Hoffen auf bessere Zeiten

Von Henryk Jarczyk, ARD-Studio Warschau · 03.04.2013
Schwule und Lesben sind im katholisch geprägten Polen immer noch Erregungsthema Nummer Eins. Homophobie war bis vor fünf Jahren nichts Besonderes – erst mit dem Wechsel zum liberalen Ministerpräsidenten Tusk hat sich die Situation der Homosexuellen etwas verbessert.
Toro, eine Schwulendisco mitten in Warschau. Eine von rund 20 dieser Art in der polnischen Hauptstadt. Es riecht nach Schweiß und Bierdunst. An den Tischen entlang der Wand haben die ersten Gäste Platz genommen. Junge Männer, Mitte 30. An der Theke schlürfen ein paar Frauen bunte Drinks. Toro gilt als hetero-friendly. Frauen, die nicht angebaggert werden wollen, versichert der Barmann, fühlten sich hier sicher und wohl.
Die Tanzfläche ist noch leer. Doch keine Angst, sagt Oskar der Manager, nach Mitternacht werde das Lokal schon voll. Hinter der Bühne sitzt Mateusz in seiner kleinen Künstlergarderobe. Er ist die Drag Queen des heutigen Abends, seine Travestieshow beginnt in Kürze.

Mateusz: "Meine Eltern wissen über meine sexuelle Einstellung Bescheid. Aber sie meiden das Thema. Sie haben kein Interesse an meinem Privatleben. Und Homosexualität gibt es für sie nicht."

Mateusz, ein hübscher hochgewachsener Mann mit durchtrainiertem Körper, sitzt gelassen vor seinem Spiegel und schminkt sich die Augenlieder. Grün, Glitzer, Wimperntusche. Ein bisschen zu viel von allem – doch das ist Absicht. Hier im Toro – sagt der 23-Jährige – könne er das sein, was er sei: ein Homosexueller. Und niemand störe sich daran.

Mateusz: "Als ich 20 wurde, zog ich nach Krakau, um ein anderes Leben anzufangen. Meine Großmutter freute sich sehr darüber, denn sie sagte, auf dem Lande in einer Kleinstadt wäre ich peinlich für die ganze Familie, und jetzt ist es eigentlich ok."

Geboren wurde Mateusz in Wadowice, im Süden Polens. In einem kleinen Ort, aus dem ausgerechnet Papst Johannes Paul der Zweite stammt. Für einen Schwulen nicht wirklich die besten Voraussetzungen, um in Ruhe leben zu können.

Mateusz: "Wadowice ist sehr katholisch, dort gibt es kein Schwulenleben. Alle Schwulen, die ich kenne, fahren nach Krakau oder haben in Wadowice eine Ehefrau und Kinder, um ihre eigentliche sexuelle Neigung zu verstecken. In Krakau ist das ganz anders. Allerdings immer noch nicht so gut wie in Warschau. In Warschau sind die Menschen aufgeschlossener."

Vor ein paar Jahren ist Mateusz daher auch in die Hauptstadt umgezogen, und wenn er nicht gerade als Drag Queen auftritt, dann arbeitet er im Toro als Barmann. Ein guter Job in toller Atmosphäre, sagt er. Robert, sein Mentor und Freund nickt bestätigend:

"Es gibt immer mehr Lokale dieser Art, die Mehrheit der Menschen in Warschau sind Zugereiste, sie flüchten aus den kleineren Städten, denn sie wissen, hier gibt es ein Leben, das sie in ihrem Ort nicht vorfinden. Der Sinn solcher Klubs besteht darin, dass die Leute hier untereinander sind, das ist so ein Ort, wo sich alle unterhalten, aneinander anlächeln und ihre Sorgen vergessen.""

Hört sich gut an, gibt aber nur einen winzig kleinen Ausschnitt aus dem eigentlichen Leben Homosexueller in Polen wider. Der Alltag, sagen Betroffene, sähe bei weitem nicht so bunt aus wie die Nächte in Toro, Galeria, Glam, Le Garage, Lodi Dodi und all den anderen Klubs der Hauptstadt. Die Stimmung außerhalb der Discomauer ist rau, brutal, gnadenlos:

"Während einer Party in meiner Wohnung, an der vor allem Schwule teilnahmen, klingelte kurz nach Mitternacht jemand an der Tür. Ich öffnete und sah einen jungen Mann, der 17 oder 18 Jahre alt war. Er fragte mich ob er zu meiner Party kommen könnte. Ich antwortete: Nein. Das war schließlich keine öffentliche Veranstaltung. In diesem Moment tauchten 4 oder 5 weitere Männer auf. Dann ging alles blitzschnell. Sie rannten hinein. Sie schlugen und traten uns. Sie beschimpften uns auf eine sehr vulgäre Art. Und dann verschwanden sie wieder."

