Hotel "Bogota"

Die bewegende Geschichte einer Herberge

Von Michael Reitz · 18.11.2013
Das "Hotel Bogota" in der Schlüterstraße 45: Jahrzehntelang stand der Name für eine Herberge der wechselhaften Berliner Stadtgeschichte. Die berühmte jüdische Modefotografin Yva hatte hier etwa in den 1920ern ihr Atelier. Zynischerweise wurde zur Nazizeit im Haus die Reichsfilmkammer eröffnet. Nach dem Krieg brachten erst die Sowjets und später die Briten Behörden im Gebäude unter. Und erst dann wurde der Gründerzeitbau in der Schlüterstraße 45 zu dem Hotel, das seit Jahren bei Künstler und Kreativen beliebt ist. In zwei Wochen muss Betreiber Joachim Rissmann sein Haus für immer schließen: wegen Mietschulden in Höhe von 290.000 Euro.
Berlin, Schlüterstraße 45. Hier, im Stadtteil Charlottenburg, in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms, steht das Hotel "Bogota". Ein fünfstöckiges Bauwerk mit üppigem, grell orangefarbenem Baldachin über dem Eingang. Es ist eines der Häuser, die eindrucksvoll nicht nur die Historie Berlins, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählen.
Carl-Peter Steinmann:"Ich bin Stadt-Erzähler. Ich erzähle über die Stadt, entweder in Form von Büchern, Zeitungsartikeln, oder eben halt live vor Leuten, weil ich zu den Leuten gehöre, die die Stadt weniger vom Schreibtisch aus betrachten, sondern immer mich zu den Orten bewege."
Steinmann:"Wir nehmen heute den Kurfürstendamm hin, so wie er ist. Wir sehen eine fertige Straße und drum herum alles bebaut, auch die Seitenstraßen. Aber dieser Kurfürstendamm ist ja nichts, was langsam gewachsen ist, sondern ein Konsortium von Banken baute den Kurfürstendamm und erwartete dafür als Gegenleistung ein großes Stück Grunewald, und so brauchte der preußische Staat, der damals wenig Geld hatte, für den Kurfürstendamm nichts zu bezahlen."
Das Haus in der Schlüterstraße 45 wird von der Firma Boswau und Knauer im Jahre 1912 fertiggestellt und zu einem Paradebeispiel für die Wohnkultur der Betuchteren: die Domizile messen zwischen dreihundert und fünfhundert Quadratmeter, die Decken sind hoch und die sanitäre Einrichtungen weit über dem üblichen Standard. Besitzer des Hauses ist ein jüdischer Unternehmer namens Robert Leibbrand. Bei Berliner Juden ist die Gegend damals besonders beliebt. Und so zieht auch Oskar Skaller, Unternehmer und trotzdem Mitglied der Sozialdemokratischen Partei in die Schlüterstraße 45 ein.
Beliebten Adresse für Geldadel und Künstler
Steinmann: "Er war Apotheker, hat später noch eine Apothekenzubehör-Fabrik oder Großhandel dazu gekauft und da war etwas bei, was eigentlich dem Vorbesitzer nur Verluste gebracht hatte. Und das war die Herstellung, also Fabrikation und Anfertigung von Prothesen. Ja, aber der Zeitpunkt war günstig. Es kam der 1. Weltkrieg, und so makaber wie es im Prinzip klingt, es wurden plötzlich Prothesen gebraucht in einer Menge, die man sich gar nicht vorstellen kann, Oskar Skaller wurde dadurch reich. Er hatte natürlich ganz schnell in Berlin den Spitznamen 'Prothesen Skaller' und bewohnte die Erdgeschosswohnung, die ja heute genutzt wird von der Hotelrezeption, von den ganzen unteren Räumen und vom Frühstückssaal und so weiter, also eine riesige Wohnung, durchgehend, und immer wenn eine der Töchter Geburtstag hatte, machte er eine große Feier."
Bei einer dieser Feiern Ende der zwanziger Jahre tritt ein noch fast unbekannter Klarinettist aus Amerika auf. Er gilt heute als einer der Begründer des Swing: Benny Goodman.
