Horst Bredekamp: "Michelangelo"

Die Summe eines ganzen Forscherlebens

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Das Buchcover von Horst Bredekamps Sachbuch " Michelangelo" auf pastell farbenen Hintergrund.
Ein Kunstbuch als echtes Ereignis: Horst Bredekamps "Michelangelo". © Verlag Klaus Wagenbach / Deutschlandradio
Von Michael Opitz  · 19.08.2021
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Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp beschäftigt sich seit einem halben Jahrhundert mit Michelangelo. Sein neustes Buch ist eine umfassende, prächtige und lustvoll zu lesende Darstellung des Renaissance-Künstlers.
Für manchen Zeitgenossen besaß Michelangelo, den die Nachwelt als den "Göttlichen" adelte, durchaus "schreckliche Züge". Dass das Werk des 1475 geborenen Renaissance-Genies allerdings unvergleichlich ist – es beansprucht heute einen bleibenden Platz in der Kunst- und Architekturgeschichte –, darüber herrschte und herrscht Einigkeit: Die Pietá in Rom, die, geschützt hinter einer Scheibe aus Panzerglas, die Blicke der Besucher des Petersdoms auf sich zieht, der David, kolossal in seiner Größe, festgehalten von Michelangelo in jenem Moment, als er Goliath erblickt. Und unvergessen bleiben jedem, der sie gesehen hat, die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle in Erinnerung – ein überwältigendes Bildensemble von einzigartiger Schönheit.

Große Aufmerksamkeit für Details

Wenn der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp angesichts dieses gigantischen Werkes die Aufmerksamkeit nun auf die rechte Hand des "Sterbenden Gefangenen" lenkt, weil sie für ihn "zum Eindrucksvollsten (gehört), das je in Marmor geschaffen worden ist", klingt dies erst einmal nach einer verwegenen These.
Da Bredekamp aber zu zeigen vermag, wie der "Kraftverlust" des Sterbenden seinen adäquaten Ausdruck in der Handhaltung findet, ist seine These mehr als plausibel. Es ist die Aufmerksamkeit dem Detail gegenüber, durch die sich Bredekamps monumentales Michelangelo-Buch auszeichnet, das den Abschluss einer jahrzehntelangen Forschungsarbeit bildet.
Auf der Grundlage seines umfassenden fachlichen Wissens hat Bredekamp eine spannend zu lesende Künstlerbiographie geschrieben, in der er erzählend entwickelt, was es in Michelangelos Werk zu entdecken gibt. Wie spannend Kunstgeschichte sein kann, dafür ist Bredekamps "Michelangelo"-Buch nicht ein, sondern DAS Beispiel.

Vom Auftrag zum Marmorblock

Sprachlich elegant ordnet der Autor Details in die Werkzusammenhänge ein, wenn er, ausgehend vom Werk, Querverbindungen zu den Kunstwerken der Zeitgenossen zieht. Darüber hinaus verweist er auf antike Vorbilder, etwa die Laokoon-Gruppe, die Michelangelo studiert und an der er sich orientiert hat.
So entsteht vor dem Hintergrund der Kunstepoche, in der Michelangelo gewirkt hat, sowohl das Bild eines unermüdlich arbeitenden Künstlers als auch eine minutiös nachgezeichnete Werkgeschichte. An der David-Figur etwa zeigt Bredekamp, wie sich Michelangelo zunächst den Auftrag und schließlich den "verschlagenen" Block sicherte, wie er die David-Figuren seiner Zeitgenossen Donatello und Verocchio studierte, um dann aus dem eigentlich schon aufgegeben Marmorblock eine Figur hervorzuzaubern, die in ihrer ausgestellten Lässigkeit dennoch hochkonzentriert ist und sich bereit zeigt für den bevorstehenden Kampf gegen den Riesen Goliath.

Ein formvollendet gestaltetes Buch

Bredekamps sich in vier Teile gliederndes Michelangelo-Buch ist ein Lesevergnügen. Als Kunstbuch ist der Prachtband ein Ereignis. Ausdrücklich muss der Wagenbach Verlag für dieses leinengebundene, in seiner formvollendeten Gestaltung überaus gelungene Buch gelobt werden.
Durchgängig bebildert, wobei sich mehrfarbige Abbildungen auf beinahe jeder Seite finden, weiß man als Leser stets, worauf sich Bredekamps Ausführungen beziehen. Angesichts von so viel kunsthistorischer und buchgestalterischer Verzauberung wird das Umschlagen jeder einzelnen Buchseite von einem leisen Bedauern begleitet. Denn umblätternd rückt das Ende der Lektüre dieses mehr als achthundert Seiten umfassenden, faszinierenden Werkes unweigerlich näher.

Horst Bredekamp: "Michelangelo"
Wagenbach Verlag, Berlin 2021
810 Seiten, 89 Euro

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