Holzwege ins Unbestimmte

Von Jochen Stöckmann |
Die Werke des Bildhauers Stephan Balkenhol sind in der Hansestadt allgegenwärtig, wie beispielsweise die riesige Giraffe vor Hagenbecks Tierpark. Nun zeigen die Deichtorhallen die bisher umfangreichste Schau des Künstlers. Zu sehen sind Skulpturen, Reliefs, Wandbilder und Fotografien.
Ein Baumstamm, oben knorrig verästelt, unten mit glattem, schwarz übermaltem Sockel, ragt in das Eisenträger-Gewölbe der Hamburger Deichtorhalle hinein. Vier Männerfiguren, plastische Reliefs, springen in einem zurückhaltenden, eher stillen denn fröhlich lärmendem Ringelreihen aus dem Holz hervor – obwohl sie doch deutlich sichtbar hineingeschnitzt, ja gehauen wurden.

Von Anfang an spielt die Retrospektive mit der Frage, ob der Künstler mit dem Material arbeitet, sich von der Struktur des Holzes beeinflussen lässt, oder aber der gewachsenen, organischen Natur sein Bild, seine Idealvorstellung aufzwingt. Wie also haben Sie das gemacht, Herr Balkenhol?

Stephan Balkenhol: "Wenn ich eine Skulptur anfange, dann projiziere ich ein Stück weit hinein und ein Stück weit kommt einem die Figur oder die Schöpfung sozusagen entgegen. Zum Beispiel diese sehr große Arbeit am Eingang, die oben sozusagen roh belassen ist und unten die vier Figuren reingehauen sind, das ist halt ein Stamm mit einer ganz starken Eigendynamik und einem ganz eigenen Charakter – da kann man nicht irgendwas daraus machen."

Also ist jedes Holz für einen ganz besonderen Charakter gut, so, wie bei den vier kaum meterhohen Eckenstehern, die in einem der zahlreichen Säle und Kabinette eine dreimal so große Nackte umlagern? Im Balkenholschen Standard-Look – weißes Hemd, schwarze Hose – unterscheiden sich die Herren in ihrem Winkel durch die Haltung der Hände: mal in den Taschen vergraben, dann angewinkelt in der Hüfte, locker herabhängend an der Hosennaht – nur der letzte hat sich vom Objekt der Begierde abgewandt.

Stephan Balkenhol: "Die Haltungen sind ja nicht in irgendeiner Form erzählerisch, in dem Sinne, daß die Gesten irgendetwas ausdrücken. Nur ist es ja nun so: Man muss irgendwie dastehen! Man kann ja nicht keine Haltung haben. Insofern sind es eigentlich alles mehr oder weniger belanglose Situationszustände, wie man eben so steht: Variationen der Möglichkeiten, die es überhaupt gibt."

Diese Vermeidung noch der geringsten Spur von Pathos und Monumentalität ist bemerkenswert bei einem Künstler, der im Unterschied zu seinem Lehrer, dem Steinbildhauer Ulrich Rückriem, fast ausschließlich figurativ arbeitet, in alter Skulpturen-Tradition zur menschlichen Gestalt zurückgekehrt ist. Doch im Gegensatz zu den Renaissance-Helden bleiben bei Balkenhol selbst überdimensionale, vor farbigen Hintergründen arrangierte Holzbüsten unspektakulär, allerdings auf eigenartig beunruhigende Weise.

Stephan Balkenhol: "Für viele Betrachter war es unbegreiflich, dass ein Abbild oder ein Kopf in der Stadt steht, ohne daß da jetzt jemand ganz bestimmtes da steht. Das erzeugt eine gewisse Hilflosigkeit, dass man es nicht aushält, dass das jetzt nichts repräsentiert oder etwas Bestimmtes darstellt."

Angefangen hat das alles in Hamburg, mit dem Studium und den ersten Kunstprojekten für den öffentlichen Raum. Holz-Herren, die auf Bojen in der Elbe verankert wurden, ein erwachsener Mann, der den langen Hals einer Siebeneinhalb-Meter-Giraffe hinabrutscht und jetzt – aktuell zur großen Retrospektive – eine Keramikgestalt, die im Giebelfeld der Deichtorhalle hockt.