Ein Überfall mitten im Plattenbau von Warschau. Der junge Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte und sich stattdessen "Jej Perfekcyjnosc" nennt, was übersetzt so viel wie "Ihre Vollkommenheit" bedeutet, ist in der Szene kein Unbekannter. Jej Perfekcyjnosc ist Sprecher und Mitorganisator der alljährlichen Gleichheitsparade im Juni. Dass sein Engagement für die Homosexuellenbewegung in Polen bitter nötig ist, zeigen die jüngsten Einlassungen der Ikone der Solidarnosc-Bewegung, Lech Walesa. Der Friedensnobelpreisträger sagte Anfang März, dass Homosexuelle eine schlimme Randerscheinung der Gesellschaft seien, die auch bitte schön am Rande bleiben sollte statt nach Höherem zu streben:

"Ich will nicht, dass diese Minderheit, auf unseren Straßen herummarschiert und meinen Kindern und Enkelkindern den Kopf verdreht. Wer nur über 5 Prozent der Anhänger verfügt, sollte nicht im Zentrum der Stadt demonstrieren dürfen, sondern irgendwo am Stadtrand. Und im Parlament sollten diese Leute in der letzten Reihe sitzen. Oder vielleicht noch besser außerhalb der Parlamentsmauern."

Mit diesen und weiteren Äußerungen löste Walesa binnen kürzester Frist landesweit Empörung aus. Mittlerweile beschäftigt sich sogar die Staatsanwaltschaft mit dem Fall. Der Vorsitzende des polnischen Komitees zum Schutz vor Sekten und Gewalt, soll eine Anzeige wegen möglicher Volksverhetzung gestellt haben. Selbst Walesas Familie distanziert sich.

Walesa Sohn: "Ich habe mir an den Kopf gelangt, als ich hörte, was mein Vater über Homosexuelle sagte. Schwule und Lesben haben ein Recht auf ihre Vertreter im Parlament. Das, was mein Vater da behauptet, gibt keineswegs die Meinung unserer Familie wieder."

Früher als in Polen die Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski noch das Sagen hatten, war Homophobie nichts Ungewöhnliches. Erst seitdem der liberale Ministerpräsident Donald Tusk das Land regiert, hat sich die Lage etwas gebessert. Endlich, sagt Robert Biedron, ein offen bekennender Homosexueller und Abgeordnete der Extremliberalen Partei Ruch Palikota:

"Viele meiner Bekannten haben jahrelang Heterosexualität vorgetäuscht. Heute sehen sie, dass es nicht sein muss. Dass man sein Leben leben kann. Ich Robert Biedron habe mich geoutet und sitze im Parlament. Ein Teil der politischen Klasse ist beim Thema Homosexualität leider noch nicht so weit. Das ist ein Problem. Denn in großen Teilen der Gesellschaft hat sich einiges verändert. Nur im Parlament nicht."

Bester Beweis dafür, so Biedron, sei die vor kurzem abgeschmetterte Gesetzesinitiative in Sachen eingetragene Lebenspartnerschaften. Verantwortlich dafür waren allerdings nicht etwa Erzkonservative mit Kaczynksi an der Spitze. Nein, zu Fall brachten den Gesetzesentwurf auch Abgeordnete der Regierungskoalition. Sie stimmten gegen einen Vorschlag aus den eigenen Reihen. Dabei waren die hier vorgesehenen Regelungen keinesfalls revolutionär. Es ging vielmehr darum, unverheirateten Paaren die Lösung von Alltagsproblemen etwas zu erleichtern.

Eine Gleichstellung mit der verfassungsrechtlich geschützten Institution der Ehe war nicht geplant. Genauso wenig wie ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Die Initiatoren wollten die polnische Gesetzgebung dem in den meisten Staaten der Europäischen Union geltenden Recht wenigstens ansatzweise angleichen. Ein Versuch, der angesichts einer Mehrheit weiterhin sehr konservativ denkender Politiker im polnischen Parlament geradezu scheitern musste.

Zum Leidwesen homosexueller Paare, zürnt Yga Kostrzewa und nimmt einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. Die 40-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, eine lesbische Beziehung führen zu müssen ohne jegliche gesetzliche Absicherung:

"Die meisten Probleme tauchen auf, wenn wir in eine Notlage geraten. Wenn meine Partnerin zum Beispiel bewusstlos im Krankenhaus liegen würde, habe ich keine Möglichkeit zu erfahren, wie ihr Gesundheitszustand ist. Ich könnte auch keine Entscheidung treffen, wenn es um eine Operation geht. Das können nur die nächsten Angehörigen machen. Also Mutter, Vater oder Geschwister. Dasselbe gilt, wenn es um eine Beerdigung geht. Ich könnte meine Partnerin nicht beerdigen lassen oder ihren toten Körper sehen. Problematisch sind auch Erbschaftsangelegenheiten. Selbst wenn es ein Testament gibt, muss ich die höchste Steuer zahlen, 20 Prozent!"

