Hotels mit Geschichte (16)

Ein Ort des stalinistischen Terrors

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Das Hotel Zentralnaja in Moskau - es hieß in den 30er-Jahren Hotel Lux. © picture alliance / dpa / Itar Tass
Von Thomas Franke · 07.08.2015
Das Hotel Lux beherbergte in den 30er-Jahren viele kommunistische Flüchtlinge aus Westeuropa, vor allem aus Deutschland. Dort war auch Stalins Geheimpolizei untergebracht, um später eine Menge von ihnen umzubringen. Sozusagen der Vorhof zum Tod.
Eine Mauer aus grauen Betonteilen umgibt die Baustelle. Das Hotel Lux ist abgerissen. Nur Reste der Fassade stehen noch. Ein georgischer Geschäftsmann baut hier ein neues Lux, fünf Sterne soll es haben, eine Tiefgarage. Ein Wachmann kommt.
"Das dauert noch. Es eröffnet zur Fußball-Weltmeisterschaft."
Das Hotel werde zur Fußball Weltmeisterschaft 2018 eröffnet. Mehr wisse er nicht. Nebenan lädt ein Mann Türen aus einem Kleintransporter. Sie sind in Pappe eingewickelt.
"Von dem Geist der 20er-Jahre ist hier nichts mehr übrig. Hier wird doch alles umgebaut. Leider. Ich finde, man hätte das Zentrum, die alten Häuser erhalten müssen."
Das Hotel Lux: Kleine Zimmer, lange Flure, Toiletten auf dem Gang. Viele namenhafte Kommunisten warteten hier die Nazizeit ab: Walter Ulbricht und Wilhelm Piek, die nach dem Krieg in die sowjetische Besatzungszone gereist sind und die DDR gegründet haben, Ernst Thälmann. Auch Josif Bros Tito, Präsident Jugoslawiens, logierte im Lux, der Vietnamese Ho Chi Minh, der chinesische KP-Führer Zhou Enlai.
Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Herbert Wehner spricht am 16.04.1971 auf der SPD-Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Landtagswahlen im schleswig-holsteinischen Neumünster.
Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Herbert Wehner spricht am 16.04.1971 auf der SPD-Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Landtagswahlen im schleswig-holsteinischen Neumünster. © picture alliance / dpa / Wulf Pfeiffer
Herbert Wehner, später einer der führenden Sozialdemokraten der Bundesrepublik Deutschland, war von 1935 bis 1941 in Moskau. Auch er wohnte im Lux:
"Meine Erinnerung an das, was ich an Leiden miterlebt und mitgesehen und mit zu tragen gehabt habe, in den Jahren des Terrors in der Sowjetunion. Ich hab darüber kein Buch geschrieben, ich kann es nicht. Aber ich habe sie einfach mitgelitten und auch selbst erlebt."
Es war die Zeit, in der die Revolution zum Terror wurde, die Zeit der Säuberungen und Angst.
Wer sich weigerte, war verdächtig
Nachts kamen die Autos der Geheimpolizei in den Hof gefahren. Jeder horchte, auf welcher Etage der Fahrstuhl hielt. Jeder hörte auf die Schritte auf dem Hotelflur, hoffte, sie würden vorbeigehen, an einer anderen Tür klopfen. Hunderte Genossen wurden mitgenommen in die Lubjanka, das Hauptquartier des sowjetischen Geheimdienstes. Dort mussten sie Berichte schreiben, Fragenkataloge abarbeiten: Fragen nach Beziehungen der Genossen untereinander, Fragen, wer Spitzel gewesen sein könnte. Wer sich weigerte, war verdächtig.
Viele schafften sich unliebsame Konkurrenz vom Hals. Das Hotel Lux, eine Mausefalle voller Ratten. Auch für Hugo Eberlein wurde das Hotel Lux zur tödlichen Falle. Eberlein war einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Auf der Flucht vor den Nazis, kam er 1936 ins Lux, gemeinsam mit seinem Sohn Werner, damals 16 Jahre alt. Bereits ein Jahr später wurde er verhaftet, später zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Sein Sohn erinnert sich:
"Dafür gab es und gibt es keine Begründung. Es wurde relativ willkürlich verhaftet, nach welchen Kriterien die NKWD da vorgegangen ist, das ist sicherlich und dann gab's so 'nen Kautschuk-Paragrafen 58, konterrevolutionäre Tätigkeit, und da passte alles hinein."
Dabei war sein Vater, Hugo Eberlein, nicht irgendein deutscher Kommunist. Als Vertreter der deutschen Sektion reiste er zur Gründung der kommunistischen Internationale, saß dort neben Lenin.
"Es gibt unterschiedliche Angaben. Ein offizielles Papier besagt, dass er 44 gestorben sei. Aber da gibt's ne Aussage von der Kusine, die schreibt, sie hat es gesehen, wie er 1939 erschossen wurde."
Werner Eberlein, 17 Jahre alt, war nun allein im Lux. Er wurde umquartiert, vom Vorderhaus ins Hinterhaus. In ein Zimmer mit zehn fremden Leuten. Allesamt Kommunisten in Stalins internationalem Gefängnishotel.
"Ich musste ja sehen, wie ich morgens was zu essen bekam. Und ich lebte immer in der Vorstellung, mein Vater ist ein Marxist und Kommunist und er war eng mit Lenin zusammen und jetzt mit einem mal verhaftet, das war ja nicht unter einen Hut zu bringen. Ich hatte ja keinen, mit dem man reden konnte. Über solche Probleme wurde nicht diskutiert oder nicht gesprochen. Das war ein Tabuthema, im Grunde genommen. Ich musste selbst mit mir fertig werden."
Das Schweigen wurde weiter gegeben
Still sind viele, die in der Zeit oder danach aufwuchsen bis heute. Das Schweigen wurde von Generation zu Generation weiter gegeben.
Der Nachbarhof des Lux. Ein Wohnhaus aus der Stalinzeit, ein Innenhof. Eine Frau kommt. Ihr Mantel ist zerschlissen, ihr fehlen Zähne. 72 Jahre sei sie alt, sagt sie, sie sei mal Eiskunstläuferin gewesen.
"Die Mächtigen haben mit den Leuten gemacht, was sie wollten. Eigentlich war es damals wie heute: Das Volk, wir, galten nichts. Wir mussten uns anpassen."
Die Geschichte des Hotel Lux ist die Geschichte von Säuberungsmaßnahmen und Terror.
"Hotels mit Geschichte" präsentieren wir in unserer Sommerreihe in "Studio 9". Hotels erzählen Geschichte und Geschichten, sind Erinnerungsorte und vermitteln Einblicke in den Alltag fremder Kulturen. Hotels regen nicht nur die Fantasie an, beispielsweise von Schriftstellern. Sie erzählen auch von großen Krisen, von Kriegen oder Konferenzen, in denen sich die Weltgeschichte spiegelte.