Hochschul-Finanzierung neu justieren

Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Gabi Wuttke · 22.03.2011
Die föderale Wissenschaftsfinanzierung wird in wenigen Jahren an ihre Grenzen stoßen - glaubt Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Daher möchte Olbertz nicht nur über Exzellenz-Initiativen, sondern auch über Bundesuniversitäten nachdenken.
Gabi Wuttke: München, Heidelberg und Berlin, drei Städte in Deutschland beherbergen vier der besten Universitäten der Welt, zumindest nach Ansicht von Wissenschaftlern aus 131 Ländern. Was die Berliner Humboldt-Universität dem Ausland bereits bewiesen hat, muss sie im eigenen Land erst noch unter Beweis stellen, dass hier exzellent geforscht und gelehrt wird. Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist Professor Jan-Hendrik Olbertz, der Präsident der Humboldt-Universität, die im letzten Jahr ihren 200. Geburtstag feierte und es gerade in die Endrunde der Exzellenz-Initiative von Bund und Ländern geschafft hat. Herr Olbertz, gilt der Prophet im eigenen Land immer noch nichts?

Jan-Hendrik Olbertz: Doch, der gilt schon was. Man muss natürlich sagen, dass diese internationale Erhebung die Humboldt-Universität, glaube ich, auf Platz 72 gesehen hat. Deswegen habe ich gesagt, national jedenfalls ein bedeutsames Ergebnis. In der globalen Perspektive sollten wir bescheiden bleiben.

Wuttke: Warum glauben Sie, müssten Sie bescheiden bleiben? Wenn man eine große Bildungslandschaft auf der Welt sich anschaut, ist ja auch der Platz 72 durchaus beachtlich.

Olbertz: Es ist ja nicht so, dass ich mich darüber nicht freue. Ich nehme es nur eben nicht so dramatisch ernst, wie das in den Medien gelegentlich gemacht wird, denn es ist ja eine Befragung gewesen sozusagen im Sinne einer Rückmeldung aus der Professorenschaft, und da gibt es natürlich auch die Magie von Namen und vieles andere mehr. Das ist ja keine Erhebung, die sozusagen empirisch wirklich sicherbar ist.

Wuttke: Die Magie der Namen ist aber sicherlich nicht ausschlaggebend, wenn die meisten der 100 besten Universitäten, wie Sie es gesagt haben, nach Auskunft von vielen tausend Professoren aus aller Welt immer noch in den USA sind. Warum?

Olbertz: Ja, das ist so, weil wir natürlich mit den sehr erfolgreichen USA-Universitäten auch eine andere Art der Forschungsorganisation assoziieren: wesentlich mehr Freiräume, die Wissenschaft erleichtern und ermöglichen, natürlich wesentlich mehr Geld und auch Organisationsstrukturen, die schlicht effektiver sind als in den klassischen europäischen Universitätskonzepten, und zwar namentlich dann auch den deutschen. Insofern kann ich die Sehnsucht von Kolleginnen und Kollegen, die sehr stark forschungsinteressiert sind, gut verstehen, und da ist die Assoziation eben immer wieder tatsächlich Amerika und dort natürlich die wirklichen Elite-Universitäten.

Wuttke: Sie liefern das Stichwort zur Exzellenz-Initiative. Sie teilen die Meinung vieler Ihrer Kollegen, dass es für den Wirtschaftsstandort Deutschland sehr schädlich ist, wenn die Geistes- und Sozialwissenschaften kein Pfund sind, mit dem gewuchert werden kann bei dieser Exzellenz-Initiative. Wie begründen Sie das?

Olbertz: Es ist ja so, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften nach den Kriterien, nach denen die Exzellenz-Initiative aufgebaut ist, tatsächlich strukturell ein bisschen ins Hintertreffen geraten. Es sind ja Standardisierungen von Kriterien, also zum Beispiel Interdisziplinarität. In den Naturwissenschaften arbeitet man interdisziplinär, weil man gar nicht anders kann. In den Geisteswissenschaften haben wir sehr oft individuelle Arbeitsstile. Ein Historiker braucht ein gut ausgestattetes Zimmer und eine gut ausgestattete Bibliothek. Der wird nur dann sich in große interdisziplinäre Netzwerke begeben, wenn das für seine Forschungsfragestellung sinnvoll, oder sogar unabdingbar ist. Da werden die Geisteswissenschaften oft nicht als so spektakulär angesehen, weil man auch nicht unmittelbar sieht, welches Verwertungsinteresse eigentlich geltend gemacht werden kann. Sie bringen Erkenntnis, sie bringen Einsicht, aber sie kommen nicht zu handfesten, auf dem Markt verwertbaren Ergebnissen, und das halte ich für ein Riesenproblem, denn Wissenschaft muss eigentlich auch unsere Neugier befriedigen und uns voranbringen als Menschen und nicht nur immer nur Abends in der Kasse mit Heller und Pfennig sich gegenrechnen lassen.

