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Abschied von Osho
Die Rückbesinnung auf das spirituelle Erbe Bhagwans

In den 1970er-Jahren trat der Inder "Rajneesh" Chandra Mohan Jain als spiritueller Lehrer auf und gründete den weltweit bekannten Ashram in Poona und die Sannays-Bewegung. Da Osho, wie er sich später nannte, immer häufiger in die Kritik geriet, besinnen sich viele seiner Anhänger von heute wieder auf den Anfang der Bewegung zur Bhagwan-Zeit.

Von Margarete Blümel | 25.06.2014
    Der umstrittene indische Guru und Sektenführer Bhagwan Shree Rajneesh 1984 mit Anhängern in seiner Kommune "Rajneeshpuram" in Antelope im US-Bundesstaat Oregon.
    Der umstrittene indische Guru und Sektenführer Bhagwan Shree Rajneesh 1984, später nennt er sich Osho. (dpa/Dieter Klar)
    "Ich rede, um dir zu helfen, still zu sein. Ich spreche, damit du über Worte hinaus gehen kannst. Ich benutze Worte, um dir zu helfen, wortlos zu werden. Es ist, als hätte man einen Dorn im Fuß: Mit einem anderen Dorn zieht man ihn raus. Dein Kopf ist voller Worte, so viele Worte und soviel Geschnatter."
    "Aber dann waren die Menschen von meinen Worten berauscht, das war nicht meine Absicht. Ich habe immer darauf bestanden: Kümmert euch nicht um meine Worte, kümmert euch um meine Stille, um die Lücken zwischen meinen Worten, die Lücken zwischen den Zeilen."
    Bhagwan, der sich später Osho nannte, wollte seine Anhänger nicht mit schönen Reden in eine esoterische Lehre einführen, sondern er wollte gerade über diese gängigen Angebote spiritueller Praktiken hinaus führen.
    Der Religionswissenschaftler Professor Frank Neubert von der Universität Bern:
    "Das eine ist, dass er, als Philosoph, provozieren wollte. Das hat Osho auch immer wieder gesagt, und das wird auch von seinen Anhängern immer wieder betont. Er möchte provozieren. Und diese ständigen Widersprüche, das immer Neue, das er einbringt und das dem Alten zu widersprechen scheint, das ist dazu gedacht zu provozieren, das Denken anzuregen und so den Anhängern und auch der ganzen Welt eigentlich auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen auch religiöser Art zu verhelfen."
    "Die Leute fragen mich: 'Was kommt nach dem Tod?' Und ich frage zurück: 'Wisst ihr denn überhaupt, was vor dem Tod kommt?' Und sie sehen mich an, als machte ich Witze. Ich mache nie Witze, ich sage euch nur die Wahrheit! Aber weil ihr noch nicht mit euren Wünschen und Sehnsüchten abgeschlossen habt, wollt ihr nichts von der Wahrheit wissen."
    Bhagwans Ashram im indischen Poona wurde gerade für viele jüngere Leute aus der gesamten westlichen Welt zu einem attraktiven Pilgerort neuer Religiosität. Frank Neubert:
    "Die Bewegung von Bhagwan oder später dann Osho setzt sich sehr stark aus intellektuellen, gebildeten Kreisen zusammen. Und das hängt sicherlich damit zusammen, dass die sogenannte Gegenkultur oder die Protestbewegung der Sechziger und Siebziger Jahre sich sehr stark aus diesen Kreisen, aus Studentenkreisen, Intellektuellenkreisen, zusammensetzt."
    Anklang in Europa und den USA
    Da Bhagwan sich selbst intensiv mit vielen religiösen und philosophischen Traditionen beschäftigt hatte, verfügte er auch über die passende Sprache, um Anklang bei den Intellektuellen aus Europa und den USA zu finden.
    "Bei Osho kommt noch verstärkend hinzu, dass er selbst diesen intellektuellen Kreisen in Indien entstammte, weil er Philosophie studiert hatte und Philosophie an einer Universität unterrichtet hat. Und dann im Laufe der Zeit zusätzlich zu seiner universitären Lehrtätigkeit auch versucht hat, seine eigenen religiösen Erweckungsergebnisse zu vermitteln."
    John Andrews vom Osho International Meditationszentrum im indischen Pune:
    "Osho hat versucht, den Leuten klarzumachen, welchen Missverständnissen sie aufsitzen, wenn sie Begriffe wie spirituell, religiös oder esoterisch verwenden. Und dass die irdische und die sogenannte spirituelle Welt eins sind - sie sind beide Ausdruck eines Phänomens, welches als 'Leben' bezeichnet wird."
    "Jeder tröstende Glaube wird dir genommen, der Glaube, der dir ein bestimmtes Vertrauen gab, eine bestimmte Stabilität, ein bestimmtes Gefühl, zu einer großen Tradition zu gehören, einer respektablen Religion mit heiligen Büchern, einem Messias, Vertretern Gottes. Du hattest all diese Dinge, die dich umgaben. Ich versuche dich von alle dem abzubringen, was dir Geborgenheit gibt und dich dabei dein Leben verschlafen lässt. Glaube ist Opium, das dir alle Religionen in guten Dosen gegeben haben. Ich versuche, deine Abhängigkeit vom Opium zu zerstören. Mein ganzes Bemühen ist, dich allein zu lassen."
