Hörspiel des Jahres 2018: "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen"

Über die Verletzlichkeit der Seele

06:07 Minuten
Ein Mann im Gefängnis
Für die mit großer Empathie erzählten Schicksale hat Susann Maria Hempel eine Form gefunden, die man so im Hörspiel bisher nicht gehört hat. © imago
Jochen Meißner im Gespräch mit Shanli Anwar · 17.01.2019
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"Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" (RBB) ist Hörspiel des Jahres 2018: Autorin Susann Maria Hempel verwebt Erinnerungen von DDR-Häftlingen mit Liedern der deutschen Romantik und Ansichten über die Seele des Philosophen Lukrez.
Das Hörspiel "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" (hier in der Mediathek) basiert auf Interviews, die Susann Maria Hempel mit entlassenen Strafgefangenen geführt hat, die in DDR-Gefängnissen drangsaliert wurden und seitdem in ihrem Leben nicht mehr richtig Fuß fassen können. Jetzt hat die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste die RBB-Produktion als "Hörspiel des Jahres 2018" ausgezeichnet.

Autorin kommt vom Experimentalfilm

Die Autorin Susann Maria Hempel, 1983 im thüringischen Greiz geboren, ist eine vielfach ausgezeichnete Experimentalfilmerin (hier ein Beispiel ihrer Arbeiten beim Bayerischen Rundfunk). Es ist erst das zweite Radiostück der Autorin und das erste lange Format. Vorher hatte sie das 20-minütige Stück mit dem Titel "Niemand stirbt so arm, dass er nicht irgendetwas hinterlässt" gemacht - auch das schon ein Monolog, den sie selbst gesprochen hat.
Susann Maria Hempel blickt in einem Schwarzweißfoto ernst zur Seite
Preisgekrönt: Hörspiel-Autorin Susann Maria Hempel© Samuel Henne/rbb KulturRadio
Auch wenn das preisgekrönte Hörspiel "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" beim RBB auf einem Feature-Sendeplatz lief, hat es wenig "Dokumentarisches". Es gibt keine Originaltöne, sondern sämtliche Texte werden von der Autorin als Hörmonolog gesprochen, die als "Susann" auch selbst auftritt.

Verletzlichkeit der Seele wird mit Stimme beglaubigt

Susann Maria Hempel zeigt die Verletzlichkeit der Seele anhand ihrer Gesprächspartner und beglaubigt das mit ihrer Stimme, die mal solo, mal in Überlagerungen mit sich selbst und mal sogar chorisch vorkommt. Der Titel geht auf die Vorstellung des altrömischen Philosophen Lukrez zurück, dass die Seele aus Atomen besteht. Im Gefängnis sei die Seele aus ihm "rausgemacht", erklärt ihr ein Gesprächspartner, und sie ist bis heute nicht heimgekehrt.
Die Ebene der persönlichen Schicksale wird noch um die Dimension der deutschen Romantik ergänzt. Kunstlieder von Heine bis Eichendorff werden gesungen – natürlich wieder von Susann Maria Hempel selbst und zwar in einer "elektronisch entfremdeten" Form, wie es die Jury in ihrer Begründung genannt hat.

Schicksale werden mit großer Empathie erzählt

Für die Überlagerung spätantiker Philosophie mit der deutscher Romantik und mit großer Empathie erzählte Schicksale hat Susann Maria Hempel eine Form gefunden, die man so im Hörspiel bisher nicht gehört hat und die die Form des Hörmonologs neu definiert.
Das Hörspiel des Jahres wird seit 1987 von der Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt vergeben. Eine dreiköpfige Jury kürt aus den Produktionen der ARD und des Deutschlandlandradios jeden Monat das "Hörspiel des Monats" und wählt aus den 12 Hörspielen des Monats das Hörspiel des Jahres.

Das Hörspiel des Jahres "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" von Susann Maria Hempel ist auf der Internetseite des RBB abrufbar und läuft am 2. Februar 2019 um 20.05 Uhr im Deutschlandfunk.

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