Impostor-Syndrom

Das Gefühl, ein Hochstapler zu sein

Ein Businessmann im Anzug und Aktenkoffer mit einer weißen Hasenmaske auf dem Kopf.
Gefeiert als Geschäftsmann, aber eigentlich ein ängstliches Häschen? Manche Menschen schätzen sich sehr viel negativer ein, als ihre Erfolge nahelegen. © Getty Images / seen by hotshot
17.03.2023
Sie sind erfolgreich im Beruf, dabei können Sie eigentlich gar nichts! Solche Selbstzweifel können darauf hinweisen, dass Sie vom Impostor-Syndrom betroffen sind. Warum fällt es manchen Menschen so schwer, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen?
Das Impostor-Syndrom (engl. Imposter-Syndrom) wird oft auch als auch Hochstapler-Syndrom bezeichnet – und ist ein psychologisches Phänomen: Die Betroffenen haben massive Selbstzweifel. Meist treten diese Zweifel auf, wenn die Betroffenen Erfolge im Beruf, in der Schule oder an der Universität vorzuweisen haben.

Was verbirgt sich hinter dem Impostor-Syndrom?

Was, wenn alle merken, dass ich nichts kann? Ich habe diesen Job nur, weil sie eine Quote erfüllen mussten! Solche Gedanken sind typisch für Menschen, die vom Impostor-Syndrom betroffen sind: Sie sind objektiv erfolgreich, erklären sich das aber nicht mit ihren eigenen Fähigkeiten, sondern durch Faktoren wie Glück, Sympathie oder ausufernde Vorbereitung. Betroffene leiden an leistungsbezogenen Selbstzweifeln – und nehmen an, dass andere Menschen sie überschätzen.
Daraus resultiert subjektiv ein „Betrugsempfinden“, erklärt die Psychologin Mona Leonhardt von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie spricht auch vom Impostor-Selbstkonzept: Denn das Gefühl, ein Hochstapler zu sein, ist eine negative Selbstzuschreibung – die von der Außensicht abweicht.
Neben dem Begriff Impostor-Syndrom ist auch die Bezeichnung Impostor-Phänomen gebräuchlich: Anders als die Bezeichnung “Syndrom“ suggeriert, handelt es sich nämlich nicht um eine Krankheit oder psychische Störung im eigentlichen Sinn.
Die massiven Selbstzweifel können dennoch ernste Folgen haben. Menschen, die am Impostor-Phänomen leiden, stehen unter hohem Druck, sind sehr selbstkritisch und entwickeln perfektionistische Ansprüche. Das kann der Weg in einen Teufelskreis werden, wie die Psychotherapeutin Nesibe Özdemir beschreibt: Betroffene erbringen auf Grund ihrer hohen Ansprüche überdurchschnittliche Leistungen, ernten Anerkennung und werden auch eher befördert. „Das führt aber ironischerweise dazu, dass sich die Selbstzweifel nur noch weiter verstärken“, sagt Özdemir. „Weil sie das ja eigentlich nicht glauben. Sie sprechen sich diesen Erfolg nicht persönlich zu.“
Also müssen sie noch mehr leisten, um ihren Erfolg zu rechtfertigen. Nicht selten führt das zu einem Burn-out oder einer Depression. Sogar eine solche Diagnose empfänden Betroffene noch als Bestätigung ihrer negativen Überzeugungen über sich selbst, so die Psychotherapeutin. „Nach dem Motto: Jetzt bin ich lahmgelegt und funktioniere gar nicht mehr. Also stimmt es doch, dass ich ein Hochstapler war, denn im Grunde kann ich ja nichts“, erklärt Özdemir den Gedankengang. „Es braucht dann eine Weile, bis sie verstehen, dass diese psychische Erkrankung, wie zum Beispiel die Depression, nur die Folge dieser Überzeugungen ist.“

Wer ist besonders vom Impostor-Syndrom betroffen?

Erstmalig beschrieben wurde das Impostor-Phänomen 1978 von den US-amerikanischen Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes. Sie hatten an ihrer Fakultät die Beobachtung gemacht , dass Studentinnen und bereits promovierte Frauen trotz herausragender akademischer Leistungen häufig das Gefühl hatten, anderen nur etwas vorzutäuschen. Das kannten die beiden Wissenschaftlerinnen auch von sich selbst. Sie führten eine Studie durch, für die sie andere Akademikerinnen und Studentinnen befragten.
Inzwischen weiß man jedoch: Männer leiden ebenso häufig an den massiven Selbstzweifeln wie Frauen. Tatsächlich sind es vor allem die sogenannten Vorreiter, die besonders mit dem Gefühl der Hochstapelei kämpfen: also zum Beispiel Menschen, die als erste in ihrer Familie studieren. Es gebe zwar Hinweise darauf, dass das Impostor-Phänomen auch bei People of Color oft vorkomme, sagt Psychotherapeutin Özdemir. „Es ist aber nicht abschließend geklärt, ob diese Selbstzweifel – im akademischen Bereich zum Beispiel – wirklich beispielsweise am Migrationshintergrund liegen.“ Auch hier erklärt sich möglicherweise das Impostor-Phänomen durch eine Herkunft aus nicht-akademischen Verhältnissen – also wieder das Phänomen der Vorreiter.
Davon abgesehen handelt es sich bei dem Impostor-Syndrom um eine sehr universelle Erfahrung: Es tritt nicht nur unabhängig vom Geschlecht, sondern auch unabhängig von Intelligenz und Alter auf. Immer steht es aber in Verbindung mit Leistung und Erfolg und tritt etwa beim Einstieg ins Arbeitsleben, nach einer Beförderung, im Studium oder in der Schulzeit auf. Häufig verschwinden die Selbstzweifel wieder. In 80 Prozent der Fälle kommt und geht das Gefühl, ein Hochstapler zu sein. Längst nicht alle geraten in den Teufelskreis, den Nesibe Özdemir beschreibt.

