Stadtplanungskonzept ohne Schönfärberei" in die Wege geleitet. "Vielleicht werden wir ja doch wieder ein Experimentierfeld für das Neue", hofft eine Architektin hier.

Musik: Gerhard Gundermann: Hoy Woy
"Hoy Woy, dir sind wir treu. Du blasse Blume auf Sand.
Heiß, laut, starr, dicht und verbaut, du schönste Stadt hier im Land."

Marietta Fassl: "Hier sind die Grundsteine für den industriellen Wohnungsbau gelegt worden - in Hoyerswerda."
Dorit Baumeister: "Damals war ja wirklich diese soziale Mischung da: Vom Direktor des Kraftwerks Schwarze Pumpe bis zum einfachen Schlosser."
Stefan Skora: "Wir bauen mit dem Rückbau eine neue Stadt auf."
Peter Biernath: "Kein geordneter, selektiver Rückbau, sondern ein Zerschmeißen, ein Zerstampfen, wie von einer wilden Wut getrieben."
Uwe Proksch: " (seufzt) "Die Hoffnung stirbt zuletzt, nä?!" "(lacht)

So leicht lassen sie in Hoyerswerda den Kopf nicht hängen. Schon gar nicht Dorit Baumeister - auch wenn die Architektin die Eckdaten des Verfalls aus dem Effeff kennt: 72.000 Einwohner hatte die zweite sozialistische Planstadt nach Eisenhüttenstadt zu Wendezeiten, jetzt sind es weniger als 40.000, jede vierte Wohnung wurde abgerissen. Keine andere Stadt in Deutschland schrumpft so stark.

Weiß sie alles; hat sie schon Mitte der 90er vorhergesagt - und sich damit bei den Stadtvätern unbeliebt gemacht; ist nun mal so.

Dorit Baumeister: "Ich glaube, es kommt auch nicht immer darauf an, dass ich in einer boomenden Stadt wie München lebe. Wo ich Investoren habe oder auch die Gemeinden gut aufgestellt sind, ist es sicherlich einfacher, Städtebau oder Entwicklung vorzunehmen; Urbanität herzustellen. Hier kommt's eher auf die Menschen an. Wenn die Kassen leer sind und viele Dinge nicht mehr funktionieren, ist es doch für mich mindestens genauso spannend, wenn nicht sogar spannender: Wie schafft man es, die hier geblieben sind und die auch noch was im Kopf haben, die aktiv sind, lebendig sind... dass man selber eben hier Lebensqualität, Urbanität herstellt."

Schrumpfen als Chance - das ist inzwischen auch das Motto von Oberbürgermeister Stefan Skora. Kennt sich aus in der Materie: Der Endvierziger war vorher Bau-Bürgermeister. Skora ist es zu verdanken, dass die Stadt 2003 ihr "integriertes Stadtentwicklungskonzept" auf den Weg brachte und Schluss machte mit dem planlosen Abriss.

Hat er viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn mal wieder ein Elf-Geschosser abgerissen werden sollte und er den Bewohnern erklären konnte, warum jetzt ausgerechnet sie an der Reihe waren.

Stefan Skora: "Schrumpfen oder Abriss ist immer 'nen Verlust-Thema. Der Mensch kann mit Verlusten bekanntermaßen schwerer umgehen als mit Wachstum. Wachstum ist einfach. Prosperieren! Aber: Bundesweit und europaweit sieht man's ja: Die Bevölkerung schrumpft. Also, wir werden uns an kleinere Einheiten gewöhnen müssen. Ich seh' darin kein negatives Element. Ich sehe die Chance. Weil: Nicht nur vom Wohnungsumfeld, sondern der Gemeinschaft in einer Kommune, dass die Menschen auch näher zusammenrücken."

Mit Marietta Fassl hat Stefan Skora häufiger zu tun. Die Anfang 50-Jährige ist Geschäftsführerin der Wohnungsgesellschaft hier. 12 Millionen Euro gibt die Gesellschaft dieses Jahr für Investitionen aus, 1,7 Millionen davon gehen in den "Rückbau", wie der Abriss euphemistisch genannt wird. 4000 Wohnungen sind schon "vom Markt genommen", weitere 2000 sollen bis 2013 folgen.

Macht sie schon eine ganze Weile - ihren Job: Marietta Fassl. Anfangs musste sie hart im Nehmen sein: Mit Abriss konnte man Mitte der 90er "nicht gerade einen Blumentopf gewinnen". Sagt die Frau mit der wie gemeißelt wirkenden Frisur. Doch klein beigeben?! Kam für sie nicht in Frage. Haben sie die Sache halt im Alleingang durchgezogen.

