Hommage an eine Mode-Ikone

26.12.2011
Schon wieder Chanel? "Chanel. Ein Name – ein Stil" ist das dritte Buch über die große Modepionierin in diesem Jahr. Mit 230 farbigen Abbildungen berühmter Fotografen wie Richard Avedon, Helmut Newton oder Annie Leibovitz belegt der opulente Bildband eindrucksvoll, wie das Modehaus Chanels Jerseykleider, das Kleine Schwarze oder das Tweed-Kostüm bis heute immer wieder neu interpretiert.
Klarer Fall - dem Designer und Modehistoriker Jérôme Gautier geht es um die schönen Bilder: In seinem Buch versammelt er Werbekampagnen des Hauses Chanel von 1924 bis heute. Die älteste Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt ein Model mit kurz geschnittenem Bubikopf in weich fließendem Jersey-Kleid und einer weißen Perlenkette um den Hals. Prototyp der emanzipierten Frau der 1920er-Jahre, für die Coco Chanel ihre elegante Mode ganz ohne Korsett und Stützstrümpfe entwarf.

75 Jahre später schickt die Fotografin Annie Leibovitz das Model Kate Moss in einem ebenso fließenden Abendkleid aus halbtransparenten weißen Stoffbahnen durch eine leere Fabrikhalle – der Schnitt und die Präsentation hat sich geändert, doch die schlichte Eleganz von Kleidern der Marke Chanel ist geblieben. Jérôme Gautiers direkte Gegenüberstellung von Werbeaufnahmen aus unterschiedlichen Epochen rücken das modische "Vokabular" des Hauses Chanel in den Blick. Die Jersey-Linie, das Tweed-Kostüm – woher kommt dieser Stil, was hat ihn inspiriert? Mit dieser Frage durchforstet Gautier das Leben von Mademoiselle Chanel.

Auf ihre Kindheit im Kloster etwa führt Gautier die klaren Linien, Chanels Vorliebe für die Farben Schwarz und Weiß und die Durchsetzung ihres "ärmlichen Chics" gegen den überladenen Stil der Belle Époque zurück. So sieht der Autor im Kleinen Schwarzen oder den weißen Blusen Anklänge an die schlichte Tracht der Nonnen, bei denen Coco Chanel aufwuchs. Die Verwendung von Tweed für das Chanel-Kostüm der 1950er-Jahre bringt Gautier dagegen in Verbindung mit diversen englischen Liebhabern – insbesondere mit Hugh Richard Arthur Grosvenor, dem zweiten Herzog von Westminster, in dessen Garderobe sie das grobe Tweed-Gewebe für sich entdeckt habe.

Der zweite Schwerpunkt von "Chanel. Ein Name – ein Stil" liegt auf dem stilistischen Dialog zwischen Coco Chanel und dem Designer Karl Lagerfeld, der das Modehaus seit 1983 führt. Noch immer sind das Kleine Schwarze oder das Chanel-Kostüm fester Bestandteil der Kollektionen – doch heute kombiniert Lagerfeld das Kostüm etwa mit ultraknappen Hotpants oder Jeans. Gautiers Idee, das Spiel mit den Emblemen im Hause Chanel über neun Jahrzehnte zu verfolgen, ist reizvoll und neu. Leider setzt er dieses Konzept nicht immer konsequent um. Statt einer stringenten Gegenüberstellung verbleibt der Autor textlich mehr bei Coco Chanel als Person. Dabei schöpft Gautier nur äußerst selektiv aus ihrer Biografie - so ist ihm Chanels Kooperation mit den Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren kaum eine Erwähnung wert.

"Chanel. Ein Name – ein Stil" ist eine Hommage an Chanel, die in erster Linie mit großformatigen Werbeaufnahmen der berühmtesten Modefotografen und schönsten Models aus neun Jahrzehnten besticht. Ein wunderbarer, hochkarätiger Bildband zum Durchblättern bei Tee und Weihnachtsgebäck. Für die Fakten über das Leben der Coco Chanel ist man jedoch mit einem Wikipedia-Artikel besser bedient – oder man kauft sich eine der bereits erschienenen Chanel-Biografien dieses Jahres.

Besprochen von Tabea Grzeszyk

Jérôme Gautier: Chanel. Ein Name - ein Stil.
Übersetzt aus dem Französischen von Anne Kraume.
Prestel-Verlag, München, London, New York 2011, 304 Seiten, 69 Euro

Links bei dradio.de:

Psychogramm einer gnadenlosen Opportunistin
Hal Vaughan: "Coco Chanel. Der Schwarze Engel. Ein Leben als Nazi-Agentin", Hamburg 2011, 415 Seiten


Sie schuf das Image der modernen Frau
Justine Picardie: "Chanel - Ihr Leben", Steidl Verlag, Göttingen 2011, 432 Seiten
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