Höllische Schmerzen

Die Hauptfigur von Tomás González, Jacobo, leidet seit einem Autounfall unter unerträglichen Schmerzen.
Die Hauptfigur von Tomás González, Jacobo, leidet seit einem Autounfall unter unerträglichen Schmerzen. © Unsplash / Ram Mindrofram
15.11.2012
Jacobo erträgt sein Leiden nicht mehr. Seit ein Junkie im Vollrausch sein Taxi gerammt hat, sitzt er im Rollstuhl und muss höllische Schmerzen leiden. Er nimmt sich mit ärztlicher Hilfe das Leben, begleitet von Familie und Freunden. Sein Vater erinnert sich noch Jahre später daran.
Die Geschichte ist ungeheuerlich, dennoch macht Tomás Gonzáles kaum Aufhebens davon. Genau darin besteht die Spannkraft seines schmalen Romans "Das spröde Licht". "In dieser Nacht lag ich lange wach", hebt sein Held, der kolumbianische Maler David, seinen Monolog an. Der ruhige Tonfall und die schlackenlose Sprache lassen das Gleißende des Ereignisses noch stärker hervortreten - die Qualen des Ich-Erzählers liegen jenseits dessen, was in Worte zu fassen ist.

David, seine Familie und enge Freunde haben sich in ihrer New Yorker Wohnung an der Lower East Side versammelt, während die Söhne Jacobo und Pablo nach Portland gefahren sind. Jacobo will dort mithilfe eines Arztes freiwillig aus dem Leben scheiden, und zwar mit Billigung seiner Angehörigen. Obwohl die Eltern und Geschwister ihn nicht verlieren wollen, respektieren sie die Entscheidung. Mehr noch: Sie begleiten den Schwerkranken bis zu seinem Ende.

Jacobo, so erfährt man nach und nach, war Jahre zuvor Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Ein Junkie im Vollrausch hatte das Taxi erfasst, in dem Jacobo gerade saß, und seither ist er querschnittsgelähmt und wird tagaus, tagein von höllischen Schmerzen gequält. Als sein Leiden immer mehr zunimmt, entscheidet er sich zu dem schrecklichen Schritt. Während Jacobo mit seinem Bruder die letzten Tage in Portland verbringt und die Ankunft des Arztes erwartet, mehrfach zu Hause anruft, um sich der Nähe seiner Eltern zu vergewissern, harren David und Sara unter Qualen in New York aus, bis schließlich die Todesnachricht eintrifft.

Das Dilemma teilt sich dem Leser unmittelbar mit; einen Ausweg gibt es nicht. Diskret, mit stilistischem Understatement und dennoch präzise, wie es dem scharfen Blick eines Malers gebührt, vermittelt González den extremen Zustand seines Helden. Es gelingt dem 1950 in Medellín geborenen Schriftsteller, der lange Zeit in New York zu Hause war, als Journalist und Übersetzer arbeitete, acht Romane verfasste und inzwischen wieder in Kolumbien lebt, die widersprüchliche Erfahrung eines Schicksalsschlags zu vermitteln.

Denn mitten im Tod sind sich die Figuren nahe:

"Eine Welt ohne Schmerz, dachte ich, wäre so unvollständig, unharmonisch und hässlich wie eine Skulptur oder ein Baum ohne Schatten."

Tomás González, der mit diesem Band in seiner Heimat endgültig den Durchbruch schaffte, stattet seine Totenwache mit einer Rahmenhandlung aus. David ist mittlerweile Mitte siebzig und verwitwet, wie sein Erfinder, als er nach Kolumbien zurückgekehrt, wo er, von einer Haushälterin umsorgt, inmitten eines Gartens mit exotischen Pflanzen lebt. Malen ist unmöglich geworden, weil er allmählich erblindet. Dem Verlust des Augenlichts setzt er das Erzählen entgegen und kehrt noch einmal zum Schmerzzentrum seines Daseins zurück. Während ihn die Trauer um seinen Sohn innerlich zerriss, malte er Wasserwirbel und Schaum, aufgewühlt von einer Schiffsschraube. Das Schöpferische siegt über die zerstörerische Macht des Todes und gibt dem Schmerz eine Form.

Besprochen von Maike Albath

Tomás González: Das spröde Licht
Aus dem Spanischen von Rainer Schultze-Kraft und Peter Schultze-Kraft
S. Fischer, Frankfurt am Main 2012
171 Seiten, 17,99 Euro

http://www.litprom.de/weltempfaenger.html
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