Hörspiel: Ezra Pounds weltumspannendes Epos

Cantos

Der amerikanische Dichter Ezra Pound im Garten seines Pariser Studios im September 1923
Der amerikanische Dichter Ezra Pound im Garten seines Pariser Studios im September 1923 © picture alliance / dpa
Von Christian Bertram · 22.09.2019
„Mensch sein und nicht Zerstörer“ – mit dieser Zeile beendet Pound seinen figurenreichen, poetischen Diskurs durch die Menschheitsgeschichte.
Als Schlüsselfigur avantgardistischer Kunstbewegungen, inspiriert von der Antike, dem alten China oder der Renaissance, revolutionierte Ezra Pound das Dichten der Moderne. "Cantos" – Gesänge – nannte er sein weltumspannendes Epos, das er 1915 begann und das in über 50 Jahren zu einem gigantischen Werk anwuchs. In ihnen dichtete er nicht nur gegen Kriege und deren Ursachen an, sondern besang vielstimmig und figurenreich die Menschheitskulturen in ihren Höhen und Tiefen.
Die Auswahl vergegenwärtigt essentielle Teile der "Cantos" als Hörerlebnis von hoher sprachlicher und bildhafter Intensität.
"Pound begann die Cantos 1915 in unmittelbarer Reaktion auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In Schüben veröffentlichte er bis in die 60er-Jahre neun Blöcke mit über 110 Cantos. Aus diesem Konvolut habe ich für die Hörspieladaption ca. 30 Cantos ausgewählt, die die elementaren Themen und Motive des Gesamtwerks vergegenwärtigen. Es handelt sich dabei insbesondere um Auszüge aus den frühen Cantos, ferner den sog. "Höllen-Cantos", den Chinesischen Cantos, den Italienischen und den Pisaner Cantos sowie Entwürfe und Fragmente. (...) In seinem Epos nimmt Pound raffinierte dramaturgische Rückbindungen vor, versetzt Gegenwärtiges in die Vergangenheit und umgekehrt. Bögen werden gespannt: Von den modernen Großkriegen zu Homers Odyssee, von der Finanzindustrie zu den "Höllenzecken" in Dantes Inferno". (Christian Bertram)

Cantos
Hörspiel von Christian Bertram
Textauswahl und Bearbeitung: Christian Bertram
Auf Grundlage der Übersetzungen von Eva Hesse, Manfred Pfister, Rainer G. Schmidt
Regie: Christian Bertram
Komposition: Gebrüder Teichmann
Mit: Michael Rotschopf, Jürgen Holtz, Friedhelm Ptok, Imogen Kogge, Patrick Güldenberg, Christopher Nell, Lisa Hrdina, Elena Schmidt u.a.
Ton: Thomas Rombach, André Bouchareb, Andreas Stoffels, Eugenie Kleesattel
Produktion: HR/Deutschlandfunk Kultur 2018
Länge: 88'04
Eine Wiederholung vom 01.07.2018

Ezra Pound, 1885 in Idaho geboren, verließ nach dem Studium die USA und lebte zunächst in Venedig, London und Paris. Wendepunkt seines Lebens war der 1. Weltkrieg, der ihn tief traumatisierte. 1924 ließ er sich in Rapallo (Italien) nieder, von wo er sein dichterisches Werk, Essays und Übersetzungen publizierte. Als erklärter Kriegsgegner und unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise wurde er zum Fürsprecher des Diktators Mussolini. Bei Kriegseintritt der USA rief Pound in Radioansprachen die amerikanischen Soldaten zur Rückkehr auf und verfiel in haltlose Wutattacken. Im April 1945 stellte er sich dem amerikanischen Militär, wurde verhaftet, in ein Lager bei Pisa gebracht und drei Wochen in einem Metallkäfig in Einzelhaft gehalten. Der Anklage wegen Hochverrats in den USA entging er durch ein Gutachten, das ihn für verrückt und verhandlungsunfähig erklärte. Nach 13 Jahren in einer Anstalt für "kriminelle Geisteskranke" kam Pound 1958 frei und kehrte nach Italien zurück. Er starb 1972 in Venedig.
Christian Bertram, geboren 1952, studierte Germanistik, Theaterwissenschaften und Geschichte an der FU Berlin. Er inszenierte für Theater oder Rundfunk nach eigenen Bearbeitungen Beckett, Celan, Corneille, Duras, Genet, Robert Walser, Ernst Jünger, Pierre Klossowski, Rilke, Herman Melville. Bertram ist auch immer wieder Initiator und Veranstalter von Kunst- und Kulturprojekten und führt seit 2015 mit Simone Bernet in Berlin die Galerie Bernet Bertram.