Neu im Kino: "Abgeschnitten"

Unter Leichen

Regisseur Christian Alvart kommt am 04.02.2016 in Hamburg zur Premiere des Kinofilms "Tschiller: Off Duty".
Regisseur Christian Alvart ist auf der Suche nach dem Horror in seinen Figuren © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Christian Alvart im Gespräch mit Susanne Burg · 06.10.2018
Der Mörder hat seine Nachrichten in Leichen versteckt - eine besondere Herausforderung für die Detektive! Regisseur Christian Alvart hat Sebastian Fitzeks Roman "Abgeschnitten" unter anderem mit Moritz Bleibtreu und Lars Eidinger verfilmt.
Susanne Burg: Bei dem Film, um den es jetzt geht, muss ich zugeben, ich habe einzelne Szenen so mehr oder weniger durch mein Halstuch gesehen. "Abgeschnitten" ist ein Film, dessen gesamte DNA quasi vom Genre Psychothriller durchwoben ist. Kurz zur Handlung: Da gibt’s zum einen den Rechtsmediziner Paul, gespielt von Moritz Bleibtreu, der bei einer Autopsie einen Zettel seiner Tochter im Kopf der Leiche findet und herausfindet, dass seine Tochter entführt wurde.
Der Mörder hat Nachrichten in Leichen versteckt, und es beginnt ein Rennen von Leiche zu Leiche. Dabei trifft Paul telefonisch auf Linda, gespielt von Jasna Fritzi Bauer, die sich auf Helgoland während eines gewaltigen Sturms vor ihrem gewalttätigen Ex-Freund versteckt. Paul und Linda arbeiten – etwas verkürzt gesagt – dann bei der Suche nach dem Mörder zusammen. Mehr erzählen über den Film, der am Donnerstag ins Kino kommt, kann uns jetzt Christian Alvart, Drehbuchautor und Regisseur von "Abgeschnitten". Guten Tag!
Christian Alvart: Guten Tag!
Burg: Ich bin geneigt zu sagen, der Film basiert auf der Romanvorlage von Sebastian Fitzek und dem Rechtsmediziner Michael Tsokos, aber das stimmt nicht ganz, denn die beiden haben die Verfilmung gleich mitgedacht. Sie, Herr Alvart, haben das Drehbuch verfasst – können Sie erzählen, wie diese Zusammenarbeit funktioniert hat?
Alvart: Ja, also zunächst mal hab' ich das Buch zugeschickt bekommen und kannte die beiden jetzt nicht irgendwie besonders oder persönlich, und muss auch zugeben, ich hab' bis dahin noch gar nicht den Sebastian Fitzek für mich entdeckt gehabt und auch nicht den Michael Tsokos als Autoren, sondern nur als Experten im Fernsehen mal gesehen, und hab' auch gar nicht damit gerechnet, weil ich zu dem Zeitpunkt sehr viel gedreht habe, dass ich jetzt überhaupt Zeit habe für ein neues Projekt, und Lust, und hab' deswegen das Buch unvernünftigerweise vor einem weiteren Drehtag angefangen, also am Abend vor dem Drehen, und fand es tatsächlich so spannend, dass ich es in der Nacht zu Ende gelesen hab', was wirklich total unvernünftig ist.
Und dann dachte ich, okay, also wenn das so spannend ist, dass ich so unvernünftig werde, dann ist da was dran, was mich fasziniert, und dann fand ich das spannend, das auch umzusetzen. Ich hab' mich dann mit Regina Ziegler, die die Produzentin ist und die die Buchrechte gekauft hatte und mir das geschickt hat, und den beiden Autoren getroffen und habe denen meine Visionen gepitscht, was ich gerne machen möchte, um auch von 420 Seiten oder was es ist auf eine Spielfilmlänge zu kommen, und hab' mir da versucht, den Segen von den Autoren zu holen, damit sie da wirklich die ganze Zeit dabei sind und das nicht als Enteignung empfinden.

"Die sitzen wirklich vier, fünf Stunden über dieser Leiche"

