Hörspiel

Die ILIAS im Radio - eine Koproduktion

Raoul Schrott · 25.12.2007
Öffentlich-rechtliches Radio ist immer auch Produktionsstätte von künstlerischen Werken. Dem Hörspiel, der einzigen originäre Kunstform, die das Radio hervorgebracht hat, kommt hier mit seinen vielfältigen Genres und Gattungen - vom Originalhörspiel bis hin zur Theater- und Romanadaption - eine besondere Rolle zu. Ein neuer Beweis dafür ist Raoul Schrotts Übertragung der 24 Gesänge von Homers ILIAS, die hr2-kultur und Deutschlandfunk gemeinsam initiiert haben.
Die Hörspielredaktionen beider Sender gaben die Neuübersetzung in Auftrag und ermöglichten so die Produktion. Darüber hinaus wird als Ergebnis nicht nur eine Sendung im Radio vorliegen. Die hr/Deutschlandfunk-Produktion erscheint als Hörbuch im Hörverlag und in Buchform bei Hanser, außerdem wird sie seit 2006 mit dem Vorabdruck einzelner Gesänge in der Zeitschrift Akzente begleitet. Eine Produktion des öffentlichen-rechtlichen Radios also, die Synergien nutzt und auf verschiedenen Ebenen ästhetischen Mehrwert schafft.

Ein auf gut 24 Sendestunden angelegtes Projekt hat natürlich seine Geschichte: In Zeiten der Besinnung auf den Bildungskanon ist es naheliegend, dass die Radiomacher wieder Texte der Antike berücksichtigen. Und in Zeiten allgegenwärtiger Kriegskonflikte ist Homers ILIAS, die vom Trojanischen Krieg erzählt, aktueller denn je. Wie ist das Werk aber ungekürzt dem heutigen Publikum nahezubringen? Wenn Zufall und Programmüberlegungen sich vereinen, kann man von glücklicher Fügung sprechen. Einen Dichter mit einem neuen Werk zu beauftragen, verlangt nach dem günstigen Moment, in dem der Dichter für diesen Auftrag empfänglich ist.

Der Zufall ereignete sich Anfang 2005, als der österreichischen Dichter und Romancier Raoul Schrott gegenüber dem hr-Hörspiel den Wunsch formulierte, seine Beschäftigung mit der Antike mit einer Übersetzung der "Odyssee" zu krönen. Sie solle den Text einem zeitgenössischen Publikum erschließen und zugleich die dichterische Qualität des Originals wahren. Da hr2-kultur bereits 1996 eine in moderner Prosa gehaltene Lesung dieses Werkes mit großem Erfolg realisiert hatte, steuerte das Gespräch konsequenterweise in Richtung ILIAS. Raoul Schrott sagte zu.

Projekte dieser Größenordnung übersteigen heutzutage in der Regel die Kräfte eines einzelnen Senders. Da die Hörspielleiterin des Deutschlandfunks, Elisabeth Panknin, ihr diesjähriges Weihnachtsprogramm mit Werken aus der Antike bestücken wollte, bot sich eine Zusammenarbeit an. Dass die Chemie zwischen den beiden Sendern stimmte, hatte die hr/Deutschlandfunk-Koproduktion von Klaus Buhlerts "Mosaik" bewiesen, die von der Jury der Akademie der Darstellenden Künste zum "Hörspiel des Jahres 2005" gekürt worden war.

In der Regel sendet bei Koproduktionen der federführende Sender das Stück zuerst und der koproduzierende kurze Zeit später. hr2-kultur und Deutschlandfunk entwickelten jedoch ein anderes Modell, das dem Programm des jeweiligen Senders entsprechen sollte.

Der Deutschlandfunk als Koproduzent sendet zu Weihnachten 2007 zuerst die Gesänge 1-8. Im September 2008 wird dann hr2-kultur, der traditionell seine Großprojekte auf Radiotage oder Schwerpunktmonate konzentriert, seinen "Troja"-Schwerpunkt ausrufen und an den Werktagen die 24 Folgen der ILIAS präsentieren. Daraus könnte sich ein weiterer Synergieeffekt ergeben, denn die Ausstrahlung im Deutschlandfunk schafft Aufmerksamkeit, die dem September-Schwerpunkt in hr2-kultur zugute kommen kann, zumal zur Buchmesse 2008 Buch und Audiobuch erscheinen werden. Die Ausstrahlung der verbleibenden 16 Gesänge 2008/9 im Deutschlandfunk schließt den Kreis: Die ILIAS wird hoffentlich über ein Jahr in der öffentlichen und medialen Diskussion bleiben.

Manfred Hess, Dramaturg in der Hörspielredaktion des Hessischern Rundfunks

ILIAS von Homer in 8 Gesängen

Di. 25. Dezember
Mi. 26. Dezember
Mo. 31. Dezember
Di. 1. Januar
jeweils um 14:05 und 15:05
Deutschlandfunk