Holocaust-Drama

Im Wald und auf der Flucht

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Regisseur Pepe Danquart und die Hauptdarsteller von "Lauf Junge lauf", Andrzej (links) und Kamil Tkacz © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von Hermann Schmidtendorf · 09.05.2014
Der achtjährige Srulik ist auf der Flucht vor dem Nazis im besetzten Polen ganz auf sich allein gestellt. Er gibt sich als polnischer Waisenknabe aus und kämpft täglich neu ums Überleben. Das Berliner Publikum war von Pepe Danquarts Literaturverfilmung ergriffen.
Abendvorführung im Berliner Kant-Kino, ein voll besetzter Zuschauersaal. Der Film "Lauf Junge lauf" beginnt mit einem emotionalen Knalleffekt. Der Vater verabschiedet sich im besetzten Polen von seinem achtjährigen Sohn Srulik. Dieser soll den Holocaust überleben, aber dabei seine Identität nicht vergessen.
- "Du musst stark sein und tapfer. Hörst Du. Srulik, du musst überlegen, hörst du! Du darfst nie in deinem Leben vergessen, dass du ein Jude bist. Verstehst du das? Du darfst niemandem sagen, wer du wirklich bist. Aber du darfst es niemals vergessen."
- "Ja Vater, ich verspreche es."
Am Ende gelingt das. Doch zunächst muss Srulik sich nach der Flucht aus dem Warschauer Ghetto drei Jahre lang im Wald und bei Bauern verbergen. Um nicht von den Nazis aufgegriffen zu werden, gibt er sich als polnischer Waisenknabe Jurek aus, kämpft täglich neu um einen weiteren Tag des Lebens. Das Publikum im Berliner Kino ist erschüttert und ergriffen.
Frau 1: "Das war ein sehr bewegende Film, und ich fand ihn auch sehr still. Das war kein Film, der mit irgendwelchen plakativen Mitteln gearbeitet hat."
Frau 2: "Das ist 'ne harte Kost, das muss man wirklich erst mal echt verdauen."
Mann: "Das zeugt von einem unheimlich starken Willen und von einer großen Klugheit auch dieses jungen Menschen."
Frau 1: "Ja, es ist ein Schicksal, und es zeigt jemanden, der Glück hatte. Hervorragend, ganz hervorragend. Sehr bewegend."
Nach dem Weltbestseller von Uri Orlev
Der Film "Lauf Junge lauf" ist die Verfilmung eines Weltbestsellers des israelischen Schriftstellers Uri Orlev, in welchem dieser die wahre Geschichte des polnischen Juden Joram Fridman erzählt. Regisseur der Verfilmung ist der Deutsche Pepe Danquart:
"Ich kann nicht wirklich polnisch. Aber ich hab mich an die Melodie der Sprache sehr gewöhnt. Und ich hab ja mit den polnischen Schauspielern gearbeitet, ich hatte immer eine polnische Übersetzung mit an meiner Seite."
Filmausschnitt / polnisch:
- "Name!"
- "Jurek Staniak."
- "Bist Du ein Jude?"
- "Nie."
- "Kłamiesz!"
So klingt es in der polnischen Urversion des Films, wenn Srulik-Jurek durch einen SS-Offizier verhört wird. Und so klingt dieselbe Szene in der deutschen Kino-Version.
Filmausschnitt / deutsch:
- "Name!"
- "Jurek Staniak."
- "Bist Du ein Jude?"
- "Nein."
- "Das war doch gelogen!"
Wenn der selbsternannte Herrenmensch dem jüdischen Jungen eine schallende Ohrfeige gibt und ihm auf polnisch "Lügner" entgegen schreit, geht das dem Publikum durch Mark und Bein. Die deutsche Dialogregie wirkt da milder, schwächt die Bedrohlichkeit der Lage ab. Doch im gesamten Film die polnischen Dialogszenen zu belassen und durch deutschsprachige Unterzeilen zu übersetzen, ist im deutschen Kino nicht üblich. So geht eine solche Feinheit zwangsläufig verloren.
Beklemmend intensiv gespielt ist die Rolle des Filmhelden, des vor den Nazis fliehenden jüdischen Jungen Srulik. Eine ihn versteckende Polin, deren Familie selber im Untergrund gegen die Nazis kämpft, übt mit dem Jungen, wie er sich als angeblicher Katholik benehmen muss, um nicht aufzufallen. Das führt zu unerwarteter Komik.
- "Guten Tag. Mm, ich heiße, mm, .."
- "Du darfst nicht so lange zögern. Das führt sofort zu Misstrauen."
- "Wer bist Du, und was willst du?"
- "Jesus Christus ist mein Name, gelobt sei Jurek Staniak."
Pepe Danquart: "Ich wollte sozusagen einen Film machen, der erträglich bleibt, auch anzugucken, abenteuerlich, durchaus auch hart in der Sache, keine Kompromisse, und trotzdem die Kinderperspektive einnehmen. Und ich hoffe, dass mir das gelungen ist."
Lob von polnischen und deutschen Kritikern
Es IST gelungen. An der eben gehörten Stelle des Films lacht das Publikum im Berliner Kino spontan. Es ist ein befreiendes Lachen, dass den Zuschauern erlaubt, die weiteren noch kommenden erdrückenden Ereignisse mit zu erleiden und zu ertragen.
Die Hauptrolle des Srulik spielten abwechselnd die 13-jährigen polnischen Zwillinge Andrzej und Kamil Tkacz. Unterstützung fanden die beiden Jungschauspieler bei denm seit 1962 in Israel lebenden heute 80-jährigen Joram Fridman, dessen Erlebnisse sie zu spielen hatten.
"Direkt hat er uns nicht gesagt, was er damals fühlte. Er hat uns einfach seine Geschichte erzählt. Daraus konnten wir viele Schlüsse ziehen."
Am Ende sprach Fridman erfreut von einem "wahrhaften" Film. Polnische wie deutsche Filmkritiker kommentierten positiv bis enthusiastisch, und auch in Polen wurde endlich die Buchvorlage von Uri Orlev veröffentlicht. Auf Grund seiner Thematik sieht Regisseur Danquart seinen Film in einer Reihe mit Stephen Spielbergs Film "Schindlers Liste" und Roman Polanskis "Pianist".
Pepe Danquart: "Ich weiß von seiner Frau, die ich besetzen wollte, die es aber nicht konnte - die Emmanuelle Seigner - dass Roman Polanski diesen Film hätte immer machen wollen, es aber nicht machen konnte, weil es so eins zu eins seine eigene Geschichte war. Und aus diesem Grund dann seine Kindheit mit dem Pianisten verarbeitet hat. Insofern war da Platz noch für einen weiteren Film, der vielleicht, und ich hoffe, dann eben auch bleiben wird neben diesen beiden anderen Filmen, die dann Geschichte geschrieben haben. Es wäre zu hoffen, 'Lauf Junge lauf' kommt auch in die Annalen des großen Kinder- und Weltfilms, der sich diesem Thema zugewandt hat."