Hochseefischerei in der Ostsee

Ins Netz gelenkt

Fischereiforschungsschiff "Clupea" auf der Ostsee
Das Fischereiforschungsschiff "Clupea" auf der Ostsee vor Warnemünde. Im August 2013 schaute die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner vorbei. © picture alliance / dpa / Foto: Bernd Wüstneck
Von Lutz Reidt · 21.05.2015
Jährlich werden rund 90 Millionen Tonnen Fisch und Meerestiere aus den Ozeanen gezogen. Rund ein Drittel davon wird meist als toter Beifang wieder über Bord geworfen. Forscher vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock tüfteln daher an neuen Fanggeräten.
Gemächlich zieht die "Clupea" ihre Bahnen durch die Ostsee. Der knapp 30 Meter lange Forschungskutter mit knallblauem Rumpf ist unterwegs in Sichtweite der Küste von Mecklenburg. In der Ferne ist die Strandpromenade von Heiligendamm zu erkennen, schemenhaft auch die weiße Häuserreihe mit ihrer berühmten Bäderarchitektur.
Die Postkartenidylle über Wasser interessiert niemanden auf der Kommandobrücke. Was unter Wasser geschieht, ist für Daniel Stepputtis viel wichtiger. Der Forscher vom Thünen-Institut für Ostseefischerei sitzt auf der Kommandobrücke vor einem Monitor und steuert mit schwarzem Joystick die Kamera, die auf einem Unterwasserschlitten montiert ist.
Gleich dürfte das Netz auf dem Monitor erscheinen. Daniel Stepputtis hofft, dass er dann auch sieht, wie sich die Fische verhalten, wenn sie ins Netz schwimmen.
"Auch durch die vielen Kameratechniken, die wir jetzt einsetzen können, sind wir auch in der Lage, dieses Verhalten mehr zu untersuchen, besser zu verstehen und sehr präzise und genau zu steuern."
Der gelenkte Fisch
Das Verhalten von Fischen steuern, unter Wasser, im Netz. Das klingt absurd, ist aber wirklich das Ziel: Der gelenkte Fisch! Die Forscher wollen das Verhalten von Fischen so beeinflussen, dass der Fang bereits im Netz sortiert wird: Die "Guten" werden gefangen, und die Unerwünschten können wieder ins freie Wasser abhauen. Die Ostseefischer zum Beispiel warten auf solch eine Lösung. In ihren Fangnetzen zappeln neben Dorschen zu viele Plattfische, nämlich Flundern und Schollen:
"Die Plattfische sind halt so breit, dass sie durch diese Dorschmaschen einfach nicht durchpassen. Die bleiben natürlich im Netz hängen. Was am Ende natürlich eine Lösung wäre ist, die Maschen so groß zu machen, dass die Plattfische auch durchpassen; aber dann passen auch alle Dorsche durch, ganz klar. Dann fängt der Fischer nichts mehr."
Deswegen sucht Daniel Stepputtis nach einer Lösung: Er muss den gefangenen Plattfischen im Netz einen Weg ins freie Wasser anbieten, den die großen Dorsche nicht finden dürfen.
Jetzt taucht auch endlich das Netz in der trüben Brühe auf. Die Kamera kommt näher, die Konturen werden schärfer, erste Details sind zu erkennen: das hellere Garn und die dunklen Netzknoten. Gestochen scharfe Bilder!
Erstaunlich ist, dass die Forscher, in gut 20 Metern Tiefe, ohne Beleuchtung auskommen. Der Elektroingenieur Ulf Böttcher erklärt, warum:
"Diese Unterwasserkameras haben erstmal eine gute Auflösung und zudem sind sie auch noch sehr lichtstark, damit man auch in größeren Tiefen mit dem Restlicht, das da unten vorhanden ist, arbeiten kann. Das Problem ist: Wenn man Scheinwerfer verwendet und die dann vorausleuchten, ist das in etwa der gleiche Effekt als wenn man mit einem Auto mit dem Fernlicht bei Schneetreiben fährt; die Schwebekörper im Wasser reflektieren dann das Licht und verhindern, dass man überhaupt weit sehen kann."
Das Netz wirkt langgezogen, fast wie ein Schlauch, dieser Netztunnel führt nach hinten zum Steert, dem Endbeutel des Netzes. Dort landen die gefangenen Dorsche. Und möglichst keine Plattfische, also keine Flundern und keine Schollen, die jetzt vor uns durch den Netztunnel nach hinten sausen. Schwarze Silhouetten vor grauem Hintergrund. Einige drehen Pirouetten, kippen zur Seite weg, als wollten sie der Kamera ihre Bauchseite präsentieren:
"Wie der jetzt gerade, der dreht sich ein bisschen zur Seite, dass man auch sehen kann, das er wirklich auch flach ist; und dann ist er im Prinzip wie so eine Hand, die man sich anguckt, eine Hand, ausgestreckt, die Finger auseinander macht, eher breit als hoch; da zum Beispiel. Also, hier die Plattfische, die sind ja eher breit als hoch, und die fliegen hier wie so kleine Ufos vorbei. Während so ein Rundfisch, der Name sagt das schon, die sind im Querschnitt eher rund, wie die Dorsche zum Beispiel, die schwimmen eher wie so ein Torpedo, wie so ein kleines U-Boot an uns vorbei, durch den Tunnel. Das sieht schön aus. Und der hier guckt sogar in die Kamera."
Und gleich wird dieser Plattfisch am Scheideweg stehen. Denn im Netztunnel sind links und rechts Gitter angebracht. Gitter, durch die zwar kein dicker Dorsch passt, sehr wohl aber flache Flundern und Schollen. Theoretisch.
Am Gitter vorbei
Das Problem bei einem ersten Versuch war jedoch: Die Plattfische haben die Gitter nicht gefunden. Sie sind daran vorbei geschwommen, weiter nach hinten ins Netz und wurden mitgefangen. Wie die Dorsche. Daniel Stepputtis hat deswegen bei diesem Versuch ein Hindernis mitten in den Netztunnel gesetzt: Eine Plastikfahne, die jetzt in der Strömung auf und ab flattert. Er hofft, dass dieses Hindernis die Fische lenkt, so wie eine Verkehrsinsel mitten auf der Straße:

"Wir gucken jetzt genau in diesen Tunnel hinein, der in das Netz ganz hinten reinführt; und die Fische, die das Netz einsammelt, die schwimmen jetzt auf diese Verkehrsinsel zu, und dann merken sie auf einmal: Hier ist irgendwas, ich kann hier einfach nicht weiter; und schwimmen rechts und links dran vorbei; aber rechts und links ist dann auch gleich das Gitter, das wir da eingebaut haben. Und ganz, ganz viele Plattfische, die ich jetzt hier sehe, schwimmen da raus. Zack, da ist eine weg. Hier hat es eine verfehlt, die wird gefangen; und da ist auch wieder eine, die durch das Gitter durchpasst, perfekt. So haben wir uns das vorgestellt."
Wenn ein dicker Dorsch mal ans Gitter kommt, prallt er ab und schwimmt weiter nach hinten, in den Fangbeutel. Die meisten Plattfische jedoch können durch die Gitter entkommen. Ein schöner Erfolg für Daniel Stepputtis. So also könnten die Dorschnetze der Zukunft die Fische bereits unter Wasser sortieren, für eine schonende Fischerei. In der Ostsee vor Heiligendamm, aber auch anderswo auf den Weltmeeren.
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