Marietta Fassl: "Es gab keine Rezepte. Es war eigentlich niemand da, der einem richtig sagen konnte, wie man einen solchen Prozess angeht, steuert und zielführend gestaltet. Auch die Stadtplaner hatten ja so etwas eigentlich noch nicht erlebt; sondern die Planungen, die sie gemacht hatten, waren immer von Wachstum geprägt und von Erweiterung. Und wir sind damals so vorgegangen, dass es bestimmte Bestände gab, die sich schlecht vermieteten. Dann haben wir die erstmal leer gezogen. Dann haben wir natürlich gemerkt: OK, so geht das nicht ganz. Einfach weil man dann für die Stadt 'ne Art Schweizer Käse herstellen würde. Und haben nachher mehr oder weniger schon versucht, systematisch anzugehen: Von außen nach innen."

Musik: Gerhard Gundermann, Hoy Woy
"Deine grauen Häuser werden nicht bunt,
wir reiben uns an ihr nur die Pinsel rund.
Deshalb gucken wir nicht mehr auf die Wände,
sondern den Leuten auf Gesichter und Hände."

Einmal Großstadt und zurück: Peter Biernath kann es immer noch nicht fassen. Ziemlich genau 50 Jahre ist es jetzt her - da machte er sich nach seinem Architekturstudium in Gotha auf den Weg in die Lausitz, um zusammen mit den anderen Pionieren an einer sozialistischen Utopie zu bauen. Hoyerswerda - das war Ende der 50er "Aufbau Ost", wie er im Lehrbuch stand. 50.000 Arbeiter förderten im frisch ausgerufenen "Energiebezirk" der DDR Braunkohle, in Hoyerswerda sollten sie wohnen. In der Neustadt.

Schnell musste es gehen. Schnell und preiswert. In Hoyerswerda schlug die Geburtsstunde der Platte. Peter Biernath war mit dabei. Darauf ist er immer noch stolz; wie sie ein Verfahren entwickelten, das die Betonwände in einem Tag einsatzbereit machte; und sie im Akkord am Fortschritt schufteten.

Alles vorbei. Statt Fortschritt Rückschritt -meint Biernath. Dem 72-Jährigen, der zu DDR-Zeiten in Vietnam das Bauen mit der Platte einführte, ist die Wende nicht gut bekommen. Krank ist er geworden, sehr krank. Nicht mehr seine Welt. Zwischendurch verschlug es ihm sogar die Sprache - im wahrsten Sinne des Wortes. In den letzten Jahren hat er sich wieder etwas berappelt, findet er langsam wieder zu Worten.

Peter Biernath: "Wir haben am Anfang gesagt: Na ja, das sind ja wie Bombentrichter. Die so zufällig hier mittendrin irgendwelche getroffen haben. Die dann eben weg mussten. Und das hat uns eben recht weh getan. Wobei natürlich alle Beteiligten am Anfang sowieso... wir waren immer gewöhnt, die Stadt aufzubauen; die Stadt zu erweitern; zu vergrößern. Plötzlich total schockiert waren, mit dem Umschwung, wo die Deindustrialisierung solche Folgen hatte, dass Pumpe ja total wegbrach. Und diese Monokultur der Bewohner in der Neustadt sich dann eben besonders niederschlug. Die Menschen hatten plötzlich keine Arbeit mehr. Was sollten sie noch hier?"

12.000 Menschen allein aus Hoyerswerda arbeiteten kurz vor der Wende bei "Schwarze Pumpe", dem ehemals größten Braunkohleveredelungswerk Europas. Bis es aufhörte zu pumpen. Heute kommt der Betreiber Vattenfall mit 3500 Menschen aus. Fast jeder fünfte in Hoyerswerda hat keine Arbeit.

Uwe Proksch hat noch Arbeit. Seit über zehn Jahren leitet er die Kulturfabrik. Eigentlich sollten sie ja längst schon in der Altstadt untergekommen sein, doch die Renovierung des Altbaus verzögert sich: Kein Geld. Und so versuchen Proksch und seine Mitstreiter weiter von einem in die Jahre gekommenen ehemaligen Jugendheim am Rande der Stadt der Bevölkerung Kultur nahe zu bringen. Mit Theateraufführungen, Konzerten, alten Defa-Filmen.

