Holter: Nachdenken über drittes Konjunkturpaket

Helmut Holter im Gespräch mit Christopher Ricke · 23.04.2009
Helmut Holter, Fraktionschef der Partei Die Linke im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns, hat von der Politik klare Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Wirtschaftskrise gefordert. Es müsse über ein drittes Konjunkturpaket nachgedacht werden.
Christopher Ricke: Es wird tatsächlich immer noch schlimmer. Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um fünf Prozent einbrechen, das haben gestern erklärt der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und der Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Wirtschaftsforscher werden heute Zahlen vorlegen, und die werden noch schlechter sein, sechs Prozent wird es da heißen, so wird zurzeit schon berichtet.

Was das für den Arbeitsmarkt bedeutet, das kann man sich vorstellen. Nach dem überraschend starken Anstieg der Arbeitslosigkeit im März ist weit und breit kein Frühjahrsaufschwung in Sicht, der Sommer wird bitter, der Herbst und der Winter sowieso.

Ganz finster wird es, wenn man überschlägt, wie viele Menschen in Kurzarbeit sind und in durchaus absehbarer Zeit dann arbeitslos werden könnten. Das dicke Ende kommt also erst noch. Ich spreche jetzt mit Helmut Holter. Er ist der neue Landtagsfraktionschef von Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag, er ist der ehemalige Landesarbeitsminister. Guten Morgen, Herr Holter!

Helmut Holter: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Jetzt gab’s ja gestern den Krisengipfel der Kanzlerin mit Vertretern von Unternehmen, Banken, Verbänden und Gewerkschaften. Die Botschaft: Wir gehen durch ein tiefes Tal der Tränen, müssen es aber ohne weiteres Konjunkturpaket schaffen. Sind das die Botschaften, mit denen man in Mecklenburg-Vorpommern gut leben kann?

Holter: Nein, überhaupt nicht. Solche Gipfel und hier in Mecklenburg-Vorpommern Räte sind gute Runden, über die man sprechen kann und in denen man über die konkrete Situation, dieses Tal der Tränen sprechen kann, aber Wege aus der Krise werden nicht aufgezeigt. Und die Politik ist handlungsunfähig in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern, und es kann so nicht weitergehen, es sind klare Ansagen der Politik gefordert.

Ricke: Ja, aber wenn die Politik handlungsunfähig ist, was soll sie denn dann tun?

Holter: Also erstens, tatsächlich über ein drittes Konjunkturpaket nachdenken. Die Gelder aus dem ersten und zweiten Konjunkturpaket sind faktisch gebunden und weitere Maßnahmen sind notwendig. Und drittens muss man über eine alternative Arbeitsmarktpolitik nachdenken.

Es ist notwendig, denjenigen, die heute in Arbeitslosigkeit sind und zukünftig in Arbeitslosigkeit sein werden, Perspektiven anzubieten. Und das kann man über steuerfinanzierte, öffentlich geförderte Beschäftigung organisieren.

Ricke: Nehmen wir das mal auseinander, was Sie da sagen, fangen wir mit den Konjunkturpaket III an. Da werden ja schon seit Monaten Milliarden ausgegeben, in Paket I und II, da gibt’s die Abwrackprämie, die hat die Autoindustrie auch nicht gerettet. Ist es nicht unverantwortlich, immer noch mehr Geld aus dem Fenster zu werfen und damit nachfolgenden Generationen immer mehr Schulden aufzulasten?

Holter: Ich halte das für falsch, dass eine Branche ganz konkret unterstützt wird. Die Abwrackprämie hat genau die Resultate gebracht, die Sie angesprochen haben.

Ricke: Das heißt, dann müssen wir die anderen unterstützen, da machen wir die Fehler noch mal?

Holter: Nein, es geht darum, in der Breite tatsächlich die Unternehmen zu unterstützen. Viele kleine, mittelständische Unternehmen haben große Sorgen, um zu überleben. Die großen Konzerne, ihre Auftraggeber, sind teilweise zahlungsunfähig, und hier werden Zahlungen ausgesetzt. Und hier muss man mit Darlehen bzw. kurzfristigen Krediten des Staates einsteigen, diese unter den Schutzschirm nehmen. Ansonsten brechen hier viele, viele Arbeitsplätze weg.

Ricke: Nehmen wir uns der Arbeitsmarktpolitik an. Da gibt es ja die Idee des Bundesarbeitsministers, die Kurzarbeiterregelung noch mal ein bisschen aufzubohren, das Kurzarbeitergeld auf zwei Jahre zu verlängern. Ist das eine gute Idee?

