Hörspielregisseur Klaus Buhlert über seine neueste Inszenierung

In Produktion: "1984"

11:49 Minuten
Komponist udn Hörspielregisseur Klaus Buhlert bei der Arbeit im Studio, während der Sprachaufnahmen mit Schauspielerin Elisa Plüss
Klaus Buhlert und Elisa Plüss bei den Sprachaufnahmen zu "1984" © Deutschlandradio/Beate Becker
Von Anna Panknin · 27.04.2021
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Einen Blick ins Hörspielstudio der neuen Produktion von Klaus Buhlert durfte Anna Panknin werfen. Derzeit arbeitet der Bearbeiter, Regisseur und Komponist an einer vierteiligen Hörspielfassung von George Orwells Roman "1984", die als Koproduktion von Bayerischem Rundfunk und Deutschlandfunk Kultur Ende des Jahres Premiere haben wird.
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"Der große Bruder
ist unfehlbar und allmächtig.
Jeder Erfolg, jede Errungenschaft,
jeder Sieg, jede wissenschaftliche Entdeckung
unser Wissen, unser Glück
verdanken wir seiner Führung
und Inspiration
Der große Bruder wird nie sterben."
Unsterblichkeit erlangt hat auch der Roman, aus dem diese Zeilen stammen: George Orwells Dystopie-Klassiker "1984", der über 70 Jahre nach seiner Veröffentlichung aktueller denn je scheint. Zweifellos eines der einflussreichsten Bücher der Weltliteratur, ist dieses letzte Werk des englischen Autors als düstere Zukunfts-Vision, die eigentlich eine vergangene Gegenwart beschreibt, vor allem immer noch eines: eine Warnung an die Zeitgenossen, die die Zeit überdauert hat und gültig bleibt.
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Stimme: "Der große Bruder sieht dich!"
Auch wir wollen nun ein wenig zeitreisen, denn in nicht allzu weiter Zukunft wird es "1984" als Hörspiel zu erfahren geben, in einer Koproduktion vom Bayerischen Rundfunk und Deutschlandfunk Kultur – und hier bekommen Sie schon mal ein paar Kost- und Hörproben.
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Musik/Julia: "Eins, zwei, drei... test, test... drei, vier..."
Und wer wäre besser geeignet, dieses Meisterwerk zu inszenieren, als der Meister der akustischen Mammutprojekte, der vielfach aus- und aufgezeichnete Komponist, Hörspielregisseur, -autor und Klassikerbändiger Klaus Buhlert, dem wir auf dem Weg ins fiktive Ozeanien kurz in seinem Berliner Studio über die Schulter schauen wollen, wo diese aufwändige Produktion gerade fertiggestellt wird.
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Musik/Teleschirm (weibliche Stimme): "You’ve got two new messages: First message!"
Als die Anfrage vom Bayerischen Rundfunk kam, musste Buhlert erst einmal nachdenken…
Klaus Buhlert: "Denn George Orwell stand damals nicht auf meiner persönlichen Wunschliste. 1984 ist ohne Zweifel ein natürlich visionäres Buch, das ähnlich Huxleys Brave New World heute vielleicht als literarisches Musterbeispiel die Gefahren totalitärer Systeme wiedergibt und darstellt. Man sollte also beide Bücher heute tatsächlich lesen oder man sollte sie eben hören. Huxley hat mal gesagt: "Erfahrung ist nicht das, was einem zustößt. Erfahrung ist das, was du aus dem machst, was dir zustößt. Und das trifft es, glaube ich. Orwells 1984 ist uns vor zwei Jahren als Team erneut zugestoßen und was wir daraus gemacht haben…"
.. das ist ein knapp 5-stündiges Hörspiel in 4 Teilen…
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Teleschirm (weibliche Stimme auf Klaviermusik: "MEDIZIN NACH NOTEN")
" Im Takt ... und Eins, zwei, drei, vier! Eins, zwei, drei, vier!"
… das dem Stoff durch die präzise Bearbeitung und die Erschließung akustischer Assoziationsflächen in der gegenwärtigen Welt von drastischer Datenkontrolle, digitaler Dauerüberwachung und demagogischen Demokratiegefährdern eine neue Brisanz zukommen lässt.
