Höhlenrettung in Thailand wird weltweit verfolgt

Voyeurismus oder Empathie?

Ein Familienmitglied zeigt ein Bild von Kindern aus einer Jugendfußballmannschaft, die tagelang in einer Höhle in Thailand eingeschlossen waren.
Ein Familienmitglied zeigt ein Bild von Kindern aus einer Jugendfußballmannschaft, die tagelang in einer Höhle in Thailand eingeschlossen waren. © AFP
09.07.2018
Mit Spannung verfolgen Menschen weltweit den Versuch, die thailändischen Fußballmannschaft aus der Höhle zu retten. Was treibt uns an, das Geschehen zu verfolgen? Ist es Voyeurismus oder Empathie, haben wir den Psychologen Louis Lewitan gefragt.
Mehr als 1000 Retter aus der ganzen Welt sind in Thailand vor Ort, um die eingeschlossenen Jugendlichen aus der überfluteten Höhle zu retten. Die Zeit drängt, denn sollte es erneut stark regnen, könnte dies die Situation der Jungen und ihres Trainers dramatisch verschlechtern. Die internationalen Medien berichten nonstop von den Ereignissen vor Ort. Akribisch wird die Rettungsaktion von Experten diskutiert und von Menschen weltweit gebannt verfolgt. Mit Voyeurismus, der sich am Leid anderer ergötzt, habe das allerdings nicht zu tun, erklärt der Psychologe Louis Lewitan:
"Ich bezeichne das als Empathie, denn es ist die Fähigkeit und die Bereitschaft von Menschen Anteil zu nehmen an dem Leid anderer, ohne Lust dabei zu empfinden. Insofern ist das auch ein wichtiges Mitgefühl, das wir haben. Und wir solidarisieren uns mit Menschen in einer Not. Insofern handelt es sich aus meiner Sicht nicht um Voyeurismus."

Besondere Form der Anteilnahme

Während Gaffer bei einem Autounfall in Kauf nehmen, das Rettungsgeschehen zu behindern und mitunter sogar Videos der Verunglückten ins Netz stellen, würden die Menschen, die die thailändische Rettungsaktion verfolgen, niemandem schaden. In der besonderen Aufmerksamkeit, die der Rettungsaktion gewidmet werde, drücke sich vielmehr eine besondere Form der Solidarität mit den Verunglückten aus, erklärt Louis Lewitan:
"Jede Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass wir uns solidarisch verhalten. Denn rein theoretisch könnten wir in einer ähnlichen Situation auch kommen. Und so sind wir nun 'mal darauf angewiesen, dass wir uns gegenseitig helfen. Nun sind ja hier die meisten von uns hilflos, weil wir ja nichts beitragen können. Und wir nehmen stellvertretend sozusagen Anteil an dem Leid dieser jungen Menschen und solidarisieren uns mit ihnen, was eigentlich sehr gesund ist."

Menschliche Urängste werden geweckt

Dass das Höhlenunglück im Vergleich zu anderen Unglücken besonders große Aufmerksamkeit auf sich zieht, habe möglicherweise auch damit zu tun, dass diese Situation viele menschliche Urängste wecke, erklärt Lewitan:
"Sie entsprechen Grundängste, die jeder schon 'mal erlebt hat, als Kind oder als Jugendlicher: das Gefühl eingesperrt zu sein, böse Geister oder nicht wissen, wie man rauskommt. "
Doch warum beschäftigen sich Menschen so intensiv mit einem Ereignis, das Urängste weckt? Louis Lewitan erklärt, dass in dem Schauer zugleich auch eine gewisse Lust liegt:
"Wenn sie sich die Anzahl von Krimis anschauen, wo Menschen umgebracht werden, dann fragt man sich natürlich: Warum schauen wir uns das an? Und es ist eine Appetenz und Aversion, sprich ein Hingezogen sein und zugleich ein Abschrecken und Abgestoßen fühlen. Da mischen sich sozusagen zwei Gefühle. Das eine ist das Anteilnehmen, das andere ist die Wonnelust. Und zugleich wird es in Märchen so aufgelöst, dass es gut geht. Hier wissen wir nicht, ob es gut gehen wird."
(mw)
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