Burg: Nun ist ja auch Sebastian Fitzek tatsächlich unglaublich populär, er hat eine riesige Leserschaft, und es ist schon eine Herausforderung, oder sagen wir mal, die Herausforderung bei Literaturverfilmungen ist ja generell, wenn die Leute die Bücher gelesen haben, haben sie ja Bilder im Kopf, wenn sie dann ins Kino gehen, messen sie das dann daran. Und dann sagten Sie, 420 Seiten, die in Spielfilmlänge zu bringen, welche Gedanken sind eingeflossen, wie Sie dachten, dass es funktionieren kann, dass man diesen Stoff in ein Filmmedium überträgt?
Alvart: Also für mich war es extrem entscheidend, dass der Leser das wiedererkennt, was er da gelesen hat, vielleicht noch an der ein oder anderen Stelle ein bisschen überrascht ist, aber es geht dann um die Kunst der Verdichtung, glaube ich. Sehr oft passiert es ja, dass man das Grundkonzept nimmt und eigentlich was ganz anderes macht, das wollte ich auf gar keinen Fall – dazu waren dann auch die einzelnen Szenen zu stark, wie ich fand –, sondern wir haben dann wirklich versucht, uns einfach zu konzentrieren. Also es ist eigentlich ein Konzentrat.
Burg: Ich hatte ja vorhin wirklich sehr verkürzt gesagt, Paul und Linda arbeiten bei der Suche nach dem Mörder zusammen. Worum es dabei geht, ist, dass Linda eben auf Helgoland ist und sich herausstellt, dass da ein wichtiger neuer Hinweis versteckt sein könnte in einer der Leichen, und Paul quasi per Telefon sie dazu bringt, dass sie eine Leiche seziert. Also viele Szenen spielen in einem Sektionssaal, und Sie schonen die Zuschauer auch nicht beim Zeigen des Sezierens. Also wie viel wollten Sie zeigen, oder anders gefragt, warum war es Ihnen wichtig, viel zu zeigen?
Alvart: Das ist für mich ein Sektionsthriller. Also es geht einfach darum, der spielt in der rechtsmedizinischen Welt, diese Welt ist wahnsinnig interessant, deswegen gibt es sehr, sehr viele Filme, Literatur, Serien und so weiter dazu, und es ist total erstaunlich, dass man trotzdem so wenig darüber weiß und dass es so falsch eigentlich ehrlich gesagt dargestellt wird oft, inklusive in meinen eigenen Filmen. Bevor ich mich damit beschäftigt habe, recherchiert man schon so ein bisschen und versucht jetzt nicht, allzu grobe Fehler zu machen. Aber was in diesem Roman einfach toll war, war, dass wirklich innerhalb der Leiche konzentriert nach Hinweisen gesucht wurde, was ja die eigentliche Arbeit ist, weil es sind medizinische Detektive, die sitzen wirklich vier, fünf Stunden über dieser Leiche und suchen nach Hinweisen, ähnlich wie in einem Sherlock-Holmes-Film.
Und das war für mich das ganz Besondere an dem Buch, dass hier einerseits das in diese Welt eintaucht und andererseits, was ein super Kniff ist, mit Linda eine Protagonistin gefunden wird, die überhaupt nichts damit zu tun, ähnlich wie wir, und deswegen, weil sie übers Telefon kommunizieren und sie sich überwinden muss, eigentlich die Rolle des Zuschauers übernimmt. So wie der Zuschauer sich langsam immer mehr dran gewöhnt und immer mehr überwinden muss, muss auch sie das, und man bekommt es halt auch erklärt, weil sie bekommt es erklärt, und man versteht, was sie da macht. Das war natürlich extrem schwierig für ein visuelles Medium zu finden, was macht man, wie viel zeigt man, was ist nicht nur zumutbar, sondern wie gewöhnt man auch den Zuschauer, wie führt man in die Welt ein. Und deswegen war eigentlich für mich die wichtigste Frage diese erste Sektion. Es gibt da eine Sektion, die in einem professionellen Umfeld stattfindet, die mit Profis in einem sehr normalen Zustand gezeigt wird, und ich glaube, dass das dafür gesorgt hat, dass jetzt auch in den Testvorführungen die Zuschauer relativ mitgehen bei der Reise, weil sie halt einmal gezeigt bekommen, okay, das sind Leute, für die ist das ganz normal, die machen das auch relativ professionell und beiläufig, ganz genauso wie Herr Tsokos das im wirklichen Leben macht. Und jetzt kommt Linda und wird plötzlich als Laiin da reingeworfen in diese Welt.
Burg: Ja, Sie zeigen das alles sehr detailgenau, und trotzdem …
Alvart: Ich hab' auch viel weggelassen.

"Leichen haben etwas Puppenhaftes"