War schon mal einfacher. Kommen nicht mehr so viele Leute - von wegen Wegzug und so. Proksch kennt das aus seiner eigenen Familie: Von seinen vier Geschwistern ist nur noch die Schwester da. Macht ihm manchmal schon Sorgen.

Uwe Proksch: "Wenn man einfach merkt: Wups! Jetzt sind nicht nur die 30.000 weg, die ich nicht kenne. Sondern jetzt sind auch noch die 10.000 weg, die ich gut kenne. (lacht) Und mit denen ich eigentlich immer zusammen Sachen gemacht habe. Oder die jetzt zu den Stammbesuchern gehörten. Oder die bei uns im Verein ganz aktiv waren. Also, da merkt man dann schon, dass es an die Substanz geht einfach langsam. Wo sich wirklich die Frage stellt: Wann kippt das? Wann gehen solche Sachen gar nicht mehr? Also wann hat man so 'n dörflichen Charakter erreicht, dass eigentlich ganz vieles gar nicht mehr geht?"

Musik: Gerhard Gundermann: Hoy Woy
"Das wir Augen haben, die sich nicht ablenken lassen von Fassaden.
Deshalb können wir nicht die volle Andacht stehen,
nein, wir müssen immer dahinter sehen."

Manchmal rückt der Abrisshammer selbst Marietta Fassl auf die Pelle. Gleich um die Ecke vom Hauptsitz ihrer Wohnungsgesellschaft wird gerade ein Plattenbau abgerissen. Vor dem Haus stapeln sich in einem Container ausrangierte Kühlschränke, drinnen erinnert bis auf ein hängen gebliebenes Poster eines Pumas nichts mehr an die alten Bewohner. Bald schon wird von dem 7-Geschosser nichts mehr übrig sein.

Marietta Fassl: "Das sind Prozesse, die immer wieder relativ schnell abgeschlossen werden können. Also, so 'n Haus ist innerhalb einer reichlichen Woche dann mal niedergelegt. Und dann muss noch der Bauschutt beseitigt werden. Also, nach sechs Wochen ist dann auch eigentlich alles wieder erledigt."

Wenn es nur so einfach wäre! Peter Biernath schüttelt den Kopf. Gibt immer noch viel zu viel, über das er sich aufregen kann: Das neue Lausitz-Center beispielsweise: Ein "architektonischen Armutszeugnis, das vorgibt ein Einkaufszentrum zu sein"; dass die zwei Wohnungsgesellschaften auf einige Plattenbauten ausgerechnet historisierende Satteldächer drauf gesetzt haben; und sich die Stadt an vielen Ecken anfühle wie ein dürrer Körper in einem viel zu großem Kleid.

Wo Baumeister Chancen sieht, sieht Biernath lauter verpasste Chancen. Aber haben ihn ja nicht gefragt: Die Stadtoberen. Haben auf Durchzug gestellt. Und auch seine Idee mit dem Plattenbau-Museum einfach ignoriert.

Peter Biernath: "Nach der Wende ist ein Plattenbau-Museum in Dresden entstanden. Im Grunde im Windschatten dessen, was in Hoyerswerda ja schon vorweg exerziert wurde. Nicht jetzt 'ne Lobhudelei darauf, dass alles nur gut war oder so. Sondern mit 'ner kritischen Würdigung. Und auch Herausstellung der Leistung derer, die damals eben mit Aufbauwillen, dazu unter schwierigen Bedingungen oft, dazu beitragen wollten, 'ne lebenswerte Stadt zu schaffen."

Hoyerswerda und die Platte: Das ist fast schon wie eine Symbiose. Der erste Plattenbau Deutschlands steht hier. In Hoyerswerda lief die Stadt der Moderne vom Stapel: Die Siedlungen wurden in Wohnkomplexe eingeteilt, in denen es vom Kindergarten, Schule, Kaufhalle bis zur Post alles gab, was man brauchte. Eine Stadt ohne Zäune mit lauter Sackgassen, die dafür sorgten, dass die Kinder unbehelligt auf der Straße spielen konnten.

"Gutes Konzept", meint Dorit Baumeister, nur mit der Ausführung haperte es spätestens seit den 70er Jahren, als der DDR langsam das Geld ausging - und an der Qualität gespart wurde - auch bei der Platte. Das wirkt nach - bis heute. Dabei ist sie viel besser als ihr Ruf: Die Platte.
Dorit Baumeister: "Man hat erkannt, dass sie sehr wohl architektonisch veränderbar ist. Und zu einer sehr guten Qualität hingeführt werden kann. Dass die Menschen, die da nach wie vor drin leben, sagen: Es wohnt sich sehr gut in diesen Gebäuden. Es gibt jetzt auch ein sehr gutes Beispiel von Qualität. Das ist hier in der Stadt, das hat die Wohnungsbaugesellschaft gemacht, in der Virchowstraße."

