Hörbuch

Die Partei, die macht das Recht

Von Ralf Bei der Kellen · 07.03.2014
Elli Barczatis, langjährige Sekretärin des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, und der Systemkritiker Karl Laurenz waren ein Liebespaar. Wegen angeblicher Spionage wurden sie angeklagt und hingerichtet. Ein Hörbuch gibt mit Original-Mitschnitten beklemmende Einblicke in die Verhandlung.
Richter: "Die Öffentlichkeit wird von der Verhandlung ausgeschlossen, wenn es die Notwendigkeit der Geheimhaltung der zur Verhandlung kommenden Tatsachen erfordert…"
Und geheim sollte es bleiben, was am 23. September 1955 in einem Gerichtssaal in Ostberlin zur Verhandlung kam:
Richter: "Die Angeklagten sind erschienen…"
Die langjährige Sekretärin des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl Elli Barczatis und ihr Geliebter Karl Laurenz sind der Spionage und damit des Landesverrats angeklagt.
Richter: "Ich bitte also, die Öffentlichkeit auszuschließen."
Der im tschechischen Brünn geborene Laurenz ist 50, promovierter Jurist, Journalist und Übersetzer. Zu Beginn des Prozesses wird er vom Richter aufgefordert, Rechenschaft über seinen Lebenslauf abzulegen.
Laurenz: "Im Sommer keine Schuhe, im Winter kein Mantel, und sobald es ging, Zeitungen austragen und Milch austragen."
Der unangepasste Laurenz eckt in der DDR an, wird aus der Partei ausgeschlossen und hat bald keine Möglichkeit mehr, Arbeit zu finden:
Laurenz: "Ich habe mich als BVG-Schaffner beworben, ich habe mich als Abrissarbeiter beworben bei der Abrissfirma Schmidt in der Greifswalder Straße – alles umsonst."
1949 lernt der bereits in der inneren Emigration lebende Laurenz die überzeugte Kommunistin Elli Barczatis kennen, die Karriere innerhalb der Partei macht.
Richter: "Angeklagte – wer waren Sie?"
EB: "Ja, ich weiß, Herr Präsident."
Richter: "Wer waren Sie?"
EB: "Ich war die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten."
Barczatis hat kaum etwas verraten
Sechs Jahre lang sind die beiden ein Liebespaar. Während dieser Zeit bekommt Laurenz Kontakt zur sogenannten "Organisation Gehlen", dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes.
Richter: "Angeklagter… sprechen Sie, wenn Sie von den Sowjetsoldaten sprechen, nicht von 'sowjetischen Freunden', sondern von den Sowjetsoldaten oder der sowjetischen Armee… und 'Genossen' – den Ausdruck vermeiden Sie bitte auch, ja?"
Laurenz: "Jawohl, Herr… (unverständlich)."
Macht einen der Zynismus des Richters Walter Ziegler, sein Desinteresse an den vor ihm stehenden Menschen, beim Hören gelegentlich wütend, so trägt das dummdreiste Verhör durch Staatsanwalt Wolfgang Lindner fast schon komische Züge.
Staatsanwalt (mit starkem sächsischen Akzent): "Angeklagter! Ist Spionage ein Skatspiel? Ist Spionage ein, ein Schachspiel, wo man sich hinsetzt, zwei Parteien gegenüber, öffentlich schauen so und so viel zu, oder was ist denn Spionage?"
Trotz ihrer exponierten Stellung gab Barczatis kaum echte Staatsgeheimnisse an den westdeutschen Geheimdienst weiter. Vielleicht führte man sie deshalb in den Gehlen-Akten unter dem Decknamen "Gänseblümchen". Aber die Schwere des Vergehens ist ohnehin zweitrangig: Mit dem Prozess soll in der noch jungen DDR ein Exempel statuiert werden."
Staatsanwalt: "Ich beantrage nach diesem Gesetz wegen erwiesener Verbrechen gegen die Angeklagte Barczatis, Elli Helene, geboren am 7.1.1912 die Todesstrafe. [Barczatis schreit auf] Die Angeklagten… den Angeklagten ist das Vermögen einzuziehen."
Gnadengesuche abgelehnt
Die Partei hat immer Recht– da können auch die bewegenden Abschlussworte der Angeklagten nichts mehr ändern:
Laurenz: "Es ist mir nach ziemlich schwerem Kampf gelungen, den inneren Schweinehund, der seit '52 von mir Begriff ergriffen hatte, zu überwinden. Ich habe diese für mich immerhin wichtige Tatsache in einem Verschen festgehalten, der da lautet: 'Ich komme aus Nacht und Finsternis, sie sollen mich nicht begleiten. / Ein dunkler Vorhang plötzlich zerriss, ich will dem Lichte entgegenschreiten.' Hoher Senat… auch von mir kann man noch irgendetwas für den Aufbau erreichen – natürlich im Rahmen des Strafvollzugs. Von dem toten Laurenz hat niemand etwas."
Wichtige geschichtliche Ereignisse lässt Maximilian Schönherr von einem Sprecher erklären. Der Verdienst des Autors liegt aber vor allem darin, dass er das Originalmaterial sprechen lässt.
Nach der Ablehnung ihrer Gnadengesuche werden Elli Barczatis und Karl
Laurenz in den Morgenstunden des 23. November 1955 hingerichtet. Aus dem Bericht über den Ablauf der Exekution spricht noch einmal die Unmenschlichkeit jenes Systems, das die Menschen doch eigentlich von Zwängen befreien sollte:
Sprecher: "Nach erfolgter Ausfertigung sämtlicher vorgeschriebener Papiere wurde die Leiche nach dem Krematorium Tolkewitz gebracht, und die Einäscherung im Beisein des Genossen VP Hauptwachmeister Bachmann vollzogen."

Maximilian Schönherr: Fallbeil für Gänseblümchen. Der Spionageprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz im Originalton
Christoph Merian Verlag
1 CD, 53 Minuten, 13,90 Euro

Mehr zum Thema