Überhaupt mietet sich in dem prächtigen Wohnhaus nicht nur der Geldadel ein. Es wird sehr bald auch zu einer beliebten Adresse für erfolgreiche Künstler. Die berühmteste Mieterin kennt heute jedoch kaum noch jemand: die im Jahre 1900 geborene jüdische Modefotografin Else-Ernestine Neuländer, Künstlername: Yva. Sie mietet die oberen beiden Etagen des Hauses als Wohn- und Arbeitsstätte. Nur zwei Lehrlinge bildet sie während ihrer Zeit in der Schlüterstraße 45 aus. Der eine ist ihr Neffe. Der andere ein gewisser Helmut Neustädter, der 1936 aus Deutschland fliehen und sich Helmut Newton nennen wird.
"Es gibt mehrere Fotografinnen, die dort waren"
Steinmann:"Obwohl sein Vater von ihm und seinen Neigungen überhaupt nichts hielt und dachte, der bricht das sowieso wieder ab, der war nämlich gerade aus der Schule geworfen worden, war er doch in dieser Ausbildung zum Fotografen mit Herzblut bei der Sache, und Yva hat ihm dann auch sogar sehr schnell das damals übliche Lehrgeld erlassen."
Die Historikerin Heike Stange hat sich intensiv mit dem Leben jüdischer Bürger in Berlin und besonders mit der Vita Yvas auseinandergesetzt.
Stange: "Sie hat ja in dem Viertel schon gewohnt. Bleibtreustraße. Das ist ja da ums Eck. Dann ist es so, dass das eine traditionelle Fotografenecke war. Es gibt mehrere Fotografinnen, die dort waren. Lotte Jakobi war da. Suse Bick war da. Frieda Ries war da. Alles bedeutende Fotografinnen. Und die sind Anfang des 20. Jahrhunderts zum Teil schon da hingezogen, als dieser Zug in den neuen Westen begann, und sich um den Kudamm herum betuchtere Leute angesiedelt haben, die dann eben auch Fotos brauchten und wollten."
Yva, so Heike Stange, gehört zu den bestbezahlten Fotografen der Weimarer Republik. Mitte der zwanziger Jahre beginnt ihre Erfolgsgeschichte, und bald kann sie sich in einem der teuersten Viertel Berlins über vierhundert Quadratmeter leisten. Zeitweise arbeiten in Yvas Atelier zehn bis fünfzehn Angestellte – Retuscheure, Fotografen, Journalisten und Models.
Yva lässt sich nicht einschüchtern
Doch was verwundert, ist das Jahr, in dem Yva ihre Räume in der Schlüterstraße bezieht: 1934. Seit Januar 1933 ist die NSDAP mit Adolf Hitler als Reichskanzler an der Regierung beteiligt. Ziel der Nazis: die Vertreibung der Juden aus dem öffentlichen Leben. Und das gelingt schnell: ab 1935 kann man von einer völligen Gleichschaltung des Kulturbetriebs sprechen. Bjoern Weigel, Historiker:
"Es ist ab Dezember 1933 verpflichtend, wenn man einen Beruf im Kulturleben ausführen möchte, muss man Mitglied dieser Reichskulturkammer sein. Das heißt, eine Nichtaufnahme oder ein Ausschluss sind ein faktisches Berufsverbot."
Das Kulturkammergesetz raubt jüdischen Künstlern die Existenzgrundlage. Viele Filmschaffende, Maler, Schriftsteller, Musiker, auch Fotografen verstehen es als letzten Anstoß Deutschland, zu entfliehen. Aber die Fotografin Yva lässt sich nicht einschüchtern. Statt die schlimmstmögliche Wendung in ihre Lebensplanung einzubeziehen, wagt sie die Flucht nach vorn und erweitert ihren Betrieb, indem sie 1934 in die Schlüterstraße umzieht.
Stange:"Sie hat weiter gelebt, sie hat weiter mit Models gearbeitet und ihre Fotos gemacht. Sie hat ihr Atelier weiter genutzt. Sie musste auch Gegenwind bekommen haben, z.B. von verschiedenen Models, die gesagt haben, für eine Jüdin arbeiten sie nicht mehr. Aber sie hat trotzdem weitergemacht. Und das finde ich schon eine Form von Gegenwehr – oder sagen wir: Selbstbewusstsein. Ein bestimmtes jüdisches Selbstbewusstsein."
"Sie durfte nicht mehr ihr Atelier betreiben"
Über nichtjüdische Vermittler und Kollegen kommt Yva weiterhin an Aufträge und kann sich so eine Zeit lang über Wasser halten. Doch die Umstände verschlimmern sich. Es beginnt die systematische Vertreibung und Ermordung der Juden – und die trifft auch die Fotografin Yva aus der Schlüterstrasse.
