Hörspiel über nationalistische Gewalt

Wolfwelt

Wölfe ziehen durch eine Welt im Ausnahmezustand, und es ist nicht sicher, ob der Wolf einer ist, der in den Straßen mordet.
Wölfe ziehen durch eine Welt im Ausnahmezustand, und es ist nicht sicher, ob der Wolf einer ist, der in den Straßen mordet. © Unsplash / Michael Larosa
Von Gerhild Steinbuch · 03.10.2021
Gerhild Steinbuch entwirft in ihrem Hörspiel einen poetischen Albtraum – eine vielstimmige Erzählung aus persönlichen Familienerinnerungen, gesellschaftlichem Vergessen und moderner Gewaltforschung.
"Wolfwelt" handelt vom Verschwinden: dem Verschwindenlassen von Geschichte und Verantwortung und dem Verschwindenwollen jener, die sich ausnahmsweise ans Tätersein erinnern. Wölfe ziehen durch eine Welt im Ausnahmezustand, und es ist nicht sicher, ob der Wolf einer ist, der in den Straßen mordet, einer, der im gleißenden Licht mit Prinzenfrisur roh-bürgerliche Reden schwingt, oder einer, der sich in seinen Körper einpanzert, weil er die Angstwelt nicht mehr erträgt. Vielleicht sind die eigentlichen Wölfe ja auch jene, die sich einheimeln im Flausch und das Erinnern leid sind: Akteure des Gedächtnistheaters, die Richard von Weizsäckers Rede zum Kriegsende von 1985 ein bisschen zu wörtlich nehmen und aus dem Glauben an die eigene Befreiung von Täterschaft und Schuld den unbedingten Glauben an die sogenannte Leitkultur ableiten. Ein Glauben, den es um jeden Preis zu verteidigen gilt.
"Wolfwelt" handelt auch von Körpern: Körpern, die ausbrechen und aufbrechen, die aufgebrochen werden, die sich abkappen, einpanzern, von Körpern als Kriegsgefährt, die nach innen schießen und durch ein Land rollern, das so grässlich ist wie die sogenannte Ganzheitlichkeit des deutschen Waldes.
Mit viel Fantasie, Poesie und scharfem Realitätssinn begegnet Gerhild Steinbuch in einem akustischen Albtraum Formen und Sprache von neuer und ewig gestriger Gewalt in unserer Gesellschaft.

Ursendung
Wolfwelt
Von Gerhild Steinbuch
Regie: Henri Hüster
Mit: Mateja Meded, Sylvana Seddig, Wolfgang Michael, Ingo Tomi, Ilse Ritter, Barbara Philipp, Paul Zichner und Klaus Theweleit
Komposition: Bernhard Fleischmann
Ton und Technik: Andreas Stoffels, Philipp Adelmann
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2021
Länge: 63'51
Das Hörspiel steht ab 03. Oktober bis zum 03. April 2022 zum Nachhören und Download zur Verfügung.
Anschließend:
Gespräch mit Gerhild Steinbuch zum Hörspiel "Wolfwelt"
Von Christine Grimm
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2021
Länge: 16'35

Gerhild Steinbuch,1983 in Mödling geboren, studierte Szenisches Schreiben und Dramaturgie in Graz und Berlin. Heute Theaterautorin und Dozentin in Wien sowie engagierte Poetologin bei nazisundgoldmund.net. Zahlreiche Literatur- und Theaterstipendien und -preise.

Die Autorin Gerhild Steinbuch über ihr Hörspiel "Wolfwelt":
"Es beginnt mit dem Verschwinden von Erinnerungen: Erinnerungen an die eigene Biografie, Erinnerungen an die familiäre Biografie und Erinnerung an einen historischen Kontext und eine Verantwortung, die man darin übernehmen müsste oder hätte sollen. Die Welt, die dadurch entsteht, ist wie ein ständiger Schlaf."
"Den Chor der Grantler verbindet eine große Egozentrik, ein Rückzug ins Ich und eine Konzentration auf das Ich oder auf die Ausformung der vielen Ichs, aufs Wir, so auf so eine Art Ausschlussgemeinschaft, die sich selbst am wichtigsten nimmt und deswegen den Bezug zur Welt und zur Gemeinschaft verloren hat."
"Die Grantler rüsten sich auf gegen eine Art von imaginären Feind, den man immer braucht, um so ein Bild von sich zu konstituieren. Anstatt sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen oder mit der eigenen Geschichte, erfindet man sich eine neue Geschichte, in der man Held sein kann. Und da muss doch jemand dann Täter sein, denn man selbst muss ja das Opfer sein. Sonst ist man ja kein guter Held."
"Für mich ist Wolfwelt - auch wenn es in einer Überhöhung oder einer poetischen Welt stattfindet - schon ein Abbild eines Jetzt-Zustands, den ich so erlebe."
"Beim Schreiben interessieren mich immer Körper, die verschwinden, oder Körper, die nicht gesehen werden."
"Mich hat die Vorstellung interessiert, dass man sich so eingeflauscht hat, dass man in sich selbst wieder das Wolfsgesicht sucht… Die Vorstellung, man schaut in den Spiegel, und es formt sich ein Wolfsgesicht, oder man wartet auf das Wolfsgesicht - die fand ich interessant."
"Ich fand es interessant, dieses Bild von etwas ganz Rohem, von etwas aus der 'ursprünglichen Natur' Kommenden, zu drehen: ein Bild zu zeichnen von Wölfen, die in Anzügen in der Stadt stehen, die irgendwie total slick sind, mit ihren zurückgegelten Haaren… Ich wollte ein Bild haben für so ein Ur-Natur-Helden-Deutschtümelei-Blödsinn-Ding, das sich wandelt in etwas, was gesellschaftlich akzeptiert ist. Das spiegelt ja auch die Bewegung wider, die auch die Sprache macht. Es gibt eine total rohe, menschenfeindliche Sprache, die verpackt und dann von Slimfit-Anzugträgern gesprochen wird. Die gesprochen wird von Menschen, die sich in der bürgerlichen Mitte verorten. Das ist eigentlich wie eine Neuverpackung des Wolfs."