Hitler hautnah

Von Birgit Kolkmann · 13.09.2006
Er stand mit der Kamera im Dienst der Propaganda. Walter Frentz war "Das Auge des Dritten Reiches". Von 1939 bis Ende April 1945 bewegte er sich im inneren Zirkel des Nazi-Regimes: als persönlicher Fotograf Hitlers und Filmberichter aus den Führerhauptquartieren. Der Höhepunkt seiner Karriere war die Zeit der größten NS-Verbrechen. Mit seiner Vergangenheit hat er sich bis zu seinem Tod 2004 nicht auseinandergesetzt. Seine Kinder haben gelernt, mit diesem Erbe umzugehen.
Filmvortrag "Wir fangen jetzt an!", 1991: "Wo die Schlucht enger wird und die Felsen und Schwellen immer zahlreicher aufeinander folgen, beginnt der gefährlichste Teil der wilden Fahrt. Quergeklemmte Baumstämme versperren das Flussbett, und zwingen die Kajakfahrer von Sekunde zu Sekunde, sich auf die neuen Gefahrenmomente einzustellen."

Walter Frentz: "Durch diesen Film bin ich - ohne es je beabsichtigt zu haben -
Kameramann geworden. Und das kam auch durch einen Sportler: Das war Albert Speer."

"Goebbels hat ihm das Ministerzimmer in Auftrag gegeben. Das sah sich dann später Adolf Hitler an. Und als er das sah, hat er - spontan wie er sein konnte - gesagt: 'Dieser Mann baut für mich die Reichskanzlei!'"

"Dadurch, dass also Speer von Leni Riefenstahl gefragt wurde: 'Wissen Sie nicht einen guten Kameramann, Herr Speer?' - Er kannte mich und sagte dann harmlos: 'Ja, isch kenn' bloß een, un das is der Walder Frentz, den könne se jo mol froge.' Er war Heidelberger."

"Und dann kam ein Anruf: 'Hier ist Leni Riefenstahl.' Ich dachte
erst: Was will die denn? Und dann hat sie mich gebeten, ich möchte zu ihr kommen, da sie den Auftrag hätte, in Nürnberg einen Film zu machen. Wir haben dann zusammen gearbeitet in Nürnberg. Ich war dann auch sehr froh, dass ich in dieser arbeitslosen Zeit überhaupt eine Tätigkeit hatte, denn als Ingenieur hatte ich keinerlei Chancen damals. Die Ingenieure waren fast alle arbeitslos, da waren wenig' Chancen. Und so hatte ich wenigstens auf dem Hobby-Gebiet beim Film eine Chance."

Walter Frentz erinnert sich an den Beginn seiner Karriere: Er gibt 1985 - im Alter von 78 Jahren - dem Filmhistoriker Karl Stamm ein Interview. Erst vor fünf Jahren wurde das Gespräch veröffentlicht.1992 sendete der "Süddeutsche Rundfunk" eine Dokumentation über Walter Frentz - die einzigen Bild- und Tondokumente, in denen er sich zur eigenen Biografie äußert.

Seine Filmaufnahmen aus der NS-Zeit sind berühmt. Fast jeder kennt die Passagen aus der Wochenschau. Doch der Mensch hinter der Kamera blieb unbekannt. Er filmte die Prominenz der Nazi-Diktatur, er war das "Auge des Dritten Reiches", der "Kameramann des Teufels".

Einer, der diesem Menschen hinter der Kamera nahe stand, wenn auch in späterer Zeit, ist Hanns-Peter Frentz. Der Sohn, geboren 1953. Er weiß, dass sein Vater ein außerordentlich begabter Autodidakt gewesen sein musste. Mit einer Kamera, die ihm ein Sportsfreund auf einer Kanu-Reise schenkte, begann alles:

Hanns-Peter Frentz: "Das Innovative an seiner filmischen Arbeit war, dass er mit der Handkamera gearbeitet hat. Mit der Handkamera war er sehr, sehr viel beweglicher - konnte ganz andere Perspektiven einnehmen als die übliche Stativkamera. Und dadurch hat er ganz erheblich die neue Bildsprache - wo er sicher auch beeinflusst war von der neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik - umsetzen können."

