Neues Museum in Istanbul

Sichtbarkeit für die türkische Gegenwartskunst

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Das Arter Museum in Istanbul, eine moderne und assymetrische Fassade prägt das Erscheinungsbild des Gebäudes.
Der Bau des Arter Museums in Istanbul wurde von der Stadtverwaltung lange verzögert. Nun öffnet es zur Biennale im September. © Ingo Arend
Ingo Arend im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 26.07.2019
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In Istanbul wird im September zur Biennale ein neues Museum eröffnet. Es wird das größte Privatmuseum der Türkei sein. Finanziert wurde es von der Erdogan-kritischen Industriellenfamilie Koç. Der Journalist Ingo Arend war bei einer Vorabbesichtigung.
Das neue Arter Museum, dass zur Istanbuler Biennale im Herbst eröffnet wird, ist das größte Kunstmuseum der Türkei. Es ist ein Privatmuseum, das von der Industriellenfamilie Koç finanziert wurde.
"Das Arter wurde schon 2010 gegründet, in einem kleinen eleganten Art-Deco-Gebäude im Shopping- und Ausgehbezirk Beyoglu. Jetzt sitzt es zwischen Flohmärkten, Dönerbuden und kleinen Werkstätten. Das ist schon ein ziemlicher Szenenwechsel", sagt der Journalist Ingo Arend.

Staatliche Kunst- und Kulturpolitik quasi inexistent

"Zum ersten Mal ist hier die komplette Kunstsammlung der Familie Koç mit etwa 1300 Kunstwerken zusammengeführt. Das ist eine der reichsten Familien der Türkei. Sie erwirtschaftet ein Zehntel des Bruttoinlandprodukts und gilt als besonders kunstverliebte Familie. Jedes Mitglied der Familie hat seine eigene Sammlung."
Die privaten Kunstmuseen in der Türkei kompensierten die staatliche Kunst- und Kulturpolitik, die eigentlich nicht stattfinde, so Arend.
"Staatliche Kunst- und Kulturpolitik heißt immer Tourismus und Antikenverwaltung. Es sind die privaten Museen, die in der Türkei das ästhetische Massenbewusstsein prägen", sagt Arend. "Sie definieren was Moderne bedeutet und koppeln die Türkei mit der internationalen Kunstentwicklung. Und sie geben auch kritischen Werken der türkischen Gegenwartskunst Sichtbarkeit. Damit soll das kritische Bewusstsein geschärft werden, und die Leute sollen herausgefordert werden, sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen."

Ende des Jahres öffnet noch ein Museum

Das Haus demonstriere die Dominanz der privaten Kunstmäzene in der Kulturpolitik des Landes. "Amerikanische Journalisten haben von dem Haus als 'Game-Changer' gesprochen, also einer Institution, die die ganze Szene nachhaltig verändern wird." Arend sagt, er würde nicht so weit gehen. "Ich glaube, dass der eigentliche 'Game-Changer' Ende des Jahres auf den Plan treten wird. Da wird nämlich die Mimar-Sinan-Universität in Istanbul auch ein eigenes Kunstmuseum erhalten, und das wird ein staatliches Museum werden. Das Museum ist schon von Atatürk gegründet worden, war aber bislang ohne Haus. Wenn dieses Haus aufmacht, wird es zu einer produktiven Konkurrenz der staatlichen und privaten Museen führen."
Nach dem letzten Referendum und den letzten Präsidentschaftswahlen habe man, so Arend, den Eindruck gewinnen können, die Türkei sei endgültig auf dem Weg in den autoritäten Staat und gehe kulturell ins islamische Mittelalter zurück. Das sei aber nicht der Fall. Einerseits gebe es Verhaftungen von Bloggern und Künstlern, andererseits seien aber auch solch liberalen und säkularen Projekte wie das Museum möglich, so Arend. "Man muss einfach feststellen, dass Repression und Freiheit im Moment noch nebeneinander existieren."
(rja)
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