Historiker diskutieren Medienwandel

Liken ist keine politische Teilhabe

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Social Media fördert die Illusion politischer Teilhabe. © imago stock&people (Blickwinkel/McPhoto/M.Gann)
Von Thomas Franke · 14.05.2019
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In der medialen Welt ändert sich unsere Art zu kommunizieren. Wir können uns jederzeit mitteilen. Dass wir aber deshalb politisch aktiver sind, ist ein Trugschluss. Darüber haben Historiker beim "History Forum" der Körber-Stiftung in Berlin diskutiert.
Die 1959 gegründete Körber-Stiftung hat sich während des zweitägigen Geschichtsforums in Berlin zeitgemäßen Themen gewidmet: Propaganda, Fake News, starke Führer als Gefahr für die Demokratie und Passivität in digitalen Zeiten. Unter den Gästen waren u.a. die Historiker Anne Applebaum, Timothy Snyder und Markus Engels.
Die Umwälzung ist tiefgreifend, darin sind sich alle einig gewesen. Markus Engels, einer der Diskussionsteilnehmer, ist gelernter Philosoph und Generalsekretär * des Thinktanks "Global Solutions":
"Das Interessante ist ja, wenn man über Kommunikationstheorie spricht, dass sich das Verhältnis von Sender und Empfänger verändert hat, weil auf einmal wir alle via Facebook, via Youtube, via Twitter selber Sender sind und nicht nur Empfänger von Nachrichten, sondern selber aktiv mitbestimmen, wir aber gleichzeitig sehr, sehr wenig Regulierung haben, wie dieses funktionieren will."

Onlinemedien sind die Druckerpresse des 21. Jahrhunderts

Das erleichtert es Propagandisten, mit Falschnachrichten den Diskurs zu stören. Anne Applebaum, Professorin am Institute for global Affairs in London, leitet ein Projekt, das sich mit Desinformation und Propaganda im 21. Jahrhundert beschäftigt. Sie vergleicht die Situation heute mit der Erfindung der Druckerpresse oder des Radios.
"Zur Zeit haben wir eine grundlegende und tief gehende Polarisierung. Konversation hat sich durch Onlinemedien verändert und teilt die Menschen. Einige Leute denken, das eine sei gestern passiert, und andere denken, etwas anderes sei passiert."
Applebaum hat gerade ein neues Buch veröffentlicht: "Roter Hunger - Stalins Krieg gegen die Ukraine". Darin zeigt sie, wie über Jahrzehnte der genozidale Massenmord an den Ukrainern in den Jahren 1932 und 1933 propagandistisch vom Weltbewusstsein ferngehalten wurde. Die russische Regierung leugnet den "Holodomor" noch heute.
Eine Diskissionsrunde mit drei Frauen und zwei Männern. Auf der Leinwand im Hintergrund steht "Körber History Forum"
Herausforderung Propaganda. Forscher diskutieren auf dem Körber History Forum 2019 in Berlin© Thomas Franke
Propaganda richte sich häufig an Enttäuschte auf der Suche nach Alternativen, meint Markus Engels. Jahrelang sei den Leuten erzählt worden, dass Wachstum und Globalisierung für sie gut wären. Doch statt dessen seien Arbeitsplätze unsicher geworden, sie fühlten sich von globalem Terror oder Kriminalität bedroht.

Die Gefahr starker Führer

"Das Problem ist Glaubwürdigkeit. Das ist ein Riesenproblem im politischen Diskurs, dass Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist."
Der US-Historiker Timothy Snyder hat beim Körber Forum über "starke Führer als Bedrohung der Demokratie" diskutiert. Vor zwei Jahren hat er dazu das Buch "Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand" herausgebracht. Mindestens fünf Lektionen beschäftigen sich unmittelbar mit der Kommunikation des Einzelnen in der Gesellschaft. Besonders interessant ist die Anweisung "Praktiziere physische Politik: Macht will, dass es sich dein Körper in einem Sessel bequem macht und deine Gefühle sich vor der Mattscheibe auflösen. Geh hinaus."

Facebook und Twitter als neue Kneipenkultur

Markus Engels greift das auf:
"Wenn ich da manche Diskurse verfolge, auf Twitter oder auf Facebook, dann fühle ich mich, Sie erlauben mir diesen historischen Rückgriff, ein bisschen an die Kneipenkultur erinnert, vielleicht in den 70er-, 80er-Jahren. Da hat man die Welt am Tresen verändert. Nach dem siebzehnten Bier, da wusste man, so und so geht das, man war erstens bester Fußballbundestrainer und gleichzeitig auch noch Bundeskanzler."
Bei Facebook sei es ähnlich, fährt Engels fort:
"Ich suggeriere mir selbst, wenn ich etwas like oder etwas share, oder den Daumen irgendwo senke, dass ich politisch aktiv geworden bin. Und ich bin das ja eben nicht."
Gleichzeitig ist die Technologie nutzbar für weltweite Kommunikation. Binnen weniger Sekunden kann im Grunde jeder an fast jedem Diskurs teilnehmen, ihn stören, ihn fördern. So bei den Schülerdemonstrationen für den Klimaschutz oder während der Demokratiebewegungen unter anderem auch in der Ukraine im Winter 2013/2014.

Neue Technologien fördern Passivität

Markus Engels führt fort:
"Das heißt, es gibt Gleichzeitigkeiten. Und keine Technologie ist böse oder gut. Sondern es ist eine Technologie, da müssen wir was draus machen, aber richtig ist, dass es eine gewisse Passivität auch gefördert wird eben durch diese Partizipationsillusion, die man durch dieses Liken und Sharen hat."
Engels hat eine klare Vorstellung davon, was nötig ist, damit die neue Technik die Demokratie nicht weiter gefährdet:
"Wir müssen diese Grundanständigkeit, diese Grundregeln des Diskurses wieder miteinander neu verhandeln unter völlig anderen technischen Rahmenbedingungen."
Das ist an sich schon eine globale Herausforderung für die Kommunikation.
* An dieser Stelle hatten wir eine falsche Funktionsbeschreibung von Markus Engels angegeben.
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