Frentz: "Ah! Und hier habe ich was von der Olympiade. Mit Leni Riefenstahl und meinem Assistenten, der uns hier auf dem Kamerawagen fährt: Olympiastadion Berlin - Fahraufnahmen. Denn die Bewegung heißt des Lebens Genius! Bewegung! Das ist schön."

Hanns-Peter Frentz: "Gerade bei 'Olympia' war seine Idee - dadurch, dass er so dicht am Geschehen dran war, dass er das Geschehen ganz dicht aus der Perspektive des Sportlers aufnahm - wollte er den Zuschauern die Möglichkeit schaffen, intensiver an diesem sportlichen Geschehen teilzunehmen. Und die Sportarten, mit
denen er sich da besonders befasst hat, waren auch in hohem Maße die Wassersportarten, die ihm durch seine eigenen Hobbys besonders gelegen haben."

Frentz: "Wir hatten ja für jede Sportart eine beschränkte Zeit, weil es ja so viele Sportarten gibt bei der Olympiade. Und es war eben das Problem, innerhalb dieser Minuten, die zur Verfügung standen für eine solche Sportart wie Marathon. Mir kam dann die Idee, dass ich ihn optisch dadurch allmählich erlahmen lasse, dass ich mit höherer Bildfrequenz arbeite, so dass man die Bewegung im optischen Bild langsamer sieht - und zugleich aber die Spannung, die im Stadion entsteht, wenn
der Sieger sich dem Stadion nähert, dadurch bemerkbar macht, dass man im Ton allmählich eine immer größere Steigerung der Spannung herausbringt, sowohl in der Musik wie auch nachher im realen Ton des Stadions."

Olympia 1936 wird ein Höhepunkt in der noch kurzen beruflichen Biografie von Walter Frentz, die seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ganz folgerichtig abläuft. Wenn sein Sohn an diese Zeit denkt, bewegt ihn noch etwas anderes. Im Verbandsblatt des Kanuverbands heißt es im April 1933, dass die "Abkehr von der Überfremdung" "reibungslos" verlaufe.

Eine Satzungsänderung des Hochschulrings Deutscher Kajakfahrer verfügt betreffend der "Judenfrage":

"Die Aufnahme in den HDK setzt deutsche Volkszugehörigkeit voraus. Juden werden nicht aufgenommen. 23. April 1933. Die Hauptleitung, gezeichnet Walter Frentz."

Hanns-Peter Frentz: "Ich war auch erst mal erschrocken, als ich das gelesen habe. Je mehr ich mich damit auseinandergesetzt habe, hab' ich auch festgestellt, dass die ganzen Gleichschaltungstendenzen und auch dieser vorauseilende Gehorsam bei ganz vielen Verbänden durchaus an der Tagesordnung war: Dass diese für uns sehr erschreckende Handlungsweise schon so wenige Monate nach Beginn des Dritten Reichs - wo nun die Ausgrenzung der Juden massiv voranging - in anscheinend einem breiten Konsens weiter Teile der Bevölkerung voran schritt."

Walter Frentz dagegen war auf den Sprung in eine große Karriere. Schon 1932 verkaufte er seinen ersten abendfüllenden Wildwasserfilm über die Erstbefahrung der Tara-Schlucht in Jugoslawien an die US-Firma "Universal Pictures" in Berlin - für 10.000 Reichsmark. Frentz kaufte sich einen Sportwagen. Von da an ging es steil bergauf. Zusammen mit Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl.

Mit Leni Riefenstahl arbeitete er an den Parteitagsfilmen "Sieg des Glaubens" und "Triumph des Willens". 1936 dann "Olympia". Frentz ist einer der vier Chefkameramänner. Riefenstahl bedient sich ihrer Kreativität: 40 Kameraleute sind im Einsatz. Frentz ist vor allem für die Aufnahmen mit der Handkamera verantwortlich.

Im August 1939 begleitet er Ribbentrop zur Unterzeichnung des Nichtangriffspakts nach Moskau. Im Oktober ist er noch einmal dort. Er fotografiert den Kreml, die Stadt. Möglicherweise sind es die ersten Farbaufnahmen von Moskau überhaupt. Da war er bereits als Filmberichter für die Deutsche Wochenschau von der Luftwaffe ins Führerhauptquartier abkommandiert, zuständig für die Aufnahmen vom "Führer".

