Hörbuch

Faszinierend-verstörende Hörkunst

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Kein anderer Film hat eine Zeitepoche so absolut detailgetreu nachgezeichnet wie dieses schwarz-weiße Meisterwerk, das 1999 zum besten britischen Film des 20. Jahrhunderts gewählt wurde. © picture alliance / dpa
Von Ralf Bei der Kellen  · 13.06.2014
"Der Dritte Mann" ist einer der bekanntesten und wichtigsten Filme des letzten Jahrhunderts. Dieser cineastische Meilenstein war Ausgangspunkt für das Hörbuch "Der Dritte Mann - Orson Wells’ Schatten".
"Niemand hatte sich verraten. Martins’ tastende Finger hatten in der glatten Mauer der Lüge und Täuschung noch keine merkliche Ritze entdeckt. Trotzdem kam Martins der Gedanke, dass mit Limes Tod etwas nicht stimmte."
Graham Greenes klassische Kriminalerzählung ist bis heute in den Köpfen vieler Menschen untrennbar mit den schwarz-weißen Bildern der Verfilmung von 1949 verbunden. So einen Stoff noch einmal als Hörbuch an den Mann oder die Frau bringen zu wollen, klingt nach einer Verzweiflungstat. Es ist aber weder eine solche, noch handelt es sich hierbei um ein klassisches Hörbuch – wie der Reihentitel "Klangbuch" bereits erahnen lässt:
"Da werden Sie kein Glück haben. Es ist niemand da. Er ist tot. Wann ist das passiert? Und wie?"
Musikalische Inszenierung als Alleinstellungsmerkmal
Zwar ist Norbert Gastells Stimme allein schon ein Hinhörer, aber erst die musikalische Inszenierung verhilft diesem Klangbuch zu seinem Alleinstellungsmerkmal.
Die Musik war auch Ausgangspunkt für dieses Projekt. Im September 2001 wurden im Rahmen des Festivals "Zither 4" in Wien die Werke von sechs Komponisten uraufgeführt, die sich vom "Dritten Mann" inspirieren ließen – und sich dabei vor allem an dem berühmten "Harry Lime-Thema" von Anton Karas rieben. Das erboste Publikum reagierte mit Türenknallen und Rückforderung des Eintrittsgeldes.
"Mörder!"
Einer der Komponisten war Georg Haider, dessen Klangschöpfungen dem vorliegenden Hörstück zugrunde liegen. Gespielt werden sie von einem Zitherquartett, unterstützt von Schlagzeug und Altposaune. "Kriminalklangensemble" nennt sich das Ganze.
"Was für eine seltsame Welt liegt doch – den meisten von uns unbekannt – unter unseren Füßen verborgen. Wir leben über einer Höhlenlandschaft von Wasserfällen und rauschenden Flüssen, wo Ebbe und Flut abwechseln wie in der Welt darüber."
Die Abwasserkanäle der Stadt Wien, die Harry Lime als Versteck dienen, sind für die Besatzermächte ein unkontrollierbares Labyrinth. In ihnen spiegelt sich die psychologische und moralische Komplexität der Erzählung. Im Gegensatz zur gefälligen Zither-Musik von Anton Karas, die den Film eher als Räuber und Gendarme-Geschichte erscheinen ließ, ist die Musik Georg Haiders ein mikrotonales Psychogramm des skrupellosen Verbrechers Lime und dem moralischen Dilemma seines besten Freundes.
Kein easy listeing
"Er litt große Schmerzen. Und so, wie ein Tier sich zum Sterben ins Dunkle verkriecht, so strebt der Mensch zum Licht. Er will in der Heimat sterben. Und für die Menschen ist eben die Finsternis niemals die Heimat…"
Wie alle Klangbücher des Mandelbaum-Verlags erscheint auch der "Dritte Mann" als Buch im verlängerten CD-Format. Auf 34 Seiten kann man hier das Hörerlebnis durch Bilder von der Aufnahme sowie Essays zum Projekt vertiefen.
Fazit: Dieser "Dritte Mann" ist kein Futter für das Autoradio, kein Unterhaltungskrimi, kein Auffrischen einer bereits bekannten Erzählung. Georg Haiders "Der Dritte Mann – Orson Welles’ Schatten" ist uneasy listening, faszinierend-verstörende Hörkunst, die bewusstes Hören erfordert. Und nachdem man diesen Stoff mit anderen Ohren gehört hat, wird man vermutlich auch den Film mit anderen Augen sehen.
"Ich möchte nur wissen, was ihn dazu veranlasst hat, diese paar lächerlichen Töne der Melodie zu pfeifen, von der ich in meiner Beschränktheit stets geglaubt hatte, er hätte sie selbst geschrieben."

Georg Haider: "Der dritte Mann - Orson Welles' Schatten für Kriminalensemble"
Hörspiel nach Graham Greene
Sprecher: Norbert Gastell. 1 CD. Mit ausführlichem Booklet
Mandelbaum, Wien 2014, 24,90 EUR