Hörbuch

Inszenierung mit Lücken

Der Schriftsteller und Arzt Alfred Döblin
Der Schriftsteller und Arzt Alfred Döblin © dpa picture alliance
Von Michael Opitz · 19.08.2014
2000 Seiten umfasst das Original - eine Tetralogie, in der Alfred Döblin zu ergründen versucht, wie es zur Machtergreifung Hitlers kommen konnte. Entscheidende Passagen fehlen in der nun vorliegenden Hörspielfassung.
- "Stillgestanden! Soldaten. Ihr habt euch geschlagen wie die Helden."
Sonntag, der 10. November 1918. "Was gibt es neues Maus?" - Krankenstation, Zweibettzimmer. -
- "Mit Richard ist es aus."
- "Der Krieg ist eine gefährliche Sache!" - Oberleutnant Friedrich Becker -.
- "Wir hatten gestern noch Karten gespielt.' - Leutnant Johannes Maus -.
- "Ich habe gestern seinetwegen noch Karten gekauft."
- "Du warst draußen und hast dich erkundigt? Was ist mit dieser Revolte."
Über einen Zeitraum von nicht einmal zweieinhalb Monaten verfolgt Döblin in seinem Epos "November 1918" das Schicksal der Novemberrevolution, indem er sich Menschen zuwendet, die nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs die Unruhen eines revolutionären Umbruchs erleben. Einer von ihnen ist der Gymnasiallehrer Dr. Friedrich Becker. Ihm zur Seite stehen authentische Personen aus der militärischen Administration und der Politik wie Hindenburg, Ebert, Scheidemann und Liebknecht.
Döblins Erzählverfahren, das Handlungsgeschehen nach dem Montageprinzip zu organisieren, hat Regisseur Norbert Schaeffer für die Hörspielinszenierung übernommen – und er greift darüber hinaus auf historische Tondokumente zurück.
Der Eindruck: ein Torso
"'Sorget nicht, was nach dem Kriege werden soll. Das bringt nur Missmut in unsere Reihen und stärkt die Hoffnungen der Feinde', Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg 1917‚ 'vertrauet, dass Deutschland erreichen wird, was es braucht, um für alle Zeit gesichert dazustehen, vertrauet, dass der deutschen Eiche Luft und Licht geschaffen wird, zu freier Entfaltung.'"
Tagesschausprecher Jan Hofer übernimmt in diesem hochgradig besetzten Hörspiel, in dem fünfzig Sprecher mitwirken, die Rolle des Chronisten. Dass nach mehr als vier Stunden dennoch der Eindruck bleibt, es mit einem Torso zutun zu haben, liegt nicht an einzelnen Aspekten – die Argumente der Komponistin Martina Eisenreich überzeugen, wenn sie mit Trompeten innerhalb eines biographischen Abrisses zeithistorische Bezüge anklingen lässt.
Auch die Sprecher – Jakob Diehl spricht den Johannes Maus und Sebastian Rudolph ist als Friedrich Becker zu hören – sind nicht das Problem.
"'Wir hatten eigentlich vor, darüber nachzudenken: Wie kommt man zum Frieden? Wir wollen nicht wieder in den Krieg geführt werden. Die Schlächterei soll aufhören.'
'Wer den Krieg beseitigen will, lieber Becker, muss vor allem 'mal selber Krieg führen. - Warum? Weil Krieger bewaffnet sind. Und Du kannst sie nicht ohne Waffen entwaffnen. Ist das klar?'
'Ich muss wieder zurückgehen zu unserer allerersten Frage: Wer hat den Krieg verursacht. Du nennst den Kapitalismus. Ich widerspreche nicht. Aber ich bin auch schuldig. Ich habe schwere Verbrechen zugelassen. Ich habe an ihnen teilgenommen. Ich habe meine Vernunft nicht gebraucht, um sie zu erkennen, aber das entlastet mich nicht.'"
Tetralogie ohne vierten Teil
Dass das Projekt vieles schuldig bleibt, liegt an der Entscheidung des Regisseurs, auf einen Erzähler zu verzichten, der in Döblins "November 1918" das umfangreiche, mit vielen Aspekten der Zeitgeschichte angereicherte Material so organisiert, dass man sich darin nicht verliert. Da dieser eingreifende, das Material ordnende Erzähler fehlt, stehen die einzelnen Episoden, aus denen sich das Handlungsgeschehen zusammensetzt, nun disparat nebeneinander. Dass Schaeffer das Döblinsche Textmassiv radikal zusammengestrichen hat, ist ein weiterer Grund für das Scheitern der Produktion.
Auf den wichtigen vierten Teil der Tetralogie, "Karl und Rosa", wird gleich ganz verzichtet. Diese Amputation ist deshalb so schmerzlich, weil die Positionen von Liebknecht und Luxemburg fehlen, die während der Novemberrevolution das politische Gegengewicht zu Scheidemann und Ebert bildeten. Anders als Döblin, dessen Roman auf die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 zuläuft, setzt Schaeffer einen anderen Schlussakzent. Dies wäre in einer nur etwas mehr als vierstündigen Hörspielfassung sicherlich nur schwer umzusetzen gewesen, aber weniger ist diesem Fall leider viel zu wenig.
Mehr zum Thema