Hörspielkritik: "Kraft im Raum"

Der Sound des G20-Gipfels

Vor dem Supermarkt mit zerborstenen Scheiben brennt im Dunkeln eine Barrikade; ein Demonstrant kickt etwas in das Feuer.
Maskierte Demonstranten gegen den G20-Gipfel verbrennen am 07.07.2017 in Hamburg auf dem Schulterblatt im Schanzenviertel die Einlagen des geplünderten Budnikowsky-Drogeriemarkts. © Axel Heimken / dpa
Von Anna Seibt · 27.12.2017
Vermummte Gestalten, Wasserwerfer, brennende Barrikaden. Die Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg gingen um die Welt. Doch wie steht es um die Sounds? Das Hörstück "Kraft im Raum" fängt den Klang des G-20-Gipfels ein und erhielt den Hörspielpreis der Kriegsblinden.
Es beginnt mit einem großen Knall und endet mit Donald Trump: "Thank you very much everybody." Dazwischen gute vierzig Minuten lang Originaltöne vom G20-Gipfel in Hamburg. Rhythmisiert, untermalt und überlagert von Musik. Das Wort wird zur Musik und die Musik wird zum Kommentar. Alles Material ist scheinbar gleich gewichtet.
Der rote Faden des Stücks ist die vage Chronologie der Ereignisse rund um das Gipfeltreffen. Von der "Welcome to Hell"-Demo, über die Randale im Schanzenviertel – bis hin zu Donald Trumps überschwänglichen Dankesworten, die mit der Berichterstattung von der Straße kontrastiert werden. So berichtet ein Reporter live:
"In Hamburg gibt es zur Minute kriegsähnliche Zustände. Soweit ich das überblicke, nehmen die Autonomen aus ganz Europa einfach nur St. Pauli auseinander."

Der G20-Gipfel als orchestrierte Performance

Erzähltexte, die die Geschehnisse werten oder einordnen könnten, gibt es nicht. "Kraft im Raum" ist eine reine Klangcollage, von kurzen Pausen und akustischen Zäsuren in mehrere Kapitel unterteilt. Nach all den Schuldzuweisungen in den Tagen nach dem Gipfel ist das gleichberechtigte Nebeneinander von Musik und Wort und die fehlende Bewertung des Geschehens zunächst wohltuend.
Das Hörspiel von Ammer und Einheit ist aber trotz Verzicht auf eine Erzählstimme weder objektiv noch neutral: Die Musik kommentiert das Geschehen, die Collage bringt vermeintlich Unzusammenhängendes zusammen.Erst durch die künstliche Rhythmisierung der Sprechchöre und Sprachfetzen klingen diese mal cool, getrieben und fast schon heroisch – mal einfach nur lächerlich.
Genauso wie die Ankündigung der Staats- und Regierungschefs im Zusammenschnitt nicht feierlich sondern albern wirkt:
"Seine Exzellenz…"
"Der Terrorismus"
"Ende des Defilees"
Bei alldem wird deutlich, dass den Ereignissen eine Dramaturgie inne wohnt. Eine Dramaturgie der medialen Berichterstattung auf der einen und der Selbstdarstellung der Akteure auf der anderen Seite. "Kraft im Raum" hebt die einstudierten Abläufe sowohl des Politikertreffens selbst, als auch der Proteste und der Polizeiaktionen hervor: Der G20-Gipfel als orchestrierte Performance.

Der Inhalt ist zweit- oder drittrangig

Gleichzeitig rückt durch die Ästhetisierung des Klangmaterials aber die dahinter stehende Gewalt aus dem Blickfeld und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Geschehnissen wird unmöglich.
"Kraft im Raum" fügt sich in die lange Reihe der Hörspiele von Andreas Ammer und FM Einheit ein, in denen Wort und Ton zu einer Klangcollage verwoben werden. Inhalt ist hier zweit- oder gar drittranging. Mit der Auswahl der Sprachschnipsel, die fast nur von Politikern, Polizei und Journalisten stammen, erschaffen die Autoren weniger eine Chronik der tatsächlichen Ereignisse. Sie legen vielmehr den Fokus auf die medialen Reflexe, die die Ereignisse hervorgerufen haben. So erscheint es auch folgerichtig, dass Aktivisten und Geschädigte kaum zu Wort kommen.
Zurück bleibt ein ambivalenter Eindruck: Als Soundtrack zum Gipfel funktioniert "Kraft im Raum" gut. Ich hätte mir aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung gewünscht, die die Bedeutung dieses G20-Gipfels für Politik und Gesellschaft im Blick hat.
(gekürzte Online-Fassung/mw)

Das Hörspiel "Kraft im Raum" von Andreas Ammer und FM Einheit kann noch ein knappes Jahr lang auf der Homepage des NDR heruntergeladen werden.

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