Hörspiel "Die Welpen"

„Als ginge man durch eine Welt ohne Liebe“

08:48 Minuten
Pavel und Lotta Zaltsman in Leningrad 1959
Drei Jahrzehnte lang hat Pawel Salzman an den „Welpen“ geschrieben, vollendet hat er den Roman nie. Im Bild: Pawel und Lotta Salzman in Leningrad 1959. © E Zaltsman, M Zusmanovich
Von Sarah Murrenhoff · 26.02.2019
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Pawel Salzman? Sein Name fehlt im Kanon der russischen Literaturgeschichte. In dem unvollendeten Roman "Die Welpen" lässt er Tiere von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts in der Sowjetunion erzählen. Nicht die einzige Herausforderung bei der Hörspielinszenierung, wie Regisseur Klaus Buhlert berichtet.
Hörspiel-Ausschnitt:
"Die Welpen im Dunkeln. Die Kälte.
Sie zittern unterm schwarzen Fell.
Versuchen sich fest zusammenzurollen.
Sie schieben die Schnauze an die Hinterbeine.
Bedecken sie mit den Ohren - blinzeln.
Blicken auf breite Wolken.
Sie drehen sich, im Kreis.
Wenn die Sonne brennt, kriechen sie aus dem Zelt.
Strecken sich, die Vorderpfoten durchgedrückt.
Kratzen Flöhe ..."
Das zwanzigste Jahrhundert steckt in seinen Anfängen, in Russland herrscht Bürgerkrieg. Zwei junge Hunde streunen durch das Land auf der Suche nach etwas zu Essen, auf der Suche nach Menschlichkeit und Liebe. Sie begegnen Soldaten auf Raubzügen, Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, Liebenden, tötenden und habgierigen Menschen. Das ist das Setting von "Die Welpen".
Hörspiel-Ausschnitt:
"Augenlos, die Nasenlöcher geschwollen, liegt er regungslos da und fühlt mit seiner ganzen Haut die näherkommende Dämmerung. Nichts zu essen! Immer öfter nichts zu essen. Immer größer die Kälte."
Buhlert: "Die Zone der Unmenschlichkeit" betreten
Der Roman von Pawel Salzman lag jahrzehntelang in der Schublade. Salzman? Sein Name fehlt im Kanon der russischen Literaturgeschichte. Bekannt ist Pawel Salzman – wenn dann – als Maler und Szenenbildner für den Film. Erst 2012 – 27 Jahre nach seinem Tod – erschien sein einziger Roman in Russland, vier Jahre später dann auf Deutsch bei Matthes & Seitz. Eine literarische Sensation, Kritiker waren begeistert von diesem Romanmonument. Und auch dem Hörspielregisseur Klaus Buhlert hatten es "Die Welpen" angetan:
"Das große Thema des Romans ist eigentlich der Verlust von Menschlichkeit. Der Verlust von Humanität, der Verlust von Vertrauen und der Verlust von Liebe. Und dadurch, dass Pawel Salzmann so schreibt, wie er schreibt, und nicht permanent darauf hinweist, was wir eigentlich suchen, sondern dass er es einfach als vermisst, als Vakuum beschreibt und darstellt, empfindet man diese unfassbare Zone. Die Zone der Unmenschlichkeit, in die man eintritt, die Brutalität und diese unglaubliche antihumanistische Kraft, die der Roman, wenn man ihn aufschlägt, plötzlich eröffnet. Weil keiner sagt, "das muss so oder so sein", sondern man erfährt es selbst. Es ist, als ginge man durch eine Welt und man merkt, wie hart, wie brutal, wie öde und leer diese Welt ohne Liebe ist.
Mehrere Monate hat Klaus Buhlert mit den "Welpen" verbracht, hat sie wieder und wieder gelesen, um die mehr als 500 Seiten zu einem dreiteiligen Hörspiel zu adaptieren, bei dem er auch Regie geführt und die Musik geschrieben hat.
