Hohe Stimmen im Pop

Wo bleibt denn da die Männlichkeit?

Der britische Sänger Sam Smith freut sich bei der 57. Grammy-Verleihung über seine Auszeichnung als bester Nachwuchskünstler und für die Single des Jahres.
Der britische Sänger Sam Smith freut sich bei der 57. Grammy-Verleihung über seine Auszeichnung als bester Nachwuchskünstler und für die Single des Jahres. © picture alliance / dpa / Robert Gauthier / Pool
Von Christoph Reimann · 26.01.2016
"Writing's on the Wall", der Titelsong des neuen Bond-Films "Spectre", hat Sänger Sam Smith einen Golden Globe eingebracht, aber auch viel Kritik wegen seiner hohen Stimme. Nach wie vor polarisieren hohe Männerstimmen im Pop und werden mit Homosexualität assoziiert.
"Writing's on the Wall" von Sam Smith, der Titelsong des aktuellen Bond-Films "Spectre": Einen Golden Globe hat der 23-Jährige dafür bekommen, für die Oscars Ende Februar ist er nominiert. Auf der einen Seite ist das ein großer Erfolg für den jungen Briten, andererseits regt sich im Netz aber auch Kritik. Von Leuten, die mit dem Song nichts anfangen können.
"Ist er... schwul?"
Meistens geht es dabei um die hohe Stimme des Sängers:
"Ich bin wirklich kein Fan davon, wenn jemand singt, als ob man ihm gerade an die Eier packt. Ich verstehe schon, dass Sam Smith im Moment angesagt ist, aber ich mag's trotzdem nicht."
"Ich habe bei YouTube gerade eine Version von dem Song gehört, bei der eine Frau singt. Das gefiel mir viel besser als das Original von Sam Smith, das, gesungen von einem Mann, ein bisschen ... unmännlich ...also: unpassend für einen James-Bond-Song ist."
"Ich muss mal was fragen ... Ist er ... schwul?"
Derzeit werden hohe Männerstimmen als feminin wahrgenommen
Dass vor allem die hohe Stimme von Sam Smith kritisiert wird, ist nicht ungewöhnlich, meint Freya Jarman. Sie ist Musikwissenschaftlerin an der Universität von Liverpool. Hohe Männerstimmen sind ihr aktueller Forschungsschwerpunkt:
"Zurzeit ist es so, dass Männer, die besonders hoch singen, als feminin wahrgenommen werden. Die negativen Äußerungen zu Sam Smith sind dafür recht charakteristisch. Wenn wir den Körper nicht kennen, aus dem die Stimme kommt, stellen wir ihn uns vor. Das läuft mal mehr und mal weniger bewusst ab.
Wir glauben, dass wir in der Stimme das Individuum erkennen können. Und wenn wir dann eine Stimme wie die von Smith hören, denken wir: 'Wo steckt die Männlichkeit in diesem Körper?' Sehen wir dann einen erwachsenen Mann, der so singt, erleben wir das womöglich als eine Art Konflikt zwischen der Stimme und dem Körper, aus dem sie herauskommt."
Dass Smith offen schwul ist, passe zum Weltbild seiner Kritiker, meint Jarman. Denn noch immer gebe es viele, die glauben, dass Männer mit hohen Stimmen zwangsläufig homosexuell sein müssen. Oder zumindest nicht der Heteronorm entsprechen.
Countertenöre und Kastraten waren in der Vergangenheit sehr populär
Tatsächlich steckt die Musikgeschichte voller Männer mit ungewöhnlich hohen Stimmen: Countertenöre gab es im Grunde immer, und Kastraten erlebten ihre Hochzeit im 17. und 18. Jahrhundert. Zu neuer Beliebtheit kamen hohe Männerstimmen zuletzt ab den 1950er- und 60er-Jahren, hat Jarman herausgefunden, und zwar in der klassischen Musik genauso wie in der Popmusik. Ein Grund dafür könne das Hinterfragen klassischer Männlichkeitsbilder nach dem Krieg gewesen sein, meint Jarman.
"Ich denke, dass man mit diesen Stimmen ein gewisses Defizit dargestellt hat. Aber worin dieser Mangel besteht, kann sehr unterschiedlich sein: etwa in einer nicht voll ausgebildeten Heterosexualität oder in dem Schwebezustand zwischen Jugend und Erwachsenenalter. Auch als Ausdruck des jungen Romantikers haben hohe Stimmen getaugt, zum Beispiel bei den Four Seasons oder den Beach Boys."
Ein Mangel, der natürlich gleichzeitig die große Stärke dieser Musiker war. Sie hat sie populär gemacht.
Die hohe Männerstimme als Politikum
Ab den 70ern kam dann Disco-Musik auf. Künstler die BeeGees oder später Jimmy Somerville landeten ganz vorne in den Charts. Nicht zuletzt mit ihren hohen Stimmen prägten sie ein queeres, von der Heteronorm abweichendes Image. Hohe Männerstimmen waren plötzlich politisch aufgeladen, erklärt Jarman.
"Nach den Stonewall-Aufständen und einigen Gesetzesänderungen wurde die homosexuelle Seite der Popkultur auf einmal viel sichtbarer. Das bedeutet nicht, dass jeder Disco total super fand. Aber diese Kultur wurde in den Mainstream getragen. Und auch Leute, die sich nicht unbedingt mit ihr identifizierten, konnten zumindest der Musik etwas abgewinnen."
Immer noch ist Queerness nicht voll akzeptiert
Die 70er liegen viele Jahre zurück. Und man sollte annehmen, dass wir uns längt an die hohe Männerstimme gewöhnt haben. Zumal es ja auch viele Beispiele gibt, bei denen sie nicht Ausdruck einer von der Heteronorm abweichenden Sexualität ist.
Die zugeschriebene Aufgabe, Queerness zu mehr Akzeptanz zu verhelfen, sollte damit eigentlich veraltet sein. Aber noch immer scheinen hohe Männerstimmen manche Hörer zu irritieren, ihre eigene Sexualität infrage zu stellen. Mit seinem Mainstream-Erfolg leistet Sam Smith, ob er will oder nicht, einen Beitrag, das zu ändern.
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