    Grundlegende Veränderungen im Laufe der Jahre
    Frank Neubert: "Im Vergleich zur Hare-Krishna-Bewegung muss man sagen, dass die Osho-Bewegung viel moderner ausgerichtet ist. Bhagwan–Osho hat sich geöffnet und verschiedene Traditionen zusammenfließen lassen. Also sowohl Einflüsse aus dem Hinduismus, mit Tantra, mit tantrischer Religiosität, mit Guru-Verehrung, aber auch mystische Einflüsse aus dem Islam und in ganz besonderer Weise die westlichen Ideen, die er selber aus der Philosophie mitgebracht hat. Viele Praktiken waren direkt von Osho selbst oder in der Bewegung von Anfang an als therapeutische Praktiken angelegt. Also man legte viel Wert darauf, das nicht als Rituale bezeichnet zu wissen oder als religiöse Praxis, sondern tatsächlich als Therapietechnik. Es geht darum, selbst zur Erkenntnis zu gelangen, sich als Individuum auch religiös zu vervollkommnen."
    Und was einst in einem schlichten indischen Ashram nach der klassischen Tradition eines Gurus begonnen hatte, veränderte sich im Laufe der Jahre grundlegend. John Andrews:
    "Ein grundlegender Wandel kündigte sich dann 1989 an: Osho hielt eine Rede, im Zuge derer er uns die Umwandlung des damaligen Ashrams in ein Urlaubs- und Meditationsresort ankündigte. Im Jahr zuvor hatte er seinen Namen Bhagwan abgelegt und sich in Osho umbenannt. Nun das - hier in Poona, wo er seine Meditationstechniken vertieft und Therapieangebote aus der Humanistischen Psychologie entwickelt hatte, wo er in den Jahren bis vor seinem Tod in täglichen Vorträgen vor allem auf Zenmeister eingegangen war - hier also sollte nach seinem Willen eine Art 'Club Med' entstehen. Mit Swimming Pool, Sauna, Jacuzzi, Fitnesscenter, Disco... Mit allem, was man sich nur denken kann - aber mit einem Unterschied: All diese Dinge werden mit meditativen Komponenten verknüpft."
    "Was ist Spiritualität? Was ist Erleuchtung? Alles Unsinn! Es gibt keine Spiritualität, es gibt keine Erleuchtung. Wer dies erkannt hat, ist erleuchtet! Das ganz gewöhnliche Dasein zu leben, zu genießen, zu lieben, zu tanzen, zu singen, schöpferisch zu sein - das ganz gewöhnliche Dasein mit einer außerordentlichen Intensität, mit Leidenschaft: Das ist Erleuchtung.
    Doch du suchst offenbar nach irgendeiner esoterischen Antwort. Ich habe etwas gegen alles Esoterische."
    Frank Neubert: "Jeder, der sich selbst erfolgreich de-programmieren kann von den Konditionierungen der westlichen, der materiellen Welt, braucht dann andere spirituelle Wahrheiten oder andere Formulierungen spiritueller Wahrheiten, um selbst zur Erkenntnis zu gelangen, und jeder darf dann auch die entsprechenden rituellen, religiösen Praktiken oder Therapiepraktiken für sich entdecken und durchführen, je nachdem, wie es ihm gerade auf seinem spirituellen Weg weiterhilft."
    Mehr Wellness-Zentrum denn Ashram
    Auch Osho, der in seiner Anfangszeit sehr asketisch lebte, hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Sein Lebensstil wurde immer extravaganter. Er liebte große und teure Autos und andere Luxusgüter. Die führte dazu, dass ein Teil der Anhänger ihn kritisierte und sich sogar von ihm abwandte. Die Zahl der Sannyasins, also der Osho-Anhänger, hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren stark verringert. Dennoch gibt es auch heute vor allem im indischen Poona noch treue Osho-Verehrer, wie Nava, die in der Nähe des Osho-Zentrums lebt und besonders gern an die Zeiten des schlichten Ashrams zurückdenkt.
    "Heutzutage gibt es Viele, die schlecht über den Ashram von Poona reden. Auch ich gehöre zu denen, die immer noch vom Ashram sprechen, obwohl er in Osho International Meditation Zentrum umbenannt worden ist - das heißt, die Nachfolger Oshos versuchen sich durch diese Umbenennung gegen frühere Zeiten abzugrenzen. Außerdem werden sie auch kritisiert, dass bei ihnen heute der Kommerz an erste Stelle stehe."
    In der Tat ist das gesamte Osho-Zentrum in Poona heute einem exklusiven Wellness-Zentrum ähnlicher als einem schlichten Ashram. Nava:
    "Mittlerweile sind auch die Preise derart in die Höhe angestiegen, dass eine bestimmte Klientel, nämlich viele jüngere Leute, sich den Aufenthalt nicht mehr erlauben können. Das ist beabsichtigt. Die Betreiber wollen keine Rucksackreisenden. Das Osho-Zentrum ist auf diese Weise fast zu einer geriatrischen Einrichtung geworden. Vor allem die betuchten Älteren aus Bhagwan-Zeiten, die oft über 60 oder 70 sind, kommen hierher. Wenn man also die jungen Leute weiter aussperrt, wird es das Osho-Zentrum hier bald nicht mehr geben."
    "Und vergiss nicht: Ich wollte nie jemandes Meister sein. Aber die Leute wollen einen Meister, sie wollen Schüler sein, also habe ich diese Rolle gespielt. Jetzt aber ist es Zeit, euch zu sagen, dass viele von euch bereit sind, mich als Freund anzunehmen."
    John Andrews vom Osho International Meditionszentrum:
    "Oshos berühmtgewordene Antwort auf die Frage, wie er gern in Erinnerung bleiben würde, lautet: Bitte vergebt mir - und vergesst mich! Wie lange schon spuken Jesus, Krishna und der Jaina-Heilige Mahavir in euren Köpfen herum - und es hat euch nicht geholfen. Besinnt euch auf euch selbst. Und nochmals - vergebt mir. Denn es wird euch sehr schwerfallen, mich zu vergessen!"