Historiker: Hugo Boss hat nachweislich vom Nationalsozialismus profitiert

Roman Köster im Gespräch mit Katrin Heise · 12.09.2011
Im Dritten Reich stellte Hugo Boss unter anderem Uniformen für Wehrmacht, SS, SA und Hitlerjugend her. Das Unternehmen habe in dieser Zeit von guten Kontakten zur NSDAP und von Zwangsarbeitern profitiert, sagt der Wirtschaftshistoriker Roman Köster.
Katrin Heise: Dass während der Zeit der Nationalsozialisten die Herstellung von Uniformen ein gutes Geschäft war, das verwundert ja wohl niemanden, nur bringt man SA-, SS- und HJ-Uniform nicht automatisch in Zusammenhang mit der international anerkannten und beliebten Modemarke Hugo Boss, obwohl immer mal wieder Gerüchte darüber die Runde machten. Das Unternehmen wollte die Vergangenheit ihres Firmengründers nun aufarbeiten und betraute den Wirtschaftshistoriker Dr. Roman Köster von der Universität der Bundeswehr in München mit einer entsprechenden Studie, demnächst erscheint die auch im Beck-Verlag. Ich grüße Sie jetzt, Herr Köster, schönen guten Tag!

Roman Köster: Guten Morgen!

Heise: Hugo Boss übernahm das Wäsche- und Aussteuergeschäft seiner Eltern im schwäbischen Metzingen – wir waren seine Situation oder die Firmen- oder Geschäftssituation Ende der 20er-Jahre eigentlich?

Köster: Ja, ich würde davon ausgehen, dass Hugo Boss am Anfang sehr, sehr wenig Ambitionen hatte. Also er hat ja auch irgendwie eine Ausbildung als Schneider gemacht, die er nicht abgeschlossen hat und so weiter, hat eigentlich sein ganzes Leben lang eine Laufbahn mit bemerkenswert wenig Ehrgeiz geführt und war immer halt davon ausgegangen, halt eben nachher das Geschäft seiner Eltern in Metzingen übernehmen zu können. Das hat er auch gemacht, nur dann hat sich die Situation in der Inflation irgendwann für ihn so schlecht dargestellt, dass er dann beschlossen hat, einen Produktionsbetrieb zu gründen, der eigentlich bis in die 30er-Jahre muss man sagen eigentlich wirklich eine Klitsche war, also eher eine bessere Schneiderei mit maximal 30 Mitarbeitern.

Heise: Das heißt, er war da gar nicht besonders groß angesehen. In dieser Zeit oder angesichts dieser Situation ist er in die NSDAP eingetreten, um Aufträge zu bekommen, also war das so richtig so ein strategisches Herangehen?

Köster: In die NSDAP tritt er schon 1931 ein, also zwei Jahre vor der sogenannten Machtergreifung, und wirtschaftliche Gründe dürften dabei sicherlich eine Rolle gespielt. Also erst 1931 geht er mit seinem Unternehmen Konkurs und kann dann irgendwie noch so ein bisschen weiterproduzieren und bekommt dann ab 1931 Aufträge von der NSDAP. Andererseits muss man sagen, auch wenn man Boss' weitere Karriere nachvollzieht, ist halt dieser Parteieintritt bestimmt nicht nur aus ökonomischem Kalkül erfolgt, sondern man muss einfach klar sagen, dass er wohl Nationalsozialist war. Und dass er Parteimitglied wurde 1931, hat ihm sicherlich nicht geschadet, sagen wir so. Also der war sicherlich davon überzeugt.

Heise: Wie erging es der Firma Hugo Boss dann, also wie wichtig sie in der Uniformherstellungsbranche?

Köster: Ja, die Uniformherstellungsbranche ist zunächst bis zum Zweiten Weltkrieg ein relativ kleiner Bereich der Bekleidungsindustrie, und da ist Hugo Boss eben eine Firma unter vielen. Also bis 1938 ist auch der Erfolg des Unternehmens jetzt noch nicht so beeindruckend, mal so gesagt, und sie stellen halt alles Mögliche her. Sie stellen halt Uniformen für die SS, SA, HJ her, also gewissermaßen häufig auf Auftrag, aber sie stellen auch alle möglichen anderen Klamotten her. Das ändert sich dann ab 1938 – in dem Jahr gibt es ja die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht –, und ab da stellt Boss eigentlich auf die Uniform von ausschließlich Wehrmachtsuniformen und Uniformen für die Waffen-SS später um. Auch da muss man sagen, bleibt allerdings Hugo Boss ein Unternehmen unter vielen. Sie profitieren nachweislich vom Nationalsozialismus, sie haben irgendwann 300 Mitarbeiter, sind damit allerdings innerhalb der Uniformbranche immer noch keine große Nummer, es ist halt ein Fertigungsbetrieb unter vielen.

