Flüchtlinge

Willkommen in Barnstedt

Christian von Estorff sitzt vor dem Herrenhaus des Ritterguts Barnstedt in Barnstedt (Kreis Lüneburg).
Das Dörfchen Barnstedt ist nicht nur beschaulich, sondern auch weltoffen. © dpa / picture alliance / Hans-Jürgen Wege
Von Alexander Budde · 04.11.2014
Im kleinen Dorf Barnstedt bei Lüneburg leben seit einem Jahr 18 Flüchtlinge. Erst waren viele der 700 Bewohner verunsichert: Was sind das für Menschen? Was erwarten die? Bis ein benachbartes Ehepaar einen Entschluss fasste.
Vera Geldmacher und ihr Mann Egbert Bolmerg sind zu Besuch bei ihren Nachbarn. Kinder drängen heran. Sie lotsen die Besucher tiefer in den ehemaligen Gasthof aus rotem Backstein hinein, der den Afrikanern als Unterkunft dient.
Egbert Bolmerg: "Hallo Sami!"
Vera Geldmacher: "Und hier versteckt sich eine kleine Maus, die heißt Rawa. Rawa hat hier eine kleine Schwester bekommen, die heißt Fatma. Bei der Geburt war ich mit dabei."
Die kleine Küche ist so vollgestellt mit Tischen, Stühlen, Getränkeflaschen und Konserven, dass man sich kaum darin umdrehen kann. An der Anrichte steht Ibrahima, die eigentlich anders heißt. Ibrahima braut Tee mit reichlich Zucker und Kardamon. Bolmerg, der im Rat der kleinen Gemeinde sitzt, schaut zu, wie seine Frau durch Ibrahimas Schleier hindurch Wangenküsse im runden Gesicht der Sudanesin verteilt. Der drahtige Endfünfziger erinnert sich noch gut, was ihm durch den Kopf ging, damals, im November vorigen Jahres, als die Flüchtlinge kamen:
"Bei mir war zunächst eine große Verunsicherung, weil ich gar nicht einschätzen konnte, was sind das für Menschen? Was erwarten die? Wie soll ich denen gegenübertreten? Muss man gleich mit Hilfeleistungen kommen? Kulturelle Unterschiede? Ich habe eigentlich nur Fragezeichen gehabt."
Menschenleiber in überfüllten Booten, tausendfacher Tod auf dem Mittelmeer: Für Vera Geldmacher hatten die Flüchtlinge aus dem Fernsehen plötzlich Gesichter bekommen.
"Wir waren betroffen von der Situation der Flüchtlinge weltweit und hatten uns fest vorgenommen, zu helfen. Das war für uns selbstverständlich."
Gastfreundschaft ist Konsens - gerade unter den Älteren
In der Dorfgemeinschaft ist die Gastfreundschaft Konsens, sagt Geldmacher wie beiläufig – und versenkt einen weiteren Zuckerwürfel in ihrer Teetasse. Gerade die Älteren seien für ihre zupackenden Initiativen bekannt. Nach dem Krieg waren hier schon einmal Flüchtlinge auf engstem Raum mit Kind und Kegel einquartiert.
"Die Überlegung war dann, erst mal einfach hinzugehen und zu fragen, wie es ihnen dort geht, ob sie Hilfe benötigen. Und das war dann höchst einfach. Als wir dann wirklich losgegangen sind, haben wir einfach geklingelt - und sofort wurde die Tür geöffnet, wir wurden hineingewunken."
Auch Jens Thomsen gesellt sich jetzt dazu. Er macht mit bei der Bürgerinitiative. Im Hof rückt er mit den Männern Stühle in die fahle Sonne. Vor elf Jahren ist der Werber aus Hamburg in das von allem weit abgelegene Barnstedt mit seinen kaum mehr als 700 Einwohnern gezogen. Im Einsatz für die Flüchtlinge seien sie alle zusammengerückt, meint er:
"Dieser Prozess hat mich persönlich sehr viel mehr ins Dorf reingebracht als ich vorher drin war. Es hat einmal die Verbindung mit Leuten, die aus der Welt hier hergekommen sind, stattgefunden und innerhalb der dörflichen Gemeinschaft hat auch nochmal ein Prozess zu mehr Nähe und Nachbarschaftlichkeit stattgefunden."
Lehrer geben Deutschunterricht, ein Bauer bietet Land an
Thomsen erzählt vom Lehrer-Ehepaar, das den Afrikanern zweimal die Woche Deutschunterricht gibt, während andere Dorfbewohner die Kinder hüten. Und von seinen sonst so schweigsamen Nachbarn. Die aus ihrem Bett gesprungen sind, als eine verzweifelte Mutter aus dem Flüchtlingsheim eines Nachts an der Tür klingelte, ihr fieberndes Kind auf dem Arm.
"Wo es überhaupt kein Vertun gab. Und man fuhr dann nachts mit denen ins Krankenhaus. Das sind etwas zurückhaltende Menschen, so im normalen Alltag. Das fand ich großartig!"
Er fühle sich willkommen in Barnstedt, sagt Omar. Dennoch würden die Flüchtlinge lieber in der nächstgelegenen Stadt Lüneburg wohnen. Der Sudanese, Jahrgang 1977, trägt ein müdes Lächeln im Gesicht. Auch er will seinen richtigen Namen nicht im Radio hören:
"Das Problem ist, dass wir hier im Dorf selbst keinen Laden zum Einkaufen haben. Es gibt auch keinen Arzt. Wir haben kein Internet. Und wenn wir mit unseren Angehörigen telefonieren wollen, dann hilft es, auf einen Hügel zu steigen."
Auch Ibrahima erzählt von Streitereien und drangvoller Enge im Haus. Dazu kommt die Ungewissheit der vorerst nur Geduldeten, die Sorge um ihren Mann, von dem sie keine Nachricht hat, seit die Familie in Libyen getrennt wurde.
Dass sie an ihrem Fluchtpunkt Deutschland zum Nichtstun verurteilt sind, belastet die Menschen besonders. Auch hier versucht die Bürgerinitiative zu helfen. Die verlassene Tischlerwerkstatt will man beleben, um den jüngst Zugezogenen eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Ein Bauer hat den Afrikanern ein Stück seines Ackers überlassen, damit sie zur Selbstversorgung Kartoffeln und anderes Gemüse anbauen können. Und drei ältere Flüchtlingskinder helfen schon mit bei der Freiwilligen Feuerwehr von Barnstedt.
Mehr zum Thema