Bis zum 24. April 1945 arbeitete er ununterbrochen in Hitlers Entourage: Im Eisenbahnzug, in der Eifel, in Frankreich, in der Wolfsschanze in Ostpreußen, auf dem Obersalzberg und in der Reichskanzlei. Walter Frentz ist im Zentrum der Macht.

Wenn Frentz nicht im Hauptquartier ist, macht er für den "Führer" Aufnahmen, Film, Fotos - überall in Europa - in den besetzten Ländern: in Polen, in Frankreich, am Atlantikwall. Er fotografiert die geheimen Befestigungsanlagen, fotografiert aber auch das Leben in den Städten und Dörfern. Alltagsszenen im Krieg, als gäbe es den gar nicht.

Hitler zu Goebbels, Filmtagebuch, 1941: "Der Frentz ist unser fliegender Holländer: Einmal ist er weg, einmal ist er da."

Wenn er da ist, dann im engsten Kreis um den Führer: Hitler hautnah. Mitten im Jubel der Massen ist auch Frentz mit seiner Kamera. Im großen, offenen Mercedes steht oder sitzt er direkt hinter ihm, dreht aus seiner Perspektive: über die Schulter, filmt seinen Rücken, die jubelnde Menge. Er wird zum Spezialisten für diese Bilder.

Hanns-Peter Frentz: "Mit Sicherheit war es so, dass er diesen Diktator so wirkungsvoll wie möglich darstellen wollte. Und er hatte da sicher auch nicht die geringsten Zweifel. Also es war sicher so, dass er von diesem Diktator ein gutes Bild erzeugen wollte, und das sagte er dann auch auf Nachfrage: 'Was durften Sie eigentlich filmen und was durften Sie nicht filmen?' oder 'Wie hat Hitler das gesehen?' Und er hat gesagt: 'Er hat mir vertraut.'"

Im Mai 1940 - nach der Niederlage Frankreichs - steht Hitler im Zenit seiner Macht. Der "Erzfeind" ist besiegt. Seine Fahrt im Eisenbahnzug zurück nach Berlin wird zur inszenierten Jubelfahrt. An der Kamera wieder Walter Frentz. Er sieht durch das Objektiv, was Hitler sieht, wird sein "Auge".

Wochenschau, 1940: "Das ganze Volk dankt dem Führer für den glänzendsten Sieg der Geschichte. Die ganze Fahrt zurück von der Front nach der Reichshauptstadt wurde zu einem wahren Triumphzug. Überall an der Strecke werden dem Führer Zeichen der Liebe, Treue und Dankbarkeit dargebracht. Ein Bild des Führers mit seiner eigenhändigen Unterschrift zählt zu den kostbarsten Erinnerungen."

"Das waren ja die Begegnungen, die wir im Sonderzug hatten: Wenn beispielsweise die Kinder an den Zug kommen oder wenn der Zug in den Bahnhof einfährt - dass man dann eben schnell zugreift und zupackt: Was ist hier menschlich interessant? Denn darauf kam es mir an, dass hier Hitler nicht als der oberste Befehlshaber der Wehrmacht gezeigt wurde, sondern auch in seinen menschlichen Reaktionen, die er in seinen Begegnungen hatte."

Da, wo Hitler war, war das Hauptquartier. Etwa 40 Personen durften sich ohne besondere Genehmigung in Hitlers Nähe aufhalten. Auch Langeweile kam auf: Walter Frentz hielt Dia- und Filmvorträge und gemeinsam mit den jungen Offizieren gab es organisierte Schallplattenabende mit tragbarem Plattenspieler und eigenen Schellackplatten: Jazz von Louis Armstrong, Josephine Baker, Bob Crosby und Greta Keller - im Hauptquartier galten die Verbote der Nazis
nicht.

Auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden vermischte sich das politische, mit dem privaten und gesellschaftlichen Leben der Nazi-Größen und ihres Personals. Joseph Goebbels beschreibt in seinem Tagebuch:
"9.Juli 1941: Das Hauptquartier macht eher den Eindruck einer Sommerfrische als der Zentrale der deutschen Kriegführung."