Heise: Er war allerdings auch – Sie hatten es ja eben auch schon erwähnt, dass er durchaus den Nationalsozialisten, also dass er da nicht nur aus wirtschaftlich-taktischen Gründen eingetreten ist in die NSDAP – er war auch befreundet mit doch größeren Namen in der NSDAP.

Köster: Ja, größere Namen, also was halt sozusagen gewissermaßen Lokalgrößen, würde ich mal sagen. Das war auch ein Grund dafür, warum er im ersten Entnazifizierungsverfahren als belastet eingestuft wurde, dass er eben mit dem Ortsgruppenleiter in Metzingen halt befreundet war, der wohl als ein ziemlicher Rabauke gegolten hat. Allerdings so viel weiß man über den leider auch nicht. Und dann gab es immer noch eine Aussage aus einem Zeitzeugeninterview Ende der 90er-Jahre, die meinten, er wäre wohl auch irgendwann mal auf dem Obersalzberg gewesen und hätte da noch so ein Foto bei sich im Zimmer hängen lassen – das haben allerdings auch relativ viele. Ansonsten gibt es keinerlei Anzeichen, dass er irgendwie mit wirklichen NS-Größen befreundet war. Er hatte allerdings, das merkt man an mehreren Stellen halt, durchaus gute Parteikontakte, das war der Fall.

Heise: Profitierte die Firma Hugo Boss eigentlich von Enteignung jüdischer Unternehmer?

Köster: Enteignung gab es bei der Firma Hugo Boss nicht, wobei es allerdings auch so war, dass innerhalb der Branche, in der Boss sich bewegte, eben dieser Uniformherstellung, es einfach auch sehr, sehr wenige jüdische Unternehmen gab. Also es gibt darüber leider sehr, sehr wenig Quellen, aber selbst wenn er gewollt hätte, hätte sich wahrscheinlich ihm gar keine Möglichkeit dafür geboten.

Heise: Wurde eigentlich damals – Sie haben ja gesagt, er profitierte dann doch sehr und hat sich auch vergrößert – wurde damals eigentlich, kann man das so sagen, die Grundlage gelegt für den heutigen Erfolg der Marke Hugo Boss?

Köster: Na ja, also es ... Ja und nein, würde ich sagen. Auf der einen Seite wird er halt in dieser Zeit zum Mittelständler, er wird immerhin zum größten Metzinger Unternehmen. Das ist jetzt noch nicht so beeindruckend, aber immerhin hat er halt über 300 Mitarbeiter im Jahr 1944, also er wird gewissermaßen zum Mittelständler. Andererseits, wenn man sich die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg anguckt, bleibt Boss bis Ende der 60er-Jahre – da sind sie schon ein bisschen größer, aber es ist eigentlich ein ganz normales Unternehmen. Die stellen Arbeitsbekleidung her und die stellen unter anderem auch schon Anzüge her, aber eben noch gar nicht so, wie man das heute kennt. Und dann übernehmen ab 1969 seine Enkel Uwe und Jochen Holy das Unternehmen, und die entdecken dann zum einen den, ich sag mal virilen Klang des Namens ihres Großvaters und stellen sich auf italienische Anzüge um, und erst dann wird Boss halt richtig groß, dann ändert sich das Image der Marke und so weiter. Und da ist, glaube ich, der eigentliche Aufstieg zu dem Unternehmen zu verorten, das es halt heute ist, während die ganzen Mittelständler, die es vorher bis in die 60er-Jahre in der Bekleidungsindustrie gibt, heute einfach nicht mehr existieren, weil die Bekleidungsindustrie insgesamt seit den 60er-Jahren sich im Abstieg befindet.

Heise: Sie hören das Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Historiker, mit dem Wirtschaftshistoriker Roman Köster über dessen Studie zur Vergangenheit des Unternehmens Hugo Boss. War wir noch nicht angesprochen haben, Herr Köster, das sind die Zwangsarbeiter, die bei der Firma Hugo Boss die Uniformen zusammengenäht haben – wie war deren Situation?

Köster: Ja, also es gab bei Boss ungefähr 140 Zwangsarbeiter, also hauptsächlich Zwangsarbeiterinnen, in der Mehrzahl halt aus der Sowjetunion und Polen. Ja, und hinsichtlich deren Situation muss man halt abwägen. Auf der einen Seite haben wir durchaus Beispiele dafür, dass sich das Unternehmen bemüht, deren Lage eben zu verbessern. Also es gibt einige Hinweise darauf, dass Hugo Boss halt zusätzliche Lebensmittel für sie organisiert hat, es gibt auch diesen einen Fall, wo er mal den Antrag gestellt hat, sozusagen die Zwangsarbeiter wieder in seinem Unternehmen, in seiner Kantine zu versorgen und nicht im Ostarbeiterlager, wo sie ab 43 wohnen mussten, einfach weil die Ernährungssituation in dem Lager einfach so schlecht war. Auf der anderen Seite haben wir eben aber auch überlieferte Fälle von Misshandlungen, also wird Arbeiterinnen mit KZ gedroht und so weiter, die, glaube ich, ein weniger positives Licht auf das Unternehmen werfen.