Wuttke: Wenn die Gewichtung für die Exzellenz-Initiative Ihrer Meinung nach also falsch ist, warum können Sie dann diesem Projekt nicht die kalte Schulter zeigen? Ist es das Geld, ist es das ausschließlich?

Olbertz: Sie ist zunächst mal keineswegs falsch. Wir haben ja eine enorme Dynamik in die Wissenschaft bekommen durch diese Initiative, die ich absolut begrüße.

Wuttke: Aber die Gewichtung ist falsch?

Olbertz: Ja, die Gewichtung ist nicht richtig. Man müsste es eigentlich variieren und stärker differenzieren zwischen den Fachkulturen. Und der zweite Punkt: es muss irgendwann auch mal darüber gesprochen werden, dass natürlich in dieser Art von Wettbewerb sich auch die Wissenschaft selbst verändert. Es ist, wenn wir ganz offen sind, nicht nur ein Wettbewerb um die besten Ideen und die profundesten Erkenntnisse; es ist auch ein Wettbewerb um die besten Anträge, und es ist ein Wettbewerb um Geld, der unter Universitäten ausgetragen wird, die in aller Regel nicht genug Geld haben, um nicht zu sagen: unterfinanziert sind. Und insofern machen wir uns auch alle ein bisschen stromlinienförmig und sollten parallel immer mit reflektieren, was für Konsequenzen hat das für unser Wissenschaftsverständnis, für unsere Art und Weise, wie wir Wettbewerb betreiben und wie wir uns aufstellen, wie viel Zeit wir wofür eigentlich verwenden, denn es ist ein enorm zeitaufwendiges Prozedere, einen solchen Antrag zu schreiben, und man sollte es eigentlich nur machen, wenn man einigermaßen Aussicht auf Erfolg hat. Den haben wir aber, und deswegen machen wir es.

Wuttke: Sie haben vorhin betont, wie wichtig es Ihnen ist, dass es individuelle Unterschiede und individuelle Interessen gibt, die ihren Platz in der universitären Landschaft haben dürfen. Wäre der Vorschlag der Bundesbildungsministerin, Bundesuniversitäten zu schaffen, für Sie praktikabel, oder wäre das, um Ihr Wort aufzugreifen, dann auch wieder ein Mainstream?

Olbertz: Nein. Ich halte das für zumindest eine notwendige Diskussion, und zwar aus folgenden Gründen: Ich bin ziemlich sicher, das wird noch fünf bis sieben Jahre mit etwas Glück dauern, bis wir wirklich an die Grenzen der gegenwärtigen föderalen Wissenschaftsfinanzierung gelangen. Das hängt schon damit zusammen, dass die Länder sich verpflichtet haben, eine Schuldenbremse zu respektieren, und dieser Rahmen ist höchst unterschiedlich. Die Schere geht immer weiter auf. Übrigens ist das auch ein Effekt der Exzellenz-Initiative, der hier kumuliert. Wenn ich jetzt sage, Bildung und Wissenschaft sind aber gleichwohl eigentlich nationale Aufgaben, dann müssen wir die Kräfte, die wir in Deutschland für die Finanzierung dieses wichtigen öffentlichen Sektors haben, wahrscheinlich neu formieren. Und dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, ob die Verantwortung zwischen Bund und Ländern bei dieser Finanzierung nicht neu justiert werden müsste, und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Idee von zwei, drei Bundesuniversitäten. Beispielsweise die Schweiz kann es auch im Übrigen, und wir sollten wirklich diesen gedanklichen Pfad sehr ernsthaft weiter verfolgen.

Wuttke: Wir werden uns nicht erst in fünf oder sieben Jahren wiedersprechen, nehme ich an. Im Interview der "Ortszeit" in Deutschlandradio Kultur Jan-Hendrik Olbertz, der Präsident der Humboldt-Universität Berlin. Besten Dank.

Olbertz: Ich danke Ihnen auch.
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