Marietta Fassl: "Also, das erste Haus, was wir hier umgebaut haben vis-a-vis des Klinikums, ist voll belegt. Wird angenommen von der Bevölkerung. Wir haben ein zweites Hochhaus im Stadtzentrum der Neustadt umgebaut. Komplett umgebaut. Das hat also von der Architektur her die Besonderheit, dass es in der Fassade rund rum eine Begrünung erfahren hat."

Dorit Baumeister: "Dort wurden also auch Platten abgetragen, dort hat man also Wohnungszuschnitte geändert und vor allem Dingen aber auch die Hülle in dem Stil, in dem Geist der Moderne dargestellt."

Der "Lausitz-Tower" ist inzwischen zum inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt aufgestiegen, letztes Jahr wurde er sogar mit dem "Deutschen Bauherrenpreis Modernisierung" ausgezeichnet.

Musik: Gerhard Gundermann
"Haben se uns überall rausgeschmissen,
haben wir es mit der ganzen Welt verschissen.
Finden wir Schutz hinter einem Beton
Und trainieren für die Revolution."

Stadt der Moderne - diesen Nimbus nimmt Hoyerswerda immer noch für sich in Anspruch. Stadt der Ruinen - sagen die, die nicht mit ansehen können, wie Platte für Platte, Straßenzug für Straßenzug dem Abrisshammer zum Opfer fallen. Überall in der Stadt klaffen Lücken, erobert sich die Natur mitten im Stadtzentrum ihren Platz zurück.

Marietta Fassl ist das nur recht. Hoyerswerda, sagt die Geschäftsführerin der Wohnungsgesellschaft, wird wieder auf ein gesundes Maß zurechtgestutzt. Deshalb will sie nächstes Jahr auch zwei weitere Elf-Geschosser an der Südstraße abreißen lassen.

"Auch dieses Argument: Die Hochhäuser gehören hier zur Skyline von Hoyerswerda dazu. Natürlich wollen wir uns hier bemühen, ne ordentliche Stadtgestaltung hinzu bekommen, aber: Von der Skyline allein werden wir nicht überleben. Und deshalb werden wir auch weiterhin Wohnungen vom Markt nehmen. Also, da bin ich auch bereit, dafür zu kämpfen. Einfach weil ich denke: Wenn wir die leeren Häuser hier stehen lassen, wir haben so viele Vandalismusprobleme damit, sie beeinträchtigen das Wohnumfeld so negativ, dass es auch für die darin Wohnenden einfach unattraktiv wird und man davon ausgehen muss, dass der eine oder andere auch aus diesen Gründen wegzieht."

Das ist das letzte, was Hoyerswerda gebrauchen kann. Denn die Bevölkerung schrumpft weiter. Die, die es sich leisten können, bauen sich im Umland ihr Einfamilienhaus oder ziehen gleich der Arbeit hinterher: Nach Dresden oder Westdeutschland. Schon jetzt sterben mehr Alte, als Kinder geboren werden. Aus der demographisch mit durchschnittlich 27 Jahren einmal jüngsten Stadt der DDR ist die älteste in ganz Sachsen geworden. Man muss kein Demograph sein, um das zu erkennen: Ein Ausflug in das Lausitz-Center mit lauter Einkaufswagen schiebenden Rentnern genügt da schon.

Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: 2020 - lauten die Prognosen - wird sich die Bevölkerung bei 20.000 eingependelt haben.

Wird ihm schon ein bisschen mulmig bei dem Gedanken, meint Uwe Proksch.

Uwe Proksch: "Die Verwaltung hat ja jetzt schon das Riesen-Problem, dass sie bei ganz vielen Geschichten Angst hat, die gar nicht mehr finanzieren kann. Weil die Pro-Kopf-Zulagen vom Land - die werden immer geringer. Weil immer weniger Köpfe da sind. Und die Kultur soll aber trotzdem in der Größenordnung eigentlich erhalten bleiben. Ich sage mal: So 'ne Stadt wie Hoyerswerda, die sich 'ne Lausitz-Halle, 'nen Zoo, 'nen Schloss, Volkshochschule, Musikschule, alles mögliche noch leistet - das ist schon 'ne wahnsinnig tolle Leistung. Und auch ganz wichtig für das soziale Gefüge in dieser Stadt. Und für den sozialen Frieden. Wenn das alles nicht mehr wäre, dann wär's wirklich 'ne Krisenstadt. Aber so... also man kann noch hier leben."