Heise: Wie ist es mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter?

Köster: Ja, Boss ist dann Ende der 90er-Jahre, allerdings erst, nachdem das Thema in der Öffentlichkeit publik gemacht wurde, dem Entschädigungsfonds beigetreten.

Heise: Das Unternehmen ist ja an Sie herangetreten mit dem Wunsch der Aufarbeitung. Wie rücksichtslos gegen das internationale Image durften Sie da eigentlich vorgehen? Was hatten Sie da selber für ein Gefühl?

Köster: Zunächst mal ist das Unternehmen nicht direkt an mich herangetreten, sondern an die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, das ist halt die wissenschaftliche Vereinigung der deutschen Unternehmensgeschichte, die sich auch als Ansprechpartner für Unternehmen versteht, die ihre Geschichte seriös aufarbeiten lassen wollen und nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Und die hat dann mich gefragt, weil ich hatte auch schon einige Projekte für sie gemacht, auch aus dem Bereich Textil, ob ich das halt machen möchte, und dann hab ich eben Ja gesagt. Ich hatte bei dem Unternehmen schon ... also man guckt in die Köpfe der Beteiligten nicht immer vollständig rein, aber ich hatte bei dem Unternehmen schon das Gefühl, dass sie wirklich um eine authentische Aufarbeitung ihrer Geschichte bemüht sind. Und auf der anderen Seite gehört das einfach zu den Regeln des Spiels, das haben wir auch dann gleich im ersten Gespräch gesagt, dass natürlich so eine Studie, wenn sie eingestellt wird, halt auf jeden Fall absolut unabhängig zu sein hat.

Heise: Aber mit den Quellen war es doch durchaus schwierig, denn das Firmenarchiv, wie ich gelesen habe, war nicht sehr ergiebig?

Köster: Nee, also das Problem ist, dass es keine Quellen in dem Unternehmen wohl gibt, die älter als die 60er-Jahre sind, also aus der Nazizeit existiert scheinbar gar nichts.

Heise: Worauf haben Sie sich denn dann gestützt?

Köster: Ja, man kann so eine Geschichte schon gewissermaßen von außen rekonstruieren. Es gibt die dicke Entnazifizierungsakte von Hugo Boss – wobei man bei diesen Entnazifizierungsakten immer sehr vorsichtig sein muss, weil eben die Aussagen häufig sehr zweifelhaften Quellenwert haben, aber da gab es immerhin schon mal Geschäftszahlen. Das Stadtarchiv Metzingen hat zahlreiche Unterlagen und so weiter, und wir haben bestimmt um die zehn Archive gesichtet, gewisse, und haben dadurch gewissermaßen die Geschichte von außen rekonstruiert. Es gibt auch Zeitzeugenberichte von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen, die auch sehr ergiebig waren. Also es ist immer schöner, wenn man wirklich unternehmensinterne Quellen, aber es ging auch so einigermaßen.

Heise: Es gab Ende der 90er-Jahre schon mal einen Auftrag an eine Historikerin, sich mit der Vergangenheit von Hugo Boss und also dem Unternehmen zu beschäftigen, die Studie ist dann allerdings nicht gedruckt worden. Zusammengenommen mit den nicht vorhandenen Firmenunterlagen, gibt es da doch unliebsame Wahrheiten, die man dann eben doch nicht ans Licht bringen möchte?

Köster: Ja, also ich würde mal sagen, dass die Umgehensweise der Firma Hugo Boss mit seiner NS-Vergangenheit lange Zeit nicht besonders glücklich war. Also diese Studie erst in Auftrag zu geben und dann nicht zu drucken, ist sicherlich keine sehr glückliche Handlung gewesen. Auf der anderen Seite, die Studie ist im Internet verfügbar, die kann halt jeder einsehen, und wenn man sie halt auch liest, sieht man, dass – was die problematischen Ergebnisse der Unternehmensgeschichte angeht – die von den Ergebnissen meiner Studie eigentlich nicht besonders stark abweicht. Insofern gibt es sozusagen nicht die große Naziwahrheit über Hugo Boss, die jetzt bislang noch nicht thematisiert wurde. Aber andererseits, warum die Studie damals Ende der 90er-Jahre nicht veröffentlicht wurde, das konnten mir auch meine Ansprechpartner in dem Unternehmen selber nicht richtig sagen. Hugo Boss hat seit den 90er-Jahren mehrfach den Besitzer gewechselt, also es fluktuiert die Belegschaft auch sehr stark und es waren einfach auch nicht mehr die Personen im Moment am Ruder, die damals eben dafür verantwortlich waren.

Heise: Roman Köster, Wirtschaftshistoriker an der Universität der Bundeswehr in München, zur Modemarke Hugo Boss und der Nazivergangenheit ihres Gründers. Die Studie ist demnächst im Beck-Verlag zu erwerben. Vielen Dank, Herr Köster!

Köster: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.