Hip-Hop

"Eine total verrückte Idee"

Musikexperte Thomas Hecken im Gespräch mit Dieter Kassel · 31.03.2014
Es soll nur im Museum angehört werden können: das einzige Exemplar der neuen Platte des Wu-Tang Clans. Musikexperte Thomas Hecken erklärt, warum das eine Rückkehr zu einer uralten Strategie in der Kunst ist.
Dieter Kassel: Meistens sind Popmusiker ja darum bemüht, möglichst viele Exemplare ihrer jeweiligen Alben zu verkaufen. Der Wu-Tang Clan, legendäres Musikerkollektiv aus den USA, der ist offenbar dieses Spiel jetzt langsam leid, die möchten nämlich von einem neuen Album, einem sehr speziellen Doppelalbum mit dem Titel "Once Upon a Time in Shaolin", von diesem Album möchten sie nur ein einziges Exemplar herstellen. Sie haben richtig verstanden: Es soll nur eine CD geben, verpackt in eine von einem britisch-marokkanischen Künstler geschaffene edle Schatulle, und diese CD mit der Verpackung soll dann in Museen und Galerien ausgestellt werden und nur dort soll die Musik auf der CD dann auch gegen Eintritt zu hören sein. Anschließend, wenn diese Kunsttour vorbei ist, soll die CD für, so sagen es zumindest die Musiker, für einen Millionenbetrag an einen Sammler verkauft werden. Ob das wirklich klappt, können wir alle noch nicht wissen. Was es aber soll, darüber können wir zumindest diskutieren. Mit Thomas Hecken wollen wir das tun, er ist Redakteur der Zeitschrift "Pop“, dieses Magazin für Popkultur und Popmusik gibt es alle sechs Monate und die aktuelle Ausgabe ist gerade erschienen. Schönen guten Tag, Herr Hecken!
Thomas Hecken: Ja, guten Tag!
Kassel: Kann denn eine Compact Disc mit Musik drauf ein Kunstobjekt sein?
Hecken: Nun, das ist natürlich einerseits Unsinn, denn alle möglichen anderen Reproduktionen, die Popmusik jetzt weit in die Welt hinausbringen oder vielleicht ja auch nur in kleinen lokalen Szenen, sind natürlich für sich auch schon Kunstwerke oder mögliche Anwärter auf Kunstwärterschaften. Da braucht es ja die Frage von Original und Kopie nicht, das hat sich ja für die Popmusik nie als Problem gestellt. Aber natürlich lustig und aufsehenerregend, dass der Wu-Tang Clan es jetzt mal in die andere Richtung versucht, so zu tun, als handele es sich bei Popmusik um einen Gegenstand der bildenden Kunst. Das führt natürlich zu allerlei Debatten und darüber, dass wir jetzt selber schon drüber sprechen, zeigt sich ja, dass es eine originelle, innovative, konzeptuelle Idee ist, überhaupt keine Frage.
In der Popmusik gibt es kein Original und keine Kopie
Kassel: Aber wenn Sie schon Begriffe wie "Original“ und "Kopie“ und "Reproduzierbarkeit“ reinbringen – wenn ich in ein Museum gehe, erwarte ich ja eigentlich Originale. Kann denn diese CD, auch wenn es vielleicht wirklich nur die einzige ist, auf der in dieser Form diese Musik drauf ist, kann die so was wie ein Original wirklich sein?
Hecken: Nun, das ist das originale Tondokument in materialisierter Form. Sie haben ja zu Recht gesagt, das liegt dann in einer Schatulle drin, das wäre dann das Original. Für die Musik hat das natürlich überhaupt keinen Belang. In der Popmusik, da gibt es kein Original und keine Kopie und schon gar nicht jetzt im Zeitalter der Digitalisierung. Früher mag es ja dann Bänder gegeben haben, originale Bänder, auf die man dann zugreifen konnte als Museumsarchivar et cetera. Aber in der digitalisierten Welt spielt das natürlich rein gar keine Rolle.
Kassel: Aber die Frage ist ja auch: Will der Wu-Tang Clan da möglicherweise die Zeit zurückdrehen? Denn die Jungs sagen ja auch, sie wollen ein Zeichen setzen mit dieser Aktion, ein Zeichen setzen gegen die Entwertung von Musik. Bedeutet Digitalisierung – so klingt das ja –, bedeutet Digitalisierung Entwertung von Musik?
Hecken: Ja, für den Wu-Tang Clan interessanterweise schon, wobei, wenn man sich das genauer anschaut, dann läuft es noch ein bisschen anders beim Wu-Tang Clan, also da werden zwei Dinge vermischt. Der Clan hat jetzt da mit seinen Hauptsprechern auch so ein kleines Manifest ins Netz gestellt – also auch ganz interessant: Da stellt man es wiederum ins Netz, da schickt man es jetzt nicht per handgeschriebenem Brief an den ausgemachten Sammler oder vielleicht an eine Galerie selber, also da verzichtet man natürlich dann keineswegs auf die Digitalisierung, wenn man jetzt die Ideen kommunizieren möchte. In diesem kleinen Manifest steht drin, das ist also hochinteressant: Ja, also Beethoven und Mozart, die hätten nun als Musiker, als Komponisten den gleichen Rang wie ein Picasso oder ein Michelangelo, aber in der Musik der Jetzt-Zeit sei das anders, also da müsse man sehen in der bildenden Kunst, was da ein Picasso sei oder ein Damien Hirst, da gebe es jetzt in der Musik keine Entsprechung zu, und man bedauert, dass der Wu-Tang Clan selber, aber auch so Leute wie eben Kanye West oder Dr. Dre, dass die nicht den gleichen Kunststatus besäßen wie eben ein Warhol.
Und das möchte man jetzt ändern, indem man jetzt auch dann die Versuchsanordnungen und Taktiken der bildenden Kunst, eben die Verknappung zum Original hin dann eingeht. Das ist natürlich eine total verrückte Idee, aber zeigt so das Anliegen des Wu-Tang Clan ganz schön, dass also auch Hip-Hop jetzt dann noch stärker als originäre Kunstform und die wichtigsten Hip-Hop-Künstler eben als große originäre Künstler dann auch anerkannt werden sollten.
Kassel: Aber Musik ist natürlich immer Geschmackssache. Ich will hier gar nicht werten, aber ist das nicht vielleicht auch ein Zeichen für etwas, was immer wieder gerade mit der Hip-Hop-Kultur in Verbindung gebracht wird, nämlich schlicht Größenwahnsinn?
Hecken: Na ja, aber das ist natürlich ein sympathischer Größenwahnsinn, der sich hier ausdrückt, keine Frage. Und andererseits ist es natürlich auch ein verfehlter Größenwahnsinn, denn es besteht ja gar kein Anlass, irgendetwas zu bedauern. Wenn man sich das mal anschaut, was in den letzten 20, 30 Jahren geschehen ist, da zeigt sich ja die massive Anerkennung nicht nur des Hip-Hop, sondern aller anderen Popmusiken ja auch. Ich selber habe noch vor Kurzem ein Buch geschrieben, das hat genau die Gegenthese zum Zentrum, das Buch heißt "Avant-Pop“, also so eine Mischung aus Avantgarde und Pop, und da kann ich den Nachweis führen, und ich meine, Ihre Sendung zeigt das ja nun auch selber, dass also Popmusik derartig stark heutzutage in den Kanon der einst Hochkultur genannten Kultur eingegangen ist, überall reüssiert, überall museal wird, überall Kanons ausbildet, an Universitäten gelehrt wird – also der Clan hat da eine ganz falsche Diagnose und greift natürlich auch zu einