Hörbücher "Der geschenkte Gaul" und "Das Urteil"

Hildegard Knefs Memoiren, gelesen von Hildegard Knef

04:46 Minuten
Cover des Hörbuchs "Der geschenkte Gaul" & "Das Urteil" mit Hildegard Knef
Knefs Memoiren bekommen durch ihre eigene Stimme eine eigenartig schöne Stahlkraft, findet unser Rezensent. © Deutschlandradio / roof music
Von Andi Hörmann · 29.07.2019
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Hildegard Knef hat drei Leben gelebt und eine Krebserkrankung besiegt. Darüber schrieb sie zwei Bücher. Der Verlag tacheles bringt beide zusammen als Sechs-Stunden-Hörbuch heraus - vorgelesen von der Knef selbst.
"Auf den ersten Teil unseres Lebens werden wir zu wenig vorbereitet, auf den zweiten gar nicht, auf den Tod überhaupt nicht. Worauf werden wir vorbereitet?"
Es klingt resignierend, steckt aber voller Liebe und Leiden, wenn Hildegard Knef aus ihrem Leben erzählt:
"Ich, Hildegard Frieda Albertine hatte ihr wenig Freude gemacht, ihr, der Mutter Frieda Augusta. Da waren ewig neue, zahllose, Familien zermürbende Krankheiten. Tropfen- und Tabletten-Ströme. Hilde ist dauernd krank, hieß es."

Drei Leben: Schauspielerin, Sängerin, Autorin

Trotz oder vielleicht gerade deswegen hat sich die mediale Grande Dame des Wirtschaftswunders gleich drei Karieren erarbeitet: In den 1950er-Jahren Femme Fatale auf der Leinwand, in den 1960er-Jahren betörende Chanson-Sängerin und in den 1970er-Jahren auch noch Schriftstellerin — mit schonungslosen Selbstanalysen.
"Da war die Angst vor Dunkelheit, Angst vor Alleinsein, Angst vor Vergesslichkeit. Da waren geschwollene Augen und Gerstenkörner. Da waren die Gummibeine der Kinderlähmung. Gebrochenes Schlüsselbein, das nicht heilen wollte. Rheuma, das sie und mich schlaflos machte. Nasenbein, das zerschlagen, Kiefer, der operiert, Fuß, der mit Rasierklinge zerschnitten, weil Mutter im Kino und um elf noch nicht zurück."
1970 erscheint "Der geschenkte Gaul. Bericht aus einem Leben", der autobiographische Bestseller von Hildegard Knef: Acht Monate auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Es ist eine eindringliche Nabelschau einer hart erarbeiteten Künstlerlaufbahn, an die zu Beginn der Kariere kaum jemand so recht glauben mochte:
"Mein liebes Kind, es war sehr schön und sehr ergreifend. Nur werden Sie die Klassiker niemals spielen können, niemals, mit diesem grauenvollen Berliner S."

Eigenartig schöne Strahlkraft aus ihrem Munde

Die von Knef selbst gelesenen Memoiren bekommen aus ihrem Mund eine eigenartig schöne Stahlkraft. In einem aus dem Nähkästchen plauderhaften Ton, mit einer vom Alter und dem prallen Leben gezeichneten Stimme, nimmt sie den Hörer mit in ihr Leben voll kämpferischem Ehrgeiz, trotz anfänglichem Zweifel.
"Und hübsch war ich auch nicht. Weiß Gott nicht. Keiner fand mich hübsch, außer Großvater. Die Verkäuferin im Buchladen nebenan hatte gesagt: Du wirst der Tante Hulda immer ähnlicher. Und obwohl ich Tante Hulda liebte, wollte ich ihr nicht ähnlich sein. Und Mutter sagte zum Stiefvater so nachts in die Finsternis hinein: Ein Jammer, dass Hilde nicht hübscher ist. Und Stiefvater murmelte gestört verschlafen: Na ja, aber ganz interessant sieht sie aus…"
Die Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef in den 1980er-Jahren.
Die Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef in den 1980er-Jahren.© dpa / United Archives/Impress / Alexander Wittmann
Mit "Das Urteil" veröffentlicht Hildegard Knef 1975 ein Buch über ihren Kampf gegen eine Krebserkrankung.
"Die Patientin beginnt, Schlagworte vor sich hin zu schnurren: Hatte alles, dickes Leben, pralles, Erfolg, Misserfolg, angepinkelt, trockengerieben, hochgehoben, fallengelassen, Liebe, Zorn, Hass, Liebe. Glück lässt sie aus. Glück, das Phantom, das zum Zentaur wurde."

"Musik ist der Schritt, den die Sprache nicht gehen kann"

Auszüge aus beiden Büchern sind nun als ein mehr als sechs Stunden langes Hörbuch erschienen — gelesen von Hildegard Knef selbst. Die Aufnahme von "Der geschenkte Gaul" stammen aus dem Jahr 1998, drei Jahre vor ihrem Tod, und "Das Urteil" hat sie zum Erscheinen des Buches Mitte der 1970er-Jahre eingelesen — mit einem unvergleichlichen Knef-Moment, wenn an einer Stelle ihre Stimme regelrecht singt, als sie ihren behandelnden Arzt sprechen lässt.
"Was ich sehe, was ich sehe, ist nichts als eine kleine, dumme Zyste, orgelt die Frohnatur, klopft meinen Rücken und trabt in den Entwicklungsraum."
Das nölige Stimmorgan der späten Knef steht in diesem Hörbuch neben der forschen Artikulation der 50-jährigen Schauspiel-Ikone. Dieses Hörbuch ist dabei atemberaubend authentisch. Ganz nah dran beschreibt Hildegard Knef ihr Leben, ihre Lust und ihr Leiden. Fehlt nur noch ihre Musik. Aber zu der hat sie auch eine starke Meinung — formuliert in einer Tagebuchnotiz als Briefentwurf für ihre Tochter:
"Musik ist der Schritt, den die Sprache nicht gehen kann. Sie ist die Mulde oder der Berg, auf dem du unantastbar deine Schrammen ausheilen lassen kannst. Und ganz ohne Schrammen lebt nicht mal der Dickhäuter, und der — dessen bin ich gewiss — bist Du meine Tochter nicht."

Hildegard Knef: "Der geschenkte Gaul" und "Das Urteil"
tacheles, Bochum 2019
zwei MP3-CDs, sechs Stunden, 17,99 Euro

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