Klaus Buhlert: "Ein Gespenst geht um in Europa, das hatte Karl Marx 1848 in London geschrieben. Und genau 100 Jahre später, also im Jahre 1948, ebenfalls in London, schreibt George Orwell seinen Roman, den er 1984 nennt, und das Gespenst, das im Roman umgeht, das nennt er Big Brother in Anlehnung an Stalin und dessen Machtübernahme im damaligen Russland. Big Brother oder BB. Big Brother is watching you. In 2020 heißt das Gespenst nicht mehr Kommunismus wie 1948, es heißt auch nicht mehr Big Brother wie 1948 bei Orwell. Bei uns ist das Gespenst als Mutante unterwegs, irgendwie als Mutante. Und überall sind populistische Politiker und rechtsextreme Parteien infiziert und in einem erstaunlichen Aufwind. Ja, ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass der Roman 1984 von George Orwell als eine Art Flaschenpost aus der Vergangenheit kommt zu uns ins Hörspielstudio und deshalb so eindrucksvoll auf die Gefahren der Gegenwart hinweist, sie spürbar macht."
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Erzähler: "In fetten Großbuchstaben erscheinen die drei Parolen der Partei: "
Chor: "KRIEG IST FRIEDEN! G.B!"
"FREIHEIT IST SKLAVEREI! GROSSER BRUDER!"
"UNWISSENHEIT IST STAERKE! GROSSER BRUDER!"
Klaus Buhlert: "Wie funktioniert totalitäre Herrschaft? Worin äußert sich Unterdrückung des Individuums? Ist Krieg tatsächlich Frieden oder nur eine Art missratenes Revolutions-Verständnis? Ist Unwissenheit Stärke? Oder wie funktioniert Gewaltherrschaft einer kleinen Clique?"
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O’Brien: "Wissen Sie, wo Sie sich befinden, Winston?"
Winston: "Ich weiß es nicht. Aber ich denke mir, im Ministerium für Liebe."
O’Brien: "Wissen Sie, wie lange Sie schon hier sind?"
Winston: "Ich weiß es nicht. Tage, Wochen, Monate."
Viele Wochen und Monate im Studio verbracht hat Klaus Buhlert jedenfalls, der wie so oft auch bei "1984" in Personalunion als Bearbeiter, Komponist und Regisseur fungiert. Wie ist das Procedere, wenn man sich sozusagen selbst als Musiker anheuert, wann entstehen die Ideen?
Klaus Buhlert: "Die Musik zu 1984, die entstand in vielen Nächten, Frühjahr 20/20, also hier in meinem oder diversen kleinen anderen Berliner Studios, fast immer nach Text Entwürfen aus Orwells Roman, die mir bei der Bearbeitung als geeignet erschienen. Oft ist es so, dass sich solche Musik-Ideen Monate vor der eigentlichen Hörspiel-Aufnahme und fast immer beim Manuskriptschreiben einstellen. Und die wurden bei 1984 von mir oder zusammen mit meinem Bandprojekt Another Plus? dann gleich aufgenommen."
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Erzähler: "Der ZWEI-MINUTEN-HASS. Die Menge schreit: Verräter! Goldstein! Verräter!
Alle aus der Abteilung des Ministeriums für Wahrheit haben sich jetzt in der Saalmitte gruppiert - gegenüber dem großen Teleschirm."
Teleschirm (Stimme Goldsteins): "Widersetzt euch der Propaganda! Man kann euch eure Gedanken nicht nehmen..."
Klaus Buhlert: "Zwei Minuten Hass war eigentlich eine frühere Filmmusik-Idee aus dem Jahre 1994 meines damaligen Studio-Projektes "AoS - Attack on the Senses" und wurde jetzt neu eingespielt und gemischt."
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Winston (Innere Stimme): "Ah, jetzt geht’s los!"
Teleschirm (Stimme Goldsteins): "Widersetzt euch! Lasst euch eure Gedanken nicht vernichten..."