Aus der Perspektive der Tiere erzählt – ein literarischer Kniff
Tiere beobachten Menschen und schildern aus ihrer Perspektive eine Welt voller Gewalt, Gier, Kälte und Verrohung – eine kaum vorstellbare Not, die Pawel Salzmann selbst erlebt hat. Als Sohn eines Russlanddeutschen und einer russischen Jüdin wurde er 1912 in Bessarabien geboren. Den Hunger, die Großen Säuberungen Ende der 1930er Jahre und die Leningrader Blockade überlebte er – seine Eltern hingegen nicht. Klaus Buhlert:
"Diese Entfremdung der Welt und dieses entmenschlichte Verhalten, das in einer moralischen Gesellschaft zu beurteilen, das überlässt er lieber Lebewesen, die keine Beurteilungsfähigkeit haben und die das Leben so sehen, dass es nicht in bestimmte Schablonen passt, sondern wie es sein soll, wie es ist, aus einer Annäherung beschreiben und gleichzeitig aus einer Fremdheit. Und das ist genau der Hintergrund, weshalb er Welpen gewählt hat. Das ist ein sehr schöner literarischer Kniff, eine Sache interessant zu gestalten, die man normalerweise auch klischeeisiert schreiben kann, über moralische Übungen. Und er hat es eben geschafft, einen szenischen Aufbau dieser Katastrophe zu zeichnen, die Sprache in einer anderen Form zu benutzen als sie in Russland damals benutzt worden ist. In Russland gab es zwei Arten von Sprache: Die eine war "Bullen schreien militärische Befehle" und die zweite war: Beten, seufzen und sich aus allem Realen heraushalten."
Hörspiel-Auszug:
"Tanja (Gebet):
Herr, hilf uns! Gib uns heute Brot, oder Radieschen...
Oder Fleisch, am besten Fleisch.
Nicht Regen, sondern warmen Staub.
Erstick uns im Rauch.
Verseng uns im Feuer
keine Kraft mehr, Herrgott – "
Klaus Buhlert: "Er hat versucht, einen Mittelweg zu gehen und die Sprache wieder – in diesem Fall – Tieren und ihrer Empfindung zuzuschreiben und hat damit einen expressionistischen Sprachtrick für den Roman gefunden, der gut funktioniert meines Erachtens.
Drei Jahrzehnte lang hat Pawel Salzman an den "Welpen" geschrieben. Vollendet hat er den Roman nie. Die Handlung setzt sich aus vielen Fragmenten zusammen, eine Art Mosaik der Sowjetunion inmitten der Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Für Hörspielregisseur Klaus Buhlert, der gern mit Werken der literarischen Moderne arbeitet, eine besondere Herausforderung.
Zoom, Zeitlupe und abrupte Schnitte
"Ich musste den Autor natürlich sehr ernst nehmen und auch seinen experimentellen Ansatz und so. Es ist ein bisschen schwierig zu verstehen, weil es keine Handlung durch die Zeit ist, sondern es ist eher eine Parallelhandlung, die immer wieder abbricht, immer wieder neu aufgenommen wird. Figurennamen bleiben die gleichen, die Personen sind aber nicht die gleichen. Das heißt, es ist ein etwas experimentellerer Sprachstil im Roman, den man auch erklärlich machen muss in einer Hörspielinszenierung. Das war das Problem, vor dem wir standen."
Das Hörspiel übernimmt die expressionistische Sprache des Romans und auch den fragmentarischen Erzählansatz. Bruchstückhaft schieben sich unterschiedliche Handlungen und detailreiche Schilderungen von drei Erzählstimmen ineinander. Genau wie der Roman setzt auch das Hörspiel filmische Mittel wie Perspektivwechsel, Zoom, Zeitlupe und abrupte Schnitte ein. Klaus Buhlert:
"Und diese magischen Momente kommen natürlich bei Pawel Salzman aus seinem bildnerischen Schaffen, aus seinem künstlerischen Schaffen, aus seiner optischen Welt, die er da hinein impliziert. Und wir mussten das natürlich umsetzen in spannende akustische Räume beziehungsweise Zustände, die einen Audiofilm evozieren. Dass man weiß, wo man ist, mit wem ist man da. Und was ist das Spannende, das Traumhafte dieser Sequenzen, und was ist anders als in einer normalen gesellschaftlichen Umwelt."
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