Stephan Balkenhol: "Ich fand das eigentlich ganz gut, dass Hamburg damals keine Kunstmetropole war. Ich weiß nicht, ob es heute eine ist. Jedenfalls gibt es, glaube ich, viele andere Baustellen als die Kunst. Das fand ich aber immer sehr angenehm, weil man eben auch ganz normale Menschen trifft und nicht an jeder Kneipe gleich einen Künstlerkollegen oder Galeristen."

Das klingt behäbig, aber Kreuz- und Querblicke durch die von Balkenhol zusammen mit Deichtorhallen-Direktor Robert Fleck arrangierte Schau fördern dann doch erstaunliches zutage, zeigen Entwicklungssprünge und Bruchlinien. Etwa die jüngsten Wandreliefs mit Zahnrädern und maschinenähnlichen Gebilden, die auf den ersten Blick wie Ölgemälde ausschauen.

Stephan Balkenhol: "Ich bin ja kein Maler, ich kann nicht malen und ich will auch nicht malen. Für mich sind das immer noch Reliefs, weil zu erst einmal dreidimensional angelegt sind und erst nachträglich dann die farbige Fassung bekommen. Es ist natürlich eine Überschneidung, weil ich dann mit Farbe so arbeite, dass ich auch Schatten anbringe. Ich steigere sozusagen die Räumlichkeit, die ich ja schon dreidimensional erzeugt habe durch das Hauen in das Holz."

Vier ältere Reliefs, Stadtansichten der Hamburger Grindelhochhäuser, Tokio bei Nacht oder eine Landschaftsszene der Sächsischen Schweiz konfrontiert Balkenhol mit kleinen Figuren aus seinem Fundus, mit einer jungen Frau, die nur eine Servierschürze trägt, und dem Mann ganz in Silber. Einerseits steigern die Holzskulpturen die räumliche Wirkung, andererseits beweisen sie in dieser Konstellation, dass Balkenhol sich nicht auf sein Markenzeichen verlässt, dass er Neues in Angriff nimmt – auch wenn der Ausgang noch ungewiss ist wie bei den mannshohen Wandtafeln, die frei in der großen Halle stehen. Auf der einen Seite Krakelzeichnungen von der Hand seines kleinen Sohnes, auf der anderen Seite eine klassische Vedute der NS-Architektur am Strand von Rügen.

Stephan Balkenhol: "Diese Prora-Sache, da bin ich mir auch noch nicht so ganz im Klaren. Ich bin da zufällig mal hingeraten und war bass erstaunt über diese Monumentalität und diese Gleichförmigkeit. Aber es ist so ein Reiz des Schauerlichen im Grunde. Man kann sich nicht vorstellen, dass das mal als Ferienanlage gedacht war. Da habe ich das eben ausgewählt, weil es sich auch von der Dimension her gut eignet für so eine große Platte. Das ist eine Unendlichkeit von Architektur."

Da zeigt sich Balkenhol nach seiner Arche-Noah-Kollektion mit Löwen auf dem Sammlerregal, mit Elefantenmenschen oder einer halben Hundertschaft possierlicher Pinguine, die auf hohen Sockeln einen ganzen Saal bevölkern plötzlich aus ganz anderem Holz geschnitzt. Oder bleibt er sich im Kern doch gleich?

Stephan Balkenhol: "Vielleicht ein bisschen Ironie oder Humor ist schon dabei. Also ich glaube, es ist ein guter Weg, um ernste Sachen zu beleuchten. Und ich schätze es immer positiv, wenn Künstler oder auch Politiker sich selber nicht so ernst nehmen, sondern auch in der Lage sind, über sich selber zu schmunzeln. Ich gebe das vielleicht manchen von meinen Skulpturen mit auf den Weg, in der Hoffnung, dass es dann auf die Betrachter abfärbt."