Hörspiel - Doppeltermin

Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater

Der Schriftsteller, Komponist und bildende Künstler Gerhard Rühm.
Der Schriftsteller, Komponist und bildende Künstler Gerhard Rühm. © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Konrad Bayer und Gerhard Rühm · 18.02.2018
Dichter nutzen die neuen akustischen Möglichkeiten des Radios ("Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater"). - Suchen, Finden, sich erinnern ("Wanderwörter").
Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater
Eine burleske Horchkomödie
Von Konrad Bayer und Gerhard Rühm
"Anders als im 'absurden Theater' wird hier die Wirkung nicht aus der Verfremdung psychologischer Situationen bezogen, sondern unmittelbar aus dem sprachlichen Material." (Gerhard Rühm)

Über die burleske Horchkomödie "Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater" schreibt Gerhard Rühm: "Nach einer Reihe kleinerer Gemeinschaftsarbeiten, in denen eine literarische Technik der Montage entwickelt und demonstriert wurde, entstand als erste größere Gemeinschaftsarbeit in dieser Richtung das Hörspiel "Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater".
Anders als im "Absurden Theater" wird hier die Wirkung nicht aus der Verfremdung psychologischer Situationen bezogen - das absurde Theater ist im Grunde nur das Negativ des traditionell psychologischen Theaters -, sondern unmittelbar aus dem sprachlichen Material: Aus der Verfremdung von Sätzen und Satzzusammenhängen. Sätze und Wörter sind eigenständige Elemente, die nicht der landläufigen, sozusagen praktischen Logik oder, wie im absurden Theater, deren Umkehrung folgen müssen, sondern - es handelt sich um ästhetische Produkte! - autonom manipulierbar sind.
"Absurde", "komische" Wirkungen beruhen nicht unbedingt auf aufgebauten Pointen, sondern sind Ergebnisse, realisierte "materiale" Beziehungen, die - und dann sind sie immerhin einkalkuliert - Komik erst im Bezugssystem des Konsumenten gewinnen. So ist auch "Handlung" in der Montage nicht eine vorgegebene, nach der sich die Sätze zu formulieren und auszurichten haben, sondern gewissermaßen eine entdeckte Interpretation. Unmittelbar aus der Arbeit und der Beschaffenheit, dem Assoziationsfeld des Materials, das einem bestimmten Repertoire meist fertig vorgefundener Sätze entstammt, wird das Konzept entwickelt, das nun rückwirkend den gewonnenen Text retuschiert und seinen weiteren Verlauf beeinflusst und begrenzt. Der "Sinn" des ganzen Unternehmens: Das ästhetische Vergnügen - das Maß der Innovation - die Überraschung, die das Ergebnis provoziert; und darüber hinaus: Die Wahrnehmung neuer Beziehungen, die - wie könnte es bei sprachlichen anders sein - auch die gesellschaftlichen berühren und differenzieren im Sinne der Artikulation von Freiheit, der Freiheit des Ausdrucks."

Von Konrad Bayer und Gerhard Rühm
Regie: Klaus Schöning
Mit: Kurt Lieck, Christoph Quest, Gerhard Rühm
Produktion: WDR 1968