Das Alpenpanorama, die Terrasse, Hitler mit Generälen, Schäferhündin "Blondi": Walter Frentz fotografiert unablässig - privat und in Farbe. Seine Aufnahmen sind - anders als die des offiziellen "Reichsbildberichterstatters" Heinrich Hoffmann - nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

"Und auf diese Weise habe ich auch vielleicht Adolf Hitler in einer privaten Atmosphäre kennengelernt, die wenigen nur zugänglich war. Und dabei entstand auch dieses Bild, das vielleicht das "Privateste" ist, das es überhaupt gibt - weil es ohne die berühmte Schirmmütze ist, weil man die Stirn sieht und weil man ihn in einer so gelösten Form sieht, wie man es nur in einer Atmosphäre sein kann, wo auch gelegentlich eine Frau auftaucht: Eva Braun in diesem Fall war der Grund seines Lächelns, sie kam von rechts und man hat ihn dann in dieser freien, menschlichen Art erleben können."

Auf der Rückseite des Fotos notiert Frentz: "Das Menschlichste".

Schnappschüsse, Momentaufnahmen eines Profis sind seine Fotos aus dieser Zeit. Die Idee, Hitler - den er im Film zur Ikone stilisierte - auch von der menschlichen Seite zu sehen, beherrschte ihn über Jahre.

"Er hat sein Theater gespielt - als Führer und Reichskanzler. Er hat im Grunde seine natürliche Art immer halt durch eine Maske verborgen. Bei offiziellen Begegnungen, wo er wusste, das kommt in die Wochenschau, da spielte er dann den Starken."

Im August - wenige Wochen nach dem Überfall auf die Sowjetunion - besucht Walter Frentz mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Ostfront. Das Ziel der Reise: Minsk. Es bleibt unklar, in welcher Funktion Frentz dabei ist. Später versucht er immer, es als eine einfache Reise darzustellen: "Wir kamen ja nie heraus", sagte er öfter.

Wahrscheinlicher aber ist, dass er als Filmberichter zur Entourage Himmlers gehörte, denn als Fotograf war Franz Gayk aus der Abteilung Heinrich Hoffmanns dabei. Die Minsk-Reise ist historisch bedeutsam, weil Himmler sich hier offenbar gezielt über die Möglichkeiten der Massenvernichtung informierte. In seinem Filmtagebuch notiert Frentz:

"15. August 41. Mit Reichsführer SS nach Minsk. Gefangenenlager 10 Uhr, Exekution 12 Uhr, Mittagessen Leninhaus 13 Uhr, Irrenanstalt 15 Uhr, anschließend SS-Kolchose und Kinderheim."

Bei einem Besuch des Obersalzbergs 1991 befragt ihn der Filmemacher Jürgen Stumpfhaus. Frentz erzählt - leise, sein Blick schweift in die Ferne - über das Alpenpanorama, das er tausendfach fotografiert hat: Ein Falke fliegt umher.

"Ich hab' ein einziges Mal eine Erschießung erlebt. In Russland. Wir kamen dahin. Da waren da Gruben ausgehoben. Es kamen dann später Autos, Lastwagen, mit ganz einfachen Leuten - so Bauerntypen. Und die mussten sich auf Befehl da rein legen, Kopf nach unten, außen rum standen die Soldaten von der SS. Jeder zielte auf einen anderen und auf Befehl schossen sie alle ab. Also, ich hab' bewusst gedreht, weil ich gar nicht wusste, dass es so was gibt. Und ich wollte sehen, ob ich mit diesen Aufnahmen etwas Positives erreichen kann."

50 Partisanen und Juden wurden an diesem Tag erschossen, davon mindestens zwei Frauen.

In Frentz' Archiv sind keine Foto- oder Filmdokumente von der Erschießung erhalten. Ein Dia will er vernichtet haben - auf Anraten eines hohen Nazi-Funktionärs. Hat er überhaupt gefilmt?

Klaus Hesse, Historiker in der Stiftung "Topographie des Terrors" in Berlin, über die Schwierigkeit, aufzuklären:

"Bei dieser Minsk-Reise stand er auf einmal am Rand einer Erschießungsgrube - und allein an der Technik der Durchführung. Also, das war eine Erschießung bar jeder standrechtlichen und kriegsrechtlichen Fassade. Da wurde nicht Theater gespielt - da wurde einfach gekillt und liquidiert. Da hat er auf so einem 'killing field' gestanden. Und: Er hat gefilmt - vermute ich! Auch das können wir nicht mit letzter Gewissheit beweisen oder belegen."

War Walter Frentz der große Naive, der bloß Beobachtende, Dokumentierende? Oder der Komplize von Massenmördern, der das Geschehen schweigend billigte?