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Viele Menschen kennen also nagende Selbstzweifel in Job, Studium oder Schule aus eigener Erfahrung. Einen Test, der eindeutig nachweist, ob man selbst betroffen ist oder nicht, gibt es jedoch nicht. „Es ist nicht so, dass man das Impostor-Phänomen hat oder nicht“, erklärt der Persönlichkeitspsychologe Kay Brauer von der Martin-Luther-Universität in Halle. „Sondern wir alle bewegen uns auf einer Dimension von ganz wenigen Ausprägungen im Hochstapler-Phänomen zu ganz hohen Ausprägungen.“
Brauer hat für den deutschsprachigen Raum den von der Entdeckerin Pauline Clance entwickelten Fragebogen überprüft, die sogenannte Impostor-Skala. „Das Instrument ist nicht untersucht für die Einzelfalldiagnostik“, sagt er. „Es gibt zum Beispiel keinen gut gesicherten Cut-off-Wert, wo man sagen würde, wenn man so und so viele Punkte erreicht, dann gibt es eine hohe Ausprägung“ – liegt man unter dem Wert, ist man dagegen bezüglich des Impostor-Phänomens unauffällig.

Was hilft gegen die Selbstzweifel?

Für Menschen, die trotz ihrer Erfolge die eigenen Leistungen als unzureichend empfinden, stellt sich aber zuvorderst eine andere Frage: Wie werde ich das Gefühl, niemals gut genug zu sein, wieder los?
Um die Selbstzweifel in den Griff zu bekommen, empfiehlt Sonja Rohrmann, Professorin für Differentielle Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt, mit anderen über das Gefühl der Hochstapelei zu reden und sich bewusst zu machen, dass das Impostor-Phänomen existiert: „Das ist die halbe Therapie, wenn man sich bewusst ist, das haben andere auch, ich stehe nicht allein da – und anfängt, das selbst zu reflektieren.“ Die Ärztin und Verhaltenstherapeutin Michaela Muthig gibt ebenfalls den Rat, den Austausch mit anderen zu suchen. Hilfreich könne daher auch sein, sich einer Gruppe von Betroffenen anzuschließen.
Im Umgang mit dem Impostor-Syndrom sei es außerdem wichtig, den Fokus auf die eigenen Erfolge zu richten und darauf, was genau man selbst dazu beigetragen hat, sagt die Psychotherapeutin Nesibe Özdemir.

Warum ist das Impostor-Phänomen nicht nur ein individuelles Problem?

So sinnvoll es ist, sich bei Leidensdruck Hilfe zu suchen, an der Individualisierung des Problems, wie sie sich in den zahlreichen im Internet kursierenden Selbsthilfe-Tipps zeigt, gibt es auch Kritik. Denn das sich dort wiederholende Narrativ „Du hast Selbstzweifel? Dann liegt es an dir, das zu ändern“ macht den Kontext unsichtbar, in dem Menschen sich ungenügend fühlen. „Stop telling women they have Impostor“ fordern etwa die Autorinnen Ruchika Tulshyan und Jodi-Ann Burey in der Harvard Business Review.
„Das Impostor-Syndrom lenkt unseren Blick darauf, berufstätige Frauen zu ‚reparieren‘, anstatt die Orte zu reparieren, an denen Frauen arbeiten“, schreiben sie dort. Denn erst durch die wiederholte Konfrontation mit Sexismus, systemischem Rassismus und Vorurteilen werden Gefühle der Unzulänglichkeit ausgelöst und verstärkt.
Erforscht hat das Devasmita Chakraverty, Wissenschaftspädagogin am Indian Institute Of Management Bengaluru in Indien. Sie hat eine Studie unter Doktoranden und Post-Docs in den USA durchgeführt. Das Ergebnis: Impostor-Gefühle korrelieren oft mit Faktoren wie Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder einem niedrigen sozioökonomischen Status. Bei Menschen, die unter einem sozialen Machtgefälle leiden, können Zweifel, Scham und Angst durch diskriminierende Erfahrungen überhaupt erst aktiviert werden.
„Wir als Forscher müssen offener sein für die vielen Dinge, die in Gesprächen mit Betroffenen zur Sprache kommen und das Impostor beeinflussen, wie sexuelle Orientierung: ein Faktor, der oft von Menschen beiläufig in meinen Interviews geäußert wurde“, sagt die Wissenschaftspädagogin. „Es könnte so viele Dinge geben, die wir noch nicht über das Hochstapler-Phänomen wissen.“
Quellen: Deutschlandfunk, Katja Bigalke, Andrea Lueg, Martina Weber, jfr
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