Holter: Das war eine gute Idee, aber eben nur ein Fünftel der Strategie, die notwendig ist. Die Kurzarbeiterregelung muss auf zwei Jahre verlängert werden, aber er muss gleichermaßen den Banken sagen, dass damit die Unternehmen, die Kurzarbeit haben, weiterhin kreditwürdig sind. Das hat nämlich negative Auswirkungen auf das Rating. Und drittens muss er darüber nachdenken, wie dann ganz konkret nach der Kurzarbeiterzeit diejenigen, die in Arbeitslosengeld I dann kommen, beschäftigt werden sollen. Als erster Schritt muss das Arbeitslosengeld I verlängert werden und als zweiter muss das Arbeitslosengeld II deutlich aufgestockt werden, um diesen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Und ich bleibe dabei, wir müssen öffentlich geförderte Beschäftigung organisieren, damit gemeinwohlorientierte, gemeinnützige Tätigkeit von diesen Menschen dann auch erledigt werden kann.

Ricke: Aber erstes Ziel muss doch immer die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt sein, und dann heißt es doch vielleicht jetzt in der Krise, die so groß ist, dass sie keiner alleine bewältigen kann, die Krise als Chance zu nutzen und sich mehr um die Qualifikation zu kümmern?

Holter: Richtig. Es ist eine Doppelstrategie: Diejenigen, die von Kurzarbeit betroffen sind bzw. von Arbeitslosigkeit, sollten und müssen qualifiziert werden. Denn nach der Krise kommt eine Konjunktur, hier sollten sie vorbereitet werden. Diejenigen, die aber keine Chance haben, wieder in Arbeit zu kommen, sollten in diesen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor aufgenommen werden. Denn jeder weiß, dass nach einer Wirtschaftskrise die Sockelarbeitslosigkeit steigt.

Ricke: Jetzt habe ich mir noch mal ungefähr angesehen, was die Damen und Herren gestern nach diesem Konjunkturgipfel alle verlautet haben, und da ist mir vieles sehr bekannt vorgekommen. Die Gewerkschaften wollen ein Konjunkturpaket, die Arbeitgeber wollen geringere Arbeitskosten, über den Bundesarbeitsminister haben wir schon gesprochen. Haben Sie denn den Eindruck, dass bei all diesen Forderungen, Ideen, die man da hört, dass da die Interessen der einzelnen Gruppen hinter das große gemeinsame Ziel, aus dieser Krise herauszukommen, endlich mal zurücktreten?

Holter: Das ist ja mein Problem. Wir schaffen es in Deutschland nicht, einen Pakt der Vernunft zu schmieden und die besten Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden. Jeder beharrt und betont seine Position, vertritt seine Gruppe. Und ich meine, hier müssen die einzelnen Gruppen aufeinander zugehen, und das muss die Politik moderieren und natürlich ihren Beitrag leisten. Daran krankt Deutschland zurzeit.

Ricke: Wo ist denn Ihre Partei, wo ist denn die Partei, Die Linke, von ihrem Standardkurs schon mal abgewichen, um dazu beizutragen, dass man gemeinsam das Problem löst? Das kann ich bei Ihrer Partei, ehrlich gesagt, auch nicht erkennen?

Holter: Ich nehme mal beispielsweise das Arbeitslosengeld II. Wir haben eine Forderung, dass das Arbeitslosengeld II mindestens die europäische Armutsgrenze erreichen muss, die liegt bei 800, 900 Euro. Wir fordern, dass jetzt das Arbeitslosengeld II als erster Schritt auf 435 Euro angehoben wird, die Regelsätze sind damit gemeint.

Das ist ein deutliches Angebot an die Politik, hier erste Schritte zu gehen. Das ist aber nicht unsere Endforderung. Und wir müssen viel mehr darüber sprechen, wie man aus der konkreten Situation, die mit Hartz IV verbunden ist, nämlich diese Diskriminierung, herauskommt. Und darüber zu sprechen und dort Wege aufzuzeigen über eine aktive Arbeitsmarktpolitik, ist Die Linke bereit, auch kleine Schritte zu gehen. Wir bleiben bei unserer Maximalforderung, aber kleine Schritte sind auch hier notwendig.

Ricke: Helmut Holter, er ist der Landtagsfraktionschef von Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern. Vielen Dank, Herr Holter!

Holter: Danke!