Hanns-Peter Frentz: "Also, es gibt ja auch ganz viele Soldaten, die in Russland im Krieg waren und die gegenüber ihrer Familie nie ein Wort darüber gesprochen haben. Und bei meinem Vater ist es auch in gewisser Weise so - dass er - er hat sich ja nachher nicht mit Histörchen gebrüstet, was er da gemacht hat - sondern er hat es weg geschlossen. Ich sage immer: Es war wie ein Kokon, in den er es eingesponnen hat."

Hesse: "Diese Teilnahme an der Minsk-Reise hat ihn ja - ob er das nun vorher wusste oder nicht - in eine ganz unvergleichlich große, direkte physische Nähe und Konfrontation mit den größten Massenverbrechen des Regimes gebracht."

War es Kaltblütigkeit oder Verdrängung? Blendete Frentz das Gesehene aus?

Zwei Tage später geht er paddeln: Eine 35-Kilometer-Tour auf der "Cruttina" in Ostpreußen. Am 21. August feiert Frentz seinen 34. Geburtstag. Beim Mittag- und Abendessen darf er rechts von Hitler sitzen. In der Nachfolge der Minsk-Reise wird der Kameramann des "Führers" in die SS aufgenommen.

Sewastopol auf der Krim - der wichtigste sowjetische Flottenstützpunkt. Juni 1942. Im Rahmen der Sommeroffensive wird die Festung erobert. Es dauert einen Monat. 97.000 sowjetische Soldaten geraten in Gefangenschaft, 8.000 deutsche und rumänische Soldaten sterben.

Walter Frentz filmt den Beschuss durch die Geschütze Thor und Dora - einer der größten Kanonen der Welt - Hitlers "stählerne Faust". Geschossen wird auf Anweisung.

Als die Wochenschau die Bilder, rhythmisch geschnitten auf Franz Liszts "Préludes", zeigt, ist Hitler begeistert und die Geschützmannschaft schon tot. Die Aufnahmen wirken heute geradezu obszön.

Goebbels gab der Wochenschau Nummer 617 das Prädikat "Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll". Damit - so der Filmhistoriker Matthias Struch - habe "die Ästhetisierung des Krieges im Film einen Höhepunkt erreicht."

Doch dann wendet sich das Blatt. In den nächsten Jahren dokumentiert Walter Frentz als Fotograf - vielleicht ohne es selbst zu merken - den physischen und psychischen Verfall Adolf Hitlers. Bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs.

Hanns-Peter Frentz: "Von Hitler fällt mir ein Foto ein, wo wir Hitler sehen, wie er aus dem Flugzeug herausschaut, und wie er anscheinend in einer höchst melancholischen Stimmung ist. Und wir wissen: Dieses Foto ist nach Stalingrad gemacht. Und wir können da natürlich rein fantasieren, dass er selber sich Gedanken macht über diesen möglicherweise jetzt verlorenen Krieg. Ich glaube schon, dass das sehr viel Interpretation ist - aber es ist auf jeden Fall ein sehr ungewöhnliches Foto."

Wochenschau, 1943: " Der Führer empfängt in seinem Hauptquartier den Reichsjugendführer Axmann mit einer Abordnung von 20 Hitlerjungen, die sich bei der Verteidigung ihrer Heimat besonders bewährt haben und dafür mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurden. Mit diesen 20 Jungen ist vor dem Führer symbolisch die…"

"Ich hab' dann nur noch eine Film-Szene gemacht mit der Hitler-Jugend. Ich durfte ja sonst nicht mehr filmen in der Reichskanzlei. Das war ja wegen des Zitterns von Adolf. Der zitterte. Ich hab's nie bemerkt. Aber die maßgebenden Leute da, die Adjutantur, die hat's natürlich gewusst, und da sollte eben nicht mehr gefilmt, sondern nur noch fotografiert werden, damit man das Zittern nicht sieht."

Diese Aufnahmen gehören zu den bekanntesten von Walter Frentz. Es sind die letzten Wochenschau-Bilder der Nazi-Zeit überhaupt.

Am 22. April verabschiedet sich Hitler von seinen Mitarbeitern, auch von Frentz. Zwei Tage später, am 24. April, verlässt dieser Berlin mit der Führermaschine, die auf dem Flughafen Tempelhof bereit stand.