Burg: … und trotzdem sind die Leichen ja quasi so entstellt, dass sie schon wieder so ein bisschen wie hindrapiert wirken. Also es wirkt auch gleichzeitig jetzt nicht übermäßig realistisch so in dem Sinne, oder?
Alvart: Also es ist sehr realistisch. Was ich gelernt habe, ist, dass Leichen, dass sie was Puppenhaftes und Unwirkliches haben, die echten Leichen, und dass wirklich, wenn sämtliches Leben draußen ist, das noch mal toter wirkt, als wenn wir einen Statisten hinlegen, der stillhält und dann vielleicht noch ein bisschen digital eingefroren wird. Es gibt auch den Satz von Linda, sehr früh auch schon im Roman, auch bei uns, wo sie sagt: Der sind unwirklich aus, fast wie eine Puppe, wie eine Wachsfigur. Das ist tatsächlich so eine Assoziation, die man auch bei echten Leichen hat. Wir sind, glaube ich, sehr realistisch, aber wir sind halt nicht so, wie man es gewöhnt ist. Also selbst die Farben und all das hab' ich halt versucht, ein bisschen realistischer darzustellen als sonst.
Burg: Dann gibt's ja noch einen Sadisten, gespielt von Lars Eidinger, der hat schon fast ein bisschen was Monsterhaftes, fand ich. Wie viel Menschlichkeit wollten Sie ihm zugestehen?
Alvart: Es ist, glaube ich, ein bisschen eine komplexere Geschichte, welche Verschwörung jetzt wirklich dahintersteckt, und der Psychopath ist nicht der Einzige, der diese Geschichte bevölkert. Ich wollte aber, weil es sowieso schon sehr komplex ist, in dieser Figur jetzt kein Profil eines Psychopathen entwerfen. Fitzek sagt das ja selber oft in seinen Interviews, dass er diese Figur für auserzählt hält und lieber die Opferperspektive einnimmt. Das ist so seine Theorie.
Aber als jemand, der natürlich sein Buch verfilmt, hab' ich mich auch dessen angenommen und hab' eher gesagt, wie ist das eigentlich, so einem Menschen gegenüberzustehen als Opfer oder als Betroffener. Und in dem Moment sieht man, glaube ich, nur das Monster in dem. Ich hab' auch schon Filme gemacht, auch mit Lars Eidinger, wo wir sehr viel menschlicher mit dieser Figur umgegangen sind. Also bei "Borowski und der stille Gast", was ja unsere erste gemeinsame Zusammenarbeit war, haben wir ganz anders uns dafür interessiert, auch zu verstehen, was diese Figur antreibt, was seine Defizite sind, Sehnsüchte und so weiter. Das war jetzt genau hier nicht gefragt. Hier ging es darum, wie ist das eigentlich für die anderen, die so jemandem begegnen, was ist der Horror in so einer Figur.
Burg: Sie haben eben schon erwähnt, Sie haben auch in Deutschland, Sie haben auch in Amerika gedreht, aber in Deutschland schon ja viele Krimis, Thriller auch gedreht, aber eben auch gerade "Tatorte". Inwieweit gibt einem so ein Kinothriller, bei dem Sie auch vielleicht ein größeres Budget hatten, zum anderen aber auch nicht an die Kinderverträglichkeit des Stoffes unbedingt denken müssen, noch mal andere Freiheiten?
Alvart: Also natürlich gibt es klar weniger Beschränkungen, wenn man auf eine FSK 16 zielt. Ich glaube, das wäre auch nicht wirklich gut, wenn man diesen Film für eine FSK 12 machen würde, weil ja gerade das, was spannend daran ist und interessant, dann schwierig wird zu zeigen. Die Freiheit ist immer, wie kann ich den Zuschauer begeistern, wie kann ich ihn mitnehmen, wann steigt er aus. Und das spielt so eine wichtige Rolle, finde ich, gerade beim Thriller, dass man sich da nicht frei fühlt, sondern man macht sich eigentlich sehr viel Gedanken, was ist noch zumutbar – natürlich nicht für alle, es gibt natürlich immer einen Prozentsatz. Wenn man weit genug gehen will für diejenigen, für die es gemacht ist, dann geht man vielleicht für drei, vier Prozent der Zuschauer zu weit, und deswegen hab' ich mich jetzt nicht mega-frei gefühlt, sondern es war eher so, dass ich gesagt hab, okay, das ist ein interessanter, faszinierender Stoff, für den sich ganz viele begeistern, aber es werden auch ganz viele sagen, oh Gott, ich weiß nicht, ob ich mir das angucken kann, und die will ich aber auch haben. Ich möchte, dass alle sagen, ich kann mir das angucken und ich hab' was mitgenommen.

"Mein Gehirn funktioniert so, dass sich Thrill extrem einbrennt"

Burg: Sie haben ja überhaupt schon viele Thriller gedreht, auch in den USA – was ist es am Genre des Thrillers, das Sie als Regisseur so reizt?
Alvart: Also ich hab' selber als Zuschauer, als jugendlicher Kinoliebhaber…, das waren für mich immer die intensivsten Filme, wo ich sozusagen schweißgebadet und mit durchgedrücktem Rücken saß, und nicht, wo ich zurückgelehnt dasitzen konnte mit verschränkten Armen und sagen konnte, okay, dann zeig mal, was du kannst, Film, sondern es waren tatsächlich die Filme wie "Alien" oder auch – also "Alien" ist ja anerkannter Klassiker, aber ich sag mal auch wie "Hitcher, der Highway Killer", was dann vielleicht ein speziellerer Film ist.
Also es gab sehr, sehr intensive Filmerlebnisse, wo ich fast immer noch weiß, wann ich die mit wem in welchem Kino gesehen hab, während es andere Filmen wie Komödien, die ich auch gerne gucke, durchaus gibt, die zwar genieße, aber relativ schnell alles wieder vergesse, was da stattgefunden hat. Also für mich ist es einfach so, mein Gehirn funktioniert so, dass sich gerade Spannung, Suspense, Thrill extrem einbrennt, und natürlich hab' ich dann auch eine Affinität dazu, so was selber zu machen.
Burg: Und das löst der neue Film definitiv ein. Er heißt "Abgeschnitten", ist der Film von Christian Alvart, der am Donnerstag ins Kino kommt. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Alvart: Ja, sehr gerne, danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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