Hoffnung auf ein würdiges Ende

03.06.2010
Der Roman "Das zerbrechliche Leben" von Robert Asbacka kreist um die Frage, wie Menschen damit umgehen, wenn sie durch Katastrophen nahe stehende Freunde und Angehörige verlieren - aber auch darum, wie in Ruhe und Würde Abschied vom Leben genommen werden kann.
Der Untergang der "Estonia" gilt als das schwerste europäische Schiffsunglück nach 1945. Als die Ostseefähre am 28. September 1994 auf der Route Tallinn - Stockholm vor der Insel Utö sank, starben nachweislich 852 Menschen. Aufgrund ungenauer Passagierlisten muss aber von weit mehr Opfern ausgegangen werden.

Die Ursache des Untergangs blieb ungeklärt. Um den Unglücksort wurde eine Bannmeile errichtet. Schweden, Finnen und Esten ist es verboten, sich der Grabstätte zu nähern. Doch ohne einen Ort der Trauer kann der Prozess des Trauerns nicht abgeschlossen werden und wird zur Seelenqual für die Angehörigen.

Mit seinem Roman "Das zerbrechliche Leben" (schwed., "Orgelbyggaren") zeigt der finnlandschwedische Autor Robert Asbacka, welche Wege die Literatur zu gehen vermag, um solch schicksalhafte und schwer zugängliche Orte beredt zu machen.
Im Zentrum der Handlung steht der 78-jährige Johannes Thomasson. Er ist ein moderner Melancholiker, der in völliger Isolation und schmerzhafter Verstimmung lebt.

Seit seine Frau Siri mit der "Estonia" in den Fluten versank, hat er nicht nur das Interesse zur Außenwelt, sondern auch jegliche Liebesfähigkeit verloren. Siri, Kantorin und begeisterte Organistin, war auf dem Weg ins Baltikum und wollte die Orgel in der Dreifaltigkeitskirche in Liepaja hören.

Um seine Trauer bewältigen zu können, baut Thomasson in seiner Wohnstube einen Epitaph für sie: eine Telin-Orgel: "ein Manual und Pedal, zwei Bälge und acht Stimmen". Leidenschaftlich hatte Siri an der Telin-Orgel einst Kantaten von Buxtehude und Bach gespielt.

Åsbackas polyphoner und klug durchkomponierter Roman ist bis in die Rhetorik hinein dem Aufbau der Passions-Kantate "Membra Jesu nostri patientis sanctissima" von Dietrich Buxtehude (1637-1707) nach gestaltet. Parallel zu den "heiligen Gliedmaßen" Jesu (Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht) vollzieht sich Thomassons seelisches Leiden und sein körperlicher Verfall. Im Gegensatz zu Siri ist ihm damit Zeit gegeben, in Ruhe und Würde vom Leben Abschied zu nehmen:

"I mog jetzt langsam heimgehn. Der Satz kam von nirgendwo zu ihm. Im Dialekt seiner Kindheit."

Asbacka ist ein bedächtiger, melodischer Erzählfluss gelungen. Dunkle, barocke Orgelklänge meint man zu hören, aber auch die alarmierenden Schiffssirenen der "Estonia".

All dem ist eine Zeile aus Buxtehudes Kantate unterlegt, die das Geschehen motivisch durchzieht: "Mensch, willst du leben seliglich". Eine zeitlose Frage, die nach keiner Antwort verlangt.

Besprochen von Carola Wiemers

Robert Asbacka: Das zerbrechliche Leben
Roman, Aus dem Schwedischen von Verena Reichel, Carl Hanser Verlag 2010, 315 Seiten, 19,90 Euro.