Stange: "Sie durfte nicht mehr ihr Atelier betreiben. Und in dem Moment musste sie sich eben auch verkleinern. Das war dann ganz eindeutig. Sie mussten da ausziehen, und das haben sie dann auch gemacht und sind dann in eine Zwei-Zimmer-Wohnung gezogen."
Ab Ende 1938 werden die Spuren von Else-Ernestine Neuländer und ihrem Mann immer undeutlicher.
Stange: "Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie als Zwangsarbeiterin gearbeitet hat, für das jüdische Krankenhaus, als Röntgenassistentin. Also quasi ihr Gelerntes noch weiter anwenden durfte oder konnte. Ihr Mann hat auch als Zwangsarbeiter, als Straßenfeger, gearbeitet. Aber viel mehr ist darüber hinaus nicht bekannt."
1942 wird das Ehepaar Neuländer-Simon mit unbekanntem Ziel von den Nationalsozialisten verschleppt. Man weiß heute, dass sie im Vernichtungslager Sobibór ermordet wurden.
Im Hotel Bogota hängt heute eine Tafel, neben der Tür zur Gäste-Bibliothek: Keine Tafel für Yva, denn von den Ermordeten ist nicht die Rede. Eine Tafel für die Künstler, die von den Nazis in die innere Emigration oder ins Exil gedrängt worden sind.
Zynismus bei der Verhöhnung der Opfer
In der Schlüterstraße 45, befindet sich ab 1942 eine wichtige Abteilung der Reichskulturkammer: die Filmkammer. Nachdem ein Bombenangriff der Alliierten den Sitz der Reichskulturkammer in der Wilhelmstraße vollständig zerstört hatte, entschieden sich die Machthaber ausgerechnet für das Haus in Charlottenburg. Das beweist ihren ausgeprägten Sinn für Zynismus bei der Verhöhnung ihrer Opfer. Geschäftsführer der Filmkammer – und ab 1944 auch "Reichsfilmintendant" – ist Hans Hinkel. Er war ab 1935 von Goebbels speziell mit der "Entjudung deutschen Kulturlebens" betraut gewesen.
Wo heute der Frühstücksraum des Hotels Bogota ist, befindet sich zwischen 1942 und 45 der Vorführsaal der Filmkammer. Hier sitzen Hans Hinkel, Joseph Goebbels und in Ausnahmefällen auch Adolf Hitler selbst, bewacht von SS und Gestapo, und begutachten die Ergebnisse ihrer Kulturpolitik. Die NS-Meinungsdiktatur arbeitet ausgesprochen detailversessen.
Weigel: "Dann geht es um so Sachen, da muss noch eine Szene nachgedreht werden. Da muss jetzt mehr rein. Da werden ja auch Wochenschauen gezeigt und so etwas alles, die zur Abnahme, zur Überprüfung, dann vor den hohen Herrn vorgeführt werden. 'Also diese Musik, die ist ja grauenhaft. Da müsste man jetzt etwas anderes tun. Diese Szene müsste rausgeschnitten werden, dafür müsste da etwas sein, was da ein bisschen was anderes zeigt.' So muss man sich das vorstellen. Und das Ganze dann auch unterbrochen durch Bombenalarm."
Doch in dem Haus Schlüterstraße 45 werden während des Krieges nicht nur Filme vorgeführt und berühmte Schauspieler zum geselligen Plausch mit Hans Hinkel eingeladen. Die Reichskulturkammer wird darüber hinaus zum Aufbewahrungsort für Raubgut. Der heutige Inhaber Joachim Rissmann erzählt:
"Unter anderem auch ein Selbstporträt von Liebermann, was im Keller gestanden hat, aber auch in den Büros als Ausstattungsgegenstände, Bilder und Kultgegenstände aus dem Centrum Judaicum. Das heißt, es wurde geplündert, irgendwohin verbracht und von dort wieder geholt, vier Jahre später, um hier das Haus zumindest teilweise auszustatten."