Länge: 38'37

Konrad Bayer, 1932 in Wien geboren, wurde mit H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Oswald Wiener Mitglied im ‘wiener artclub’. Schrieb Texte für Experimentalfilme. 1958-1959 literarisches Kabarett. 1963 einige Monate in Frankreich. Begegnung mit Friedrich Hundertwasser. 1962 Übernahme der Redaktion der avantgardistischen Zeitschrift ‘edition 62’. In Paris erschien der mit Oswald Wiener erarbeitete Text ‘Starker Toback’. 1963 Uraufführung des Einakters ‘Bräutigall & Anonymphe’ in Wien. 1966 erschien ‘Der sechste Sinn’ (Rowohlt), Texte von Konrad Bayer, herausgegeben von Gerhard Rühm. Am 11.10.1964 nahm Konrad Bayer sich das Leben.
Gerhard Rühm, 1930 in Wien geboren, studierte an der Staatsakademie für Musik Klavier und Komposition. Beschäftigung mit orientalischer Musik in Beirut. Aufführungen von Kompositionen in und außerhalb Österreichs. Ab 1954 vorwiegend literarische Tätigkeit. 1958/59 literarisches Kabarett mit Achleitner, Bayer und Wiener. 1959 erschien in Wien ‘hosn rosn baa’, Dialektdichtung mit Achleitner und Artmann. 1961 in der Schweiz ‘konstellationen’ in ‘konkrete poesie 4’. Buchveröffentlichungen: ‘Die Wiener Gruppe’ (1967), ‘Fenster’ (1968). Publikationen in Zeitschriften und Anthologien. Ausstellungen visueller Poesie. Aufführungen von Theaterstücken in Österreich, Schweden, Deutschland. Lebt seit 1964 in Berlin.
Der deutsche Schriftsteller Christian Geissler im Jahr 1981.
Der deutsche Schriftsteller Christian Geissler im Jahr 1981.© picture alliance / dpa
Wanderwörter
Von Christian Geissler
Als Christian Geissler im November 1998 für den Kunstpreis des Landes Niedersachsen zu danken hatte, sagte er zum Schluss: "Ich heiße meine Wörter gehen Wörter wandern wohin wer wandert wer weiß." Jetzt sind diese drei Zeilen in ihrer Ausarbeitung zu einem Hörweg geworden, zu einem Schneeweg im südöstlichen Polen. "Irrweg zielgewiß", schreibt Geissler an die portugiesische Malerin Maria Lino und schreibt weiter: "Alles Böse hat Sinn. Der einzige Unsinn ist die Liebe. So ist sie unverlierbar. Auf gehts!" Im Winter unterwegs ist ein alter Mensch. Er sucht im Wüstenweiß nach einem Halt, er sucht nach Worten, er rätselt. Von Schritt zu Schritt wird er feindlich beobachtet, auch zärtlich. Er stolpert und staunt. Ihn begleiten, klar und treu, Arbeitserinnerungen aus fünfzig Jahren Arbeit. "Was ich getan habe, so heiße ich", schreibt Geissler an Lino: "Der da den Schnee abhinkt, der ist alt. Ich bin alt. Auf geht‘s!"

Von Christian Geissler
Mit: Christian Redl, Marc Oliver Bögel, Rosemarie Gerstenberg, Hedi Kriegheskotte, Pia Podgornik, Tom Skoruppa, Helmut Wöstmann, Christian Geissler
Ton: Alfred Habelitz
Regie: Ulrich Lampen/Constanze Renner
Produktion: SWR 2001

Länge: 42'10

Christian Geissler, geboren am 25. Dezember 1928, gestorben in Hamburg am 26. August 2008, war Schriftsteller, Hörspielautor und Dokumentarfilmer, zudem Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Sein Werk, das Romane, Gedichte, politische Publizistik, Fernsehspiele und Hörspiele umfasst, dokumentiert die Entwicklung eines engagierten Autors vom linkskatholischen Gesellschaftskritiker der frühen Sechzigerjahre zum Kommunisten und Antiimperialisten, der in den 1970er Jahren einen auch sprachlich äußerst eigenwilligen Weg eingeschlagen hat. Die Veröffentlichungen der Neunzigerjahre bekräftigten mit ihrer zunehmenden Verrätselung Geisslers Stellung als die eines Außenseiters innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. 2012 Gründung der Christian Geissler Gesellschaft. Sein Hörspiel ‚Unser Boot nach Bir Ould Brini’ (SWF 1993) wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet sowie zum Hörspiel des Jahres gekürt. Postum inszeniert: ‚Ohren Aufbohren. Monolog der Schurkenfrau’ (SWR 2011).