Walter Frentz wird von amerikanischen Behörden in Frankfurt am Main verhaftet, verhört, inhaftiert. Nach sechs Monaten kommt er frei. Er konnte die US-Ermittler überzeugen, dass er kein Täter war.

Beruflich fällt es ihm zunächst schwer, als Kameramann und Fotograf wieder Fuß zu fassen - macht wieder Kajaktouren. Er reist viel und es entstehen Lichtbildvorträge für die Volkshochschulen und die Urania in Berlin. Er hält sie bis ins hohe Alter - manchmal bis zu 200 pro Jahr. Seine Themen: Städte, Landschaften, europäische Architektur. Er benutzt auch Bilder, die vor 45 entstanden sind.

"Und die habe ich dann in allen Schönheiten den Menschen gezeigt. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und was an Bauwerken noch zu zeigen war aus deutschen und europäischen Städten. Und hab' damit den Menschen wenigstens Auftrieb geben können in einer Zeit der tiefen Depression."

1949 heiratet Walter Frentz Trude Esser, die Witwe seines alten Kanu-Freundes Carl-Egon Esser. Dieser hinterlässt vier Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren, für die Walter Frentz nun der Stiefvater ist. Er und seine Frau, die Malerin ist, haben eine große Familie zu versorgen.

1953 kommt der gemeinsame Sohn Hanns-Peter Frentz zur Welt. Er ist heute Leiter des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz und verwaltet das filmische und fotografische Erbe seines Vaters.

Hanns-Peter Frentz: "Ich schätze, aus diesem Zeitraum '33 bis '45 sind es 20.000 Bilder - wobei nicht alle von hoher zeitgeschichtlicher Relevanz sind. Es
mögen vielleicht 1000 oder 2000 sein. Die sollten der Wissenschaft und
auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen - und dafür werde ich mich einsetzen. So sehr ich mich auch irgendwo in der Verpflichtung sehe, diese zeitgeschichtlichen Dokumente zu bewahren, irgendwo hat das auch eine Grenze. Ich bin nicht nur der Sohn meines Vaters, sondern ich hab' auch mein eigenes Leben."

Walter Frentz starb 2004 im Alter von 96 Jahren. Er ist bis zu seinem Tod nie auf kritische Distanz zum Dritten Reich gegangen - reklamierte für sich, er sei ja nur der Kameramann gewesen. Hitler war für ihn der freundliche und verehrte Chef.

Hanns-Peter Frentz: "Er hat es nicht zusammengebracht, dass diese Zeit - die die Zeit seines großen beruflichen Erfolges war - gleichzeitig auch die Zeit
der größten politischen Verbrechen war. Und: Dass er darin verstrickt war. Deshalb hat er auch immer wieder versucht, für sich Erklärungsmodelle zu finden, mit denen er sich der Verstrickung entzog. Indem er sagte: Es gab viele Verbrecher - die SS, Himmler und so weiter, und Hitler hat das alles gar nicht gewollt. Also er hat immer versucht, Hitler von dieser Schuld freizuhalten."

Die Verbrechen des Nationalsozialismus können ihm - wie bei der Minsk-Reise - nicht verborgen geblieben sein. Walter Frentz war eng befreundet mit einem der Leibärzte Hitlers, Karl Brandt, verantwortlich für das Euthanasie-Programm und Organisator grausamer Menschenversuche in Konzentrationslagern. Mit Brandt verbrachte er gemeinsam Urlaube, besuchte ein Kriegsgefangenenlager - schon vor der Minsk-Reise. Brandt wurde 1948 als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Frentz' Sohn und seine vier Stiefkinder haben sich schwer getan mit dieser Vergangenheit des Vaters - wollten in typischer 68er-Manier lange ein Eingeständnis der Schuld. So blieb vieles ungeklärt, sagt Hanns-Peter Frentz heute.

