Hörspiel des Jahres 2018

"Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen"

08:53 Minuten
Susann Maria Hempel blickt in einem Schwarzweißfoto ernst zur Seite
Die Filmemacherin und Autorin Susann Maria Hempel © Samuel Henne/rbb KulturRadio
Von Michael Langer · 29.01.2019
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Das Radiostück „Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen“ von Susann Maria Hempel ist zum Hörspiel des Jahres gewählt worden. Es besticht durch eine ungewöhnliche Machart und eindringliche Geschichte. „Es gibt da wirklich eine große Intimität“, sagte Jurorin Viktoria Knotkova im Dlf.
AUSSCHNITT HÖRSPIEL "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" (rbb, Nov. 2018)
Michael Langer: Susann Maria Hempel, die eigentlich vom Film her kommt, hat mit ihrer zweiten Radioarbeit die Jury auf Anhieb überzeugt. Viktorie Knotkova, Dramaturgin am Theater Bremen, war eine der drei Preisrichterinnen, die Hempels Hörspiel nicht nur als bestes des Monats November, sondern als bestes Hörspiel des vergangenen Jahres ausgezeichnet haben - und noch dazu einstimmig:
Viktorie Knotkova: Absolut, also, wir waren von Anfang an begeistert, also von Anfang an, meine ich, als wir das zum ersten Mal gehört haben unter all den vielen Hörspielen im November, und diese Begeisterung hat gar nicht nachgelassen, auch als wir uns jetzt entscheiden mussten für das "Hörspiel des Jahres".
Und dazu muss man sagen, dass es eine große Konkurrenz gab, dass man alle Hörspiele des Monats, genauso zum "Hörspiel des Jahres" machen konnte, also die sind wirklich wahnsinnig toll, wahnsinnig unterschiedlich. Aber dieses Hörspiel, diese Geschichte, die Maria Hempel also selbst aufgenommen hat, sie hat ein Mensch getroffen, der ihr seine Lebensgeschichte erzählt hat. Sie hat Musik komponiert, sie hat gesungen, sie hat Regie geführt, sie hat alle Stimmen, die in dieser Geschichte in diesem Gespräch vorkommen, diesem sehr intimen Gespräch, gesprochen. Also, das ist etwas, was so besonders ist und so toll und so berührend, dass wir wirklich uns einstimmig entschieden haben, dieses Hörspiel besonders zu würdigen.
HÖRSPIEL-AUSSCHNITT
Michael Langer: Der Umstand, dass die Autorin - lasst mich den Löwen auch noch spielen - fast alles allein gemacht hat - Stimme, Musik und Regie - war aber letztlich wohl nicht das Ausschlaggebende - sonst hätte man ja auch bloß die Anstrengung für den Erfolg genommen. Für Viktorie Knotkova geht es um mehr.
Eine traurige Geschichte
Viktorie Knotkova: Ja, nee nee, dass sie das alles alleine macht, das ist wie ein schöner Bonus oder etwas, was man eigentlich erst im Nachhinein entdeckt. Also wenn man das Hörspiel hört, wenn man das Glück hat, wird man vor allem, würde ich sagen, von der Geschichte, also von wirklich einer sehr ja menschlich traurigen Geschichte mitgenommen, die mit einer unglaublichen Ruhe dargestellt wird, und gerade, wo es um eine seelische Unruhe geht. Es geht um einen Menschen, der einen Schock erlitten hat nach einer unrechtmäßigen Inhaftierung als Republikflüchtling in der DDR. Er wurde misshandelt, er wurde ausgegrenzt, er ist, nachdem er das Gefängnis verlassen hat, hat er es eigentlich nicht mehr geschafft, in die Gemeinschaft, die Gesellschaft wieder zurückzufinden. Man hört, dass er schon als Kind, weil er sich für Freunde auch außerhalb des Standards entschieden hat, nicht wirklich zu den anderen gehört hat, also man wird unmittelbar von einer Figur, von einer Geschichte berührt. Und ich finde wirklich absolut bemerkenswert, mit welcher Ruhe und Sicherheit das gemacht wird.