"Da ist man manchmal ganz erstaunt"
Als im April 1945 die Rote Armee Berlin erobert und damit der Zweite Weltkrieg faktisch beendet ist, hat keiner der NS-Beamten in der Schlüterstraße 45 die dort lagernden Papiere der Reichskulturkammer vernichtet. In den Kellern und Büroräumen stapeln sich nicht nur die politisch-ideologischen Beurteilungen der Kulturschaffenden des Dritten Reiches, sondern auch die Personalakten von Hans Hinkel und seinen Angestellten. Der Historiker Bjoern Weigel:
"Die ganz interessant sind, um auch Karrieren zu rekonstruieren oder auch Ergebenheitsadressen an die obersten Dienstherren. Da ist man manchmal ganz erstaunt, von wem so etwas erhalten ist, die sich nach dem Krieg als die totalen Widerstandskämpfer inszeniert haben, die sie dann faktisch ja gar nicht waren."
Bevor diese Schriftstücke zu einer wahren Fundgrube für die Alliierten werden, kommen erst einmal die Russen.
Am 6. Juni 1945 wird auf Anordnung des sowjetischen Kommandanten die "Kammer der Kunstschaffenden" gegründet. Sie organisiert die erste unzensierte Berliner Kunstausstellung nach dem Krieg. Werke von Max Beckmann, Ernst-Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff werden gezeigt – hier in der Schlüterstraße 45. Dieses Gebäude steht unversehrt – wenn auch alles andere im Umkreis völlig zerbombt ist.
Johannes R. Becher: "Wohin wir blicken, weit, weit über unsere Grenzen hinaus: Trümmer, Tod und Tränen. Unendliche Weiten des Leids, nicht ermessbare Strecken des Sterbens. Und aus unserer Mitte ist all dies unsagbare Entsetzen über die Welt hereingebrochen. Nur ein unheilbarer Irrer, nur ein hoffnungslos verstockter Verbrecher können sich da noch der Einsicht verschließen, dass es bei uns, in uns und mit uns gründlich anders werden muss (…) Zu solch einer Wandlung rufen wir auf. Lasst endlich ein wahrhaft freiheitliches, wahrhaft demokratisches Deutschland auferstehen."
Links orientierte Künstler in der Schlüterstraße 45
Im August 1945 hält der Dichter Johannes R. Becher, späterer Kulturminister der DDR, die Gründungsrede des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Adresse dieser Vereinigung: Schlüterstraße 45. Links orientierte Künstler – wie der Regisseur Wolfgang Langhoff oder die Dichter Willy Bredel und Anna Seghers – geben sich die Klinke in die Hand.
Wahrscheinlich schneller als in jeder anderen Großstadt Deutschlands kommt das kulturelle Leben in Berlin wieder in Gang. Hier wetteifern die Alliierten um ihren Einfluss auf die Deutschen.
Und in der Schlüterstraße 45, die zum britischen Sektor gehört, ist das zu besichtigen: Während hier noch der sowjetisch inspirierte Kulturbund tagt, richten die Briten im Haus die Spruchkammer zur Entnazifizierung von Vertretern der Medienberufe und der kulturellen Elite ein. Der Weg in die Schlüterstraße wird für einige NS-Stars zum Gang nach Canossa, weiß Carl-Peter Steinmann:
"Die Spruchkammer, wo sie alle dann auftauchten, ob das Heinz Rühmann, Grete Weiser, Furtwängler und viele andere waren, und dieser Raum, der heute zum Teil als Frühstücksraum dient, ehemals ein Teil des Wohnzimmers von Oskar Skaller, wurde nun eben halt der Raum der Spruchkammer."
"Um meinen bedrohten Freunden zu helfen"
Im heutigen Hotelzimmer mit der Nummer 302 muss sich Gustaf Gründgens verantworten. Der Schauspieler und Intendant des Preußischen Staatstheaters wird freigesprochen. Wilhelm Furtwängler, Chef der Berliner Philharmoniker und Präsident der Reichsmusikkammer, ebenfalls. Beide können beweisen, dass sie jüdischen Kollegen während der Naziherrschaft geholfen haben. Andere sitzen jedoch ziemlich in der Tinte.
