Hörspielregisseur Ulrich Gerhardt

"Man muss den Zufall organisieren"

Ulrich Gerhardt
Hörspielregisseur Ulrich Gerhardt © Roland Gerhardt
Ulrich Gerhardt im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 06.11.2017
Erst Schauspieler, dann Journalist und schließlich Hörfunk: Ulrich Gerhardt ist einer der renommiertesten Hörspielregisseure Deutschlands. Er war der erste, der die Idee hatte, den dreidimensionalen Sound des Kunstkopfs fürs Radio zu nutzen.
Ulrich Gerhardt ist wohl einer der dienstältesten und erfolgreichsten Hörspielregisseure Deutschlands. Und mit seinen heute 83 Jahren produziert er immer noch. Sein jüngstes, sehr persönliches Werk "Mein Freund Lennie oder die Reise" wurde als Hörspiel des Monats September 2017 ausgezeichnet.

Der Klang der Stimme ist nicht das Wichtigste

Bei zahllosen Literaturbearbeitungen hat er Regie geführt, darunter die Werke von Thomas Bernhard, W.G. Sebald, Friederike Mayröcker, Imre Kertesz, Rainald Götz oder Swetlana Alexejewitsch. Dabei hat die Arbeit mit den Schauspielern für ihn eine besonders großer Bedeutung:
"Die geführte Stimme ist das Wichtige für mich. Und nicht der Klang der Stimme. Also der Klang der Stimme kann noch dazu kommen, dass der angenehm ist aber das Wesentliche ist eigentlich die Beherrschung des Textes."
Als Sohn eines Organisten und einer Pianistin konnte Ulrich Gerhardt, der als Jugendlicher ein Musikinternat besuchte und Jazz-Trompete spielte, früh einen feinen Sinn für Töne entwickeln. Nach seinem Abitur machte er zunächst eine Ausbildung zum Schauspieler, studierte später Journalistik und kam schließlich für viele Jahre zum damaligen RIAS in Berlin.

Innovationen fürs Hörspiel

Der Sender hat dem Technik begeisterten Regisseur viele Innovationen zu verdanken, nicht zuletzt die Einführung von Stereotechnik, die zunächst in Gestalt eines Kunstkopfes bei der Internationalen Funkausstellung 1973 vorgestellt wurde.
"Ja, es ist schon sehr kurios gewesen. Aber es war damals ein unglaublicher Erfolg auf der Funkausstellung. Es gab dort das sogenannte gläserne Studio. Da passten nicht sehr viele Leute rein. Aber die die drinnen waren kamen völlig benebelt wieder raus, weil sie so etwas noch nie gehört hatten, eine akustische Wahrnehmung wie in der Realität und das schlug dermaßen durch, dass man sagen kann die Weltpresse war begeistert."

Zufall als künstlerisches Prinzip

Seit über 30 Jahren arbeitet er als inzwischen als freier Hörspielregisseur. Dabei spiele ihm immer wieder der Zufall in die Hände:
"Man muss sehr sehr hart arbeiten, um dem Zufall eine Chance zu geben, also man muss den Zufall konditionieren, organisieren. Dann kann man mit dem Zufall arbeiten. Ich arbeite sehr oft mit dem Zufall und liebe das auch, weil, wenn Sie ein großes Konvolut von Material haben und wissen nicht welches nehmen Sie jetzt als erstes für diese und diese Stelle dann ist das genauso willkürlich als wenn Sie es ganz dem Zufall überlassen."

Flohmarkt-Fund inspirierte ein Hörspiel

Eines seiner wichtigsten frühen Stücke, "Übergang über die Beresina", hat er auch einem Zufall zu verdanken:
"Das war ein Sensationsfund für mich. Ich bin regelmäßig auf Flohmärkte gegangen. Zu der Zeit habe ich immer viele Platten gesammelt – Schelllackplatten meistens. Und in einer Kiste lagen plötzlich so merkwürdige bernsteinfarbene ganz dünne Folienplatten, die handschriftlich oben vermerkt waren, dass sie aus dem Jahr 1941 stammen, also Kriegszeit, und ich konnte nur vermuten, was ja darauf war. Es waren 30 Platten glaube ich. Und ich habe das dann gekauft, für nicht wenig Geld damals und wusste aber nicht, was es wirklich ist. Aber es standen so interessante Sachen eben darauf wie eben Übergang über die Beresina."
Zwei Hörspiele von Ulrich Gerhardt werden demnächst im Deutschlandfunkkultur ausgestrahlt: 26. November: "Armut, Reichtum, Mensch und Tier" nach Hans Henny Jahnn. Und am 27. Dezember die Collage "Da gehen wir nicht mehr hin. Wolfram Siebecks Restaurantverrisse".
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