Ein klarer Fall von Diskriminierung, schimpft Ygas Lebenspartnerin Anna und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. Ihre Hände zittern vor Aufregung, als sie von ihren negativen Erfahrungen erzählt:

"Ich arbeitete als Lehrerin in zwei Real- und zwei Grundschulen in unserem Dorf. Eines Tages tauchte der Priester beim Gemeindevorsteher auf und beide waren sich schnell einig, dass nachdem ich im Fernsehen als bekennende Lesbe aufgetreten bin, man mich entlassen müsste. Den Eltern hat man gesagt, dass ich wegen Pädophilie entlassen wurde. Was skandalös war, weil wenn es so wäre, dann hätte es ein Verfahren gegen mich geben müssen. Aber es gab keines, weil es eine Lüge war."

Heute lebt Anna in Warschau und arbeitet als Pädagogin. Ihrem Dorf weint sie keine Träne nach. Denn in der Anonymität einer Großstadt, sagt sie, sei das Leben für Homosexuelle in Polen wesentlich leichter als auf dem flachen Land. In den katholisch geprägten Dörfern meint auch der Parlamentsabgeordnete Robert Biedron gäbe es so gut wie niemanden, dem sich Homosexuelle anvertrauen könnten, geschweige denn Gleichgesinnte finden würden:

"Als ich meine Sexualität entdeckte, lebte ich in einem kleinen Ort. Ich dachte, ich bin alleine auf der Welt, und dass es keinen zweiten Menschen gibt, der ähnlich empfinden würde. In den Büchern fand ich eine Definition, wonach Homosexualität pervers wäre. Der Pfarrer im Religionsunterricht sagte, es sei eine Sünde. Wenn beim Fußball einer das Tor nicht gut genug verteidigte, sagten die Kinder, der betreffende sei eine Schwuchtel. Also ich dachte, das ist die schlimmste Sache, die mir passieren konnte. Ich bin nicht nur alleine, sondern auch noch der übelste Mensch auf der Welt. Ich glaube, dass es immer noch Homosexuelle gibt, die all das zu hören bekommen. Aber zum Glück gibt es solche Situationen immer seltener."

Vertreter der katholischen Kirche in Polen sehen das ganz anders. Es gibt nur wenige Priester, die Homosexuelle als völlig normale Menschen akzeptieren. Die Mehrheit der Pfarrer, Bischöfe und Kardinäle ist hingegen weiter fest davon überzeugt, dass Homosexualität - einer Seuche gleich - streng bekämpft werden müsste. Und zwar mit allen Mitteln, behauptet zum Beispiel der Danziger Bischof Glodz:

"Es wird einem übel, wenn man davon hört. Sogar im öffentlich rechtlichen Fernsehprogramm wird man mit dieser Thematik konfrontiert. Ich weiß nicht, wie die Familien, mit Kindern all das ertragen. Zum Beispiel gestern, all diese Berichte über die Sängerinnen, über den deutschen Außenminister. Das sah so aus, als ob jeder zweite, jeder dritte homosexuell wäre. Wir sollten nicht übertreiben. Das ist eine Welle, die zu uns übergeschwappt ist und wieder verschwinden wird. Das ruft beim mir Übelkeit hervor, also lassen Sie mich nicht länger darüber sprechen."

Etliche Priester und Bischöfe vertreten ohnehin die Ansicht, dass Homosexualität geheilt werden könnte. Statt Beistand zu leisten, empfehlen sie den Betroffenen, sich therapieren zu lassen. Was wiederum überall im Lande seit der politischen Wende 1989 Scharlatanen auf diesem Gebiet Tür und Tor öffnet. Ein Therapiegespräch mit einem selbsternannten Heiler klingt dann zum Beispiel in dieser heimlich gemachten Aufzeichnung so:

"Du bist ein Mann, ich glaube an dich, alle glauben an dich obwohl sie sehen, dass du dich quälst. Bist du ein Mann? Bist du? Dann prüfe das. Stecke deine Hand in die Hose und suche nach zwei Kügelchen. Sind sie da? Na siehst du, du bist ein Mann und kannst dich ans Werk machen, du kannst jetzt gewinnen. So oft du Zweifel hast, dann such nach den Kügelchen."

Mittlerweile wird gegen den selbsternannten Therapeuten nicht nur wegen finanziellen Betrugs sondern auch wegen sexueller Nötigung ermittelt. Die Täter zu fassen, ist dennoch ziemlich problematisch. Wer hier entsprechende Erfahrungen mache, sagt Andrzej Depko, Sexualwissenschaftler und Therapeut in Warschau, melde sich in der Regel nicht bei der Polizei. Aus Scham und Schuldgefühl:

"Die polnische Gesellschaft lebt seit 2000 Jahren in einer bestimmten Doktrin. Diese jüdisch-christliche Doktrin, zu der auch der Katholizismus gehört, negiert die Homosexualität, indem sie das Sexualleben ausschließlich der Fortpflanzung unterordnet. Das ist eine ziemlich primitive Betrachtungsweise."
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