Steinmann: "Es gibt ja diesen berühmten Fall Grethe Weiser. Grete Weiser, bei ihr war das ja nun sehr peinlich. Sie hatte immer behauptet, Parteimitglied der ersten Stunde zu sein. Sie war aber gar nicht in die Partei eingetreten. Sie hatte nun das Problem, als sie in Hamburg Theater spielen wollte, dass sie nun dieses Entnazifizierungsverfahren über sich ergehen lassen musste und dort nun erklären musste, warum sie eigentlich in den Unterlagen das damals gefälscht hatte. Dann stellte sich eben halt auch heraus, dass sie sehr, sehr gute Kontakte zu Herrn Hinkel hatte und zu anderen Nazi-Größen, dort regelmäßig eingeladen wurde, und da hat man sie gefragt, warum sie denn das gemacht hat und die Kontakte so genutzt hat. Dann sagte sie eigentlich nur lapidar: Um meinen bedrohten Freunden zu helfen."
Für Grete Weiser hat die Überprüfung keine Folgen: sie darf Theater spielen und ist 1948 mit dem Film "Morgen ist alles besser" auch wieder in den Kinos. Die britische Spruchkammer hat jedoch auch noch andere Aufgaben, die für die Komponisten, Schauspieler und Schriftsteller mindestens genauso wichtig gewesen sein dürften.
Sie sorgt für Lebensmittelrationen und vor allem: sie erteilt die Erlaubnis zum Arbeiten. Im Frühstücksraum des Hotels Bogota vollziehen sich zukunftsweisende Entscheidungen. Der Inhaber Joachim Rissmann:
"Hier hat z.B. auch Axel Springer seine Lizenz zum Drucken bekommen. George Clair – auch interessant – war ein englischer Offizier, der auch deutschstämmig war, der irgendwann nach England gegangen ist, dann als englischer Offizier wiedergekommen ist und der dann Axel Springer diese Lizenz hier erteilt hat. Später war er dann Generalbevollmächtigter von Axel Springer für England."
Als Ort der Diebe, Zyniker und Künstler ausgedient
Während die Engländer in der Schlüterstraße 45 deutsche Kulturschaffende auf Demokratietauglichkeit prüfen und die Amerikaner in Schöneberg den RIAS installieren, wandert der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" in den sowjetischen Sektor Berlins. Die Spannungen zwischen den Westalliierten und den Sowjets hinterlassen die ersten kulturellen Spuren.
Als 1949 zwei deutsche Staaten gegründet werden, hat das Haus in der Charlottenburger Schlüterstraße als Ort der Diebe, Zyniker und Künstler ausgedient. Es ist nur noch eine – immerhin intakte – Immobilie eines von den Nazis enteigneten Juden, dessen Schicksal keiner kennt.
In den 50er-Jahren kauft der Deutsche Gewerkschaftsbund das Haus. 1964 verkauft er es wieder.
Hotel Bogota – der Name geht auf den jüdischen Geschäftsmann Heinz Rewald zurück. Er war vor den Nazis nach Kolumbien geflohen und hat es dort zu einigem Reichtum gebracht. Ab 1964 erwirbt er nach und nach die Pensionen der Konkurrenz im selben Haus. Er vergrößert sein Hotel, wobei er es kaum verändert und nur die nötigsten Umbauarbeiten vornimmt.
1976 verkauft er das Haus an Steffen Rissmann, den Vater der heutigen Mieter Alexandra und Joachim Rissmann. Bis heute bleibt das Bogota ein Hotel – aber nicht nur: Es wird auch wieder ein Ort der kulturellen Aktivitäten: Lesungen, Fotoausstellungen und Tango-Abende. Der Stadterzähler Carl-Peter Steinmann:
"Viele Leute, gerade aus dem Medienbereich, würden sonst normalerweise in einem teureren Hotel absteigen, wo vielleicht der Komfort größer ist. Nein, wer also die Geschichte des Hauses kennt, der weiß, was das für ein Gefühl ist, in diesem Haus abzusteigen. Natürlich hat man Wireless LAN für sein Notebook im Haus. Wenn aber dann das Notebook mal versagt, dann kann man runtergehen an die Rezeption und dort wird bereitgehalten eine Reiseschreibmaschine der Marke Erika aus dem Jahr 1953, und da kann man dann das Notebook ohne weiteres ersetzen."
Auch das wird allerdings bald Geschichte sein. Mitte Dezember muss das Hotel Bogota wegen Mietschulden die Räume in der Schlüterstraße 45 geräumt an den jetzigen Hausbesitzer übergeben.
Die Konkurrenz im Berliner Hotelwesen ist zu groß, als das ein Hotel wie das Bogota überleben kann. Hochwertige Büroräume sollen hier nun entstehen. Verloren geht dabei ein Stück Berliner Stadtgeschichte.