"Ich hab' es versucht. Meine Geschwister haben es auch versucht. Wir haben ihn sehr stark versucht, darauf festzunageln, dass er Schuld eingesteht. Und das war wahrscheinlich auch ein ganz schwieriger Weg, ihn zum Reden zu bringen.
Heute könnte ich ihn Unmassen von Dingen fragen. Die hätte ich ihn auch vor fünf Jahren schon fragen können. Aber da wäre es auch schon zu spät gewesen. Oder vor zehn Jahren - wahrscheinlich auch schon zu spät. Trotzdem ist er mir in den letzten Jahren näher gekommen.
Das, was im Dritten Reich passiert ist, ist ja ein Trauma - ein Trauma der deutschen Geschichte. Und es ist auch in hohem Maße - auch wenn wir uns noch so sehr damit beschäftigen - kaum begreifbar.
Bei meinem Vater würde ich es so sehen: Das, was er getan hat, das ist keine justiziable Schuld, sondern moralische Schuld: Also, dass er ein verbrecherisches Regime mit seinen Bildern geadelt hat."

Seit fünf Jahren ist Hanns-Peter Frentz mit seinem Neffen, dem Journalisten Dominik Ruisinger, auf Spurensuche - Recherche nach Fotos, Reisen an die Orte der Täter: Nürnberg, Obersalzberg, Frankreich. An Frentz moralischer Schuld kommt man nicht vorbei, sagt auch der Enkel. Er hat zwei Bilder seines Großvaters im Kopf.

Dominik Ruisinger: "Natürlich lern' ich ihn heute auch genauer kennen. Aber es wird natürlich nie das Bild meines Opas als Kind ändern - weil als Kind, da hat man ganz andere Bilder vor Augen, die ich mit ihm erlebt habe. Man geht spazieren und geht wandern und spielt Tischtennis und macht Ausflüge: Das ist das eine Bild. An diesem Bild wird sich nichts ändern."

Ein Teil der vielen tausend noch unveröffentlichten Fotografien sind jetzt erschienen - begleitet von einer historisch-kritischen Bewertung, die Walter Frentz Leben und Werk aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Für den Sohn keine leichte und doch bereichernde Erfahrung.

"Ich bin dem Menschen näher gekommen. Also, ich verstehe ihn heute besser durch das Buch. Also, es ist so, dass ich manchmal das Gefühl habe, ich weiß über meinen Vater mehr als über mich selber."

Dominik Ruisinger: "Also, ich würde behaupten, dass ich meinen Großvater als Mensch so nicht kenne. Man kommt einer Person über die Sache näher. Man arbeitet sich immer stärker in ein Thema ein und weiß dabei: O.k., er hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das heißt, es ist sicher ein deutlich distanzierteres Verhältnis als jetzt als Sohn zu seinem Vater."

Hanns-Peter Frentz: "Ich versuche, emotional nachzuempfinden. Es ist schwierig, aber ich komme der Sache näher, so dass es auch manchmal weh tut, weil ich irgendwo nicht ausschließen kann, dass solche Dinge wieder passieren.
Mir geht es heute in keiner Weise darum, irgendwas zu verurteilen. Also die Dinge sind klar. Die Verbrechen sind klar. Darüber braucht man nicht mehr zu reden. Viel, viel wichtiger ist es, zu verstehen. Und dieses Verstehen ist ja so schwierig - und vielleicht aus diesem Verstehen auch irgendwas zu lernen. Deshalb ist es interessant, sich mit diesem Abgleiten in die Barbarei - was da damals stattgefunden hat - auseinander zu setzen."

Die Zeitzeugen sterben innerhalb weniger Jahre aus. Ihre Kinder und Enkel werden selber zu Zeugen der Erinnerung an eine Zeit, die sie nur in Zeugnissen der älteren Generation kennen. Insofern beginnt eine neue Phase der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Hanns-Peter Frentz: "Ich weiß jetzt so ziemlich alles. Auch viele schreckliche Dinge wie eben die Minsk-Reise meines Vaters. Dass er schon im April 1933 aus seinem Kanuverband die Juden ausschließt, dass muss ich gestehen, hat mich wirklich auch noch mal geschockt. Das zu lesen! Und ich hab' auch kurz überlegt, ob ich das in dem Buch drin haben will. Und dann habe ich mir aber wirklich gesagt: Es ist nur gut, wenn man alles auf den Tisch legt."

Walter Frentz: "Zum Sehen geboren - Zum Schauen bestellt - Der Kamera verschworen - Gehört uns die Welt."

"Sssst! Licht aus!"

Literatur: Hans Georg Hiller von Gaertringen: Das Auge des Dritten Reiches. Hitlers Kameramann und Fotograf Walter Frentz, Deutscher Kunstverlag, September 2006.