Erzähler: "Auf dem großen Teleschirm erscheint das Gesicht von Emmanuel Goldstein - Feind des Volkes."
Teleschirm (Stimme Goldsteins): Weiter nichts was die Partei sagt, ist wahr... (Pfiffe, Rufe...) Nichts was die Partei sagt, ist gut. Ihr werdet von morgens bis abends belogen.
Klaus Buhlert: "Natürlich ist das sehr hilfreich für die Umsetzung solch musikalischer Ideen, dass sowohl Elisa Plus, die die Rolle der Julia Gordon spielt, als auch Felix Göser als Winston Smith, nicht nur als Schauspieler, sondern auch musikalisch außergewöhnlich begabt sind. Solche Dinge helfen dann später bei den eigentlichen Aufnahmen im großen Hörspiel-Studio."
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Julia: "Was siehst du?"
Winston: "Ich darf die Augen nicht öffnen..."
Winston (Innere Stimme): "Ihr Körper ist weiß und glatt... "
Erzähler: "Wenn das der Große Bruder wüsste..."
Winston (Innere Stimme):"Er weiß es, ja ... überall sind Mikrophone... überall sind Spitzel."
Winston: "Bist du von der Gedanken-Polizei?"
Julia: "Ach Unsinn! Komm lass uns lieber untertauchen. Wenn man es richtig anstellt...ja, man muss es nur richtig anstellen. Überhaupt müssten das sehr gut vorbereitet werden..."
Und besonders gut vorbereitet und kreativ sein muss man, wenn sich zur Dystopie eine Pandemie gesellt. Dass Corona mitgemischt hat, hört man dem fertigen Mix allerdings in keiner Weise an.
Klaus Buhlert: "Die Sprachaufnahmen fanden aufgrund der derzeitigen Corona-Beschränkungen in drei verschiedenen Studios statt. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Schauspieler und Musiker auch bei den Gruppenszenen und Musikaufnahmen einzeln aufgenommen und erst viel später in einem komplexen Montage-Mix-Prozess zusammengefügt. Franz Pätzold als Erzähler unserer Produktion konnte erst kurz vorm Mix als allerletzte Rolle in diesem Frühjahr zu Ostern aufgenommen werden, als alle anderen Szenen und auch die anderen Musiken und Songs bereits produziert und gemischt waren."
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Erzähler: "Die Vergangenheit veränderte sich nicht nur, sie veränderte sich fortlaufend, aber warum? Wie ein Alptraum bedrückte Winston diese Frage…"
Winston (Innere Stimme): "Ja - das WIE begreife ich: Das WARUM begreife ich noch nicht... Freiheit bedeutet doch die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Freiheit. Gilt das, ergibt sich alles Übrige von selbst, oder?"
Klaus Buhlert: "Vielleicht gelingt es uns, mit diesem Hörspiel Orwells "1984" etwas vom Image eines Schulbuchs zu befreien und den Orwell-Blick so ins Akustische zu übersetzen. Das heißt: unsere Ohren schärfen für Gehirnwäsche, Folter und eben nicht nur hinsehen. Auch Zuhören ist gefragt. Augen und Ohren auf bei Geheimdiensten. Beim Thema Überwachungskameras. Fox News, Twitter-Stürme Oder noch Schlimmeres aus radikalen Bastelbuden. Das Ohr, das hab ich jedenfalls gelernt, ist ein ausgezeichneter Lügendetektor."
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Musik/Teleschirm (weibliche Stimme):
"Wenn die Partei sagt, dass 2 + 2 = 5 ist, Freundinnen und Freunde, dann werden wir der Partei vertrauen. Ja, denn Unwissenheit ist Stärke und Freiheit ist Sklaverei...So macht die Partei unser Leben und unsere Zukunft leichter und jeden Tag schöner."
Das Hörspiel "1984" wird Ende des Jahres in 4 Teilen im Bayerischen Rundfunk und im Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt (werden), die genauen Termine erfahren Sie dann via Presse und Teleschirm, wenn es an der Zeit ist; Sie wissen ja: Unwissenheit ist Stärke.
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Chor: "Big Brother! Big Brother!"