Hier leben, bleiben will auch Dorit Baumeister. Will sich weiter einmischen - auch auf die Gefahr hin, dass sie den Makel der "Nestbeschmutzerin" nicht mehr los wird. Der Baumeister, heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Stadtverwaltung, ist schon der eine oder andere Auftrag durch die Lappen gegangen wegen "ihrer großen Klappe".

Genau die will sich die Architektin nicht nehmen lassen. Ihr schwebt so etwas wie eine "Dritte Stadt" vor - eine Synthese aus Altem und Neuem. Auf der einen Seite die inzwischen weitestgehend renovierte Altstadt mit dem Renaissance-Rathaus und der pittoresken Handwerkergasse aus dem 18. Jahrhundert. Und auf der anderen die Neustadt: Die Moderne!

Dorit Baumeister: "Gerade Hoyerswerda sollte als Pilotstadt viel mehr wagen in der Richtung. Hier: Umgang mit der Platte. Und neuen Wohnmodellen. Ich sehe ja auch, dass wir in der Gesellschaft ganz andere Wohnmodelle benötigen. Ich sehe das Einfamilienhaus, ich sag immer so: Mein Gott, wenn die da alle aufs Dorf ziehen mit ihren komischen Satteldächern... das ist doch wie vor 150 Jahren. Das ist doch kein zeitgemäßes Wohnmodell mehr. Also, ich bin der Meinung, wir sollten uns unterhalten: Was wird zukünftig gebraucht? Wie wollen auch zukünftig ältere Mitmenschen leben? Ich seh' die nicht in Altenheimen. Und da hätte die Stadt 'nen ganz großes Potential, hier neue Wohnformen anzulegen."

Einen Erfolg hat Baumeister schon verbuchen können: Die Wohnungsgesellschaft Hoyerswerda prüft gerade, ob sie einen Plattenbau in eine Senioren-WG umwandeln soll.

Müssen sich halt was einfallen lassen; nicht nur bei den Alten, sondern auch bei den Jungen, betont Uwe Proksch.

Ist ja auch nicht so, dass es in der Region gar keine Industrie mehr gäbe: Schwarze Pumpe, eine Papierfabrik, ein Werk von BASF, eines von MAN. Suchen ja jetzt schon Hände ringend nach Fachkräften.

Uwe Proksch: "Und wo man also auch wieder junge Leute, auch junge Intelligenz brauchen wird perspektivisch. Und warum sollen die sich unbedingt jetzt auf dem Dorf ansiedeln. Oder in 'ner Kleinstadt. Wenn's eine gäbe, die funktioniert. Die einfach in sich richtig gut ist, die Bildung hat, Kulturangebote hat. Dorthin müsste sich Hoyerswerda profilieren."

Klein, aber fein: Peter Biernath schüttelt nur den Kopf. Ist nicht mehr sein Hoyerswerda.

"Das sind so viele, viele Widersprüche. Und die manchmal natürlich auch an den Rand der Verzweiflung kommen lassen, dass man sagt: Na ja, was soll ich denn eigentlich hier noch?!"

Vielleicht schließt sich auch einfach nur ein Kreis. Vor 50 Jahren, vor dem "Aufbau Ost", war Hoyerswerda schließlich auch nur ein 7000-Seelen-Dorf.

Soweit möchte es Uwe Proksch nicht kommen lassen. Behagt ihm nicht - die Vorstellung: Dass sie irgendwann zu einem Dorf der Alten mutieren - ohne Jugend. Letztens erst hat wieder ein Jugendlicher seine Koffer gepackt, um in Westdeutschland seine Ausbildungsstelle anzutreten.

Uwe Proksch: "Wir werfen keinem Jugendlichen vor, wenn er hier Hoyerswerda verlässt, sondern im Gegenteil: Er soll erst mal gehen, in die Welt gehen, sich umschauen, sich weiter entwickeln, weiter bilden. Aber das Schöne wäre eben, wenn er dann die Chance hätte, zu sagen: Ich will in meine Heimat zurück."

Gerhard Gundermann: Hoy Woy
"Hoy Woy, dir sind wir treu.
Hoy Woy, dir sind wir treu.
Hoy Woy, dir sind wir treu."
Schloss Hoyerswerda
Schloss Hoyerswerda© Deutschlandradio