HÖRSPIEL-AUSSCHNITT
Viktorie Knotkova: Aber das Hörspiel ist wirklich auch vom Ton her, von der großen Musikalität, ganz ganz ganz besonders toll gemacht.
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Das Wiederfinden der Seelenatome
Viktorie Knotkova: Also, das ganz Tolle ist daran, dass es wirklich eine einzige Stimme ist, dass es auch wirklich direkt mit dem Thema, was sie behandelt, zu tun hat. Es geht um einen Menschen, der alleine ist, der niemand hat, der durch die Susanne einen Gesprächspartner wiedergefunden hat. Es gab einen Freund, der ist gestorben, also es ist jemand, der ganz alleine ist. Und dadurch, dass die Autoren alle Stimmen selbst spricht, verschwindet auch diese Grenze zwischen Ich und Du, zwischen Mir und dem anderen. Es gibt da wirklich eine große Intimität und die Möglichkeit, etwas mitzuteilen und überhaupt etwas zu teilen, und das ist das, was diesem Menschen in seinem Leben fehlt. Also er wurde ausgegrenzt, er wird stigmatisiert durch seine Inhaftierung, durch sein Anderssein, auch durch die Armut bzw. dadurch, dass er sich zu einem Menschen bekannt hat, der arm war. Und das finde ich sehr klug, das so zu machen, wie das die Autoren gemacht hat, weil genau diese Einsamkeit wird sehr spürbar, aber es wird auch spürbar, wie viel das bedeutet, wenn es einen Gesprächspartner, der so einfühlsam ist wie sie, gibt. Und wie sehr es helfen kann, wie auch in dem Stück gleich noch einmal gesagt wird, die Seelenatome, die also die Seele, die man verloren hat, wieder zu finden oder mindestens zu erahnen, wer man mal war.
HÖRSPIEL-AUSSCHNITT
Michael Langer: Die studierte Mediengestalterin Susann Hempel setzt in ihrem Hörspiel auch musikalisch Akzente: So verfremdet sie Schumanns Dichterliebe und Liederkreis, zitiert Heine und Eichendorff, intoniert aber auch noch den russischen Dichter Jewgeni Jewtuschenko sowie den Schotten Robert Burns. Bei Hempels Stück liegen nicht nur Noten unterm Sofa, sondern die Highlands auch im Thüringer Wald.
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"Mäuse sind meine einzigen Bezugspersonen"
Viktorie Knotkova: Ich finde, dass es ihr gelungen ist, diese Liedsätze, also diese Schumann-, Eichendorff- und Heine-Vertonungen sehr unpathetisch einzusetzen, also so, dass es wirklich möglich ist, dass man sie wie zum ersten Mal hört. Das unterscheidet sich natürlich je nachdem, wie man mit diesen Liedern vertraut ist, aber ich hatte wirklich das Gefühl, dass das auch eine Sache ist, die ganz genau passt. Es bleibt nah an dem Menschen, der die ganze Zeit uns durch die Geschichte führt und erzählt. Und dazu kommt noch, also diese Vertonungen werden durchbrochen von digitalem Vogelgezwitscher, und ich finde, dass da eine Atmosphäre erschaffen wird, in der das, was wir Seele nennen, nahezu greifbar ist, also die Verletzungen werden erfahrbar. Das ist wirklich toll und das ist auch wirklich großartig, wenn man eine Geschichte für ein Hörspiel, für ein Hörstück benutzt, in der es vor allem darum geht, was passiert, wenn einem der Zuhörer fehlt, der Gesprächspartner. Ich finde, dass auch diese Form uns vielleicht helfen kann, uns noch mehr einzufühlen in die Einsamkeit oder die Isolierung von diesem Menschen, der wie in dem Hörspiel vorkommt, sagt: "Mäuse sind meine einzigen Bezugspersonen". Also, man kann nicht alleine leben, man braucht jemanden, und wenn das nicht Menschen sind, dann müssen es Tiere sein oder die Natur, also es muss etwas geben, dass man das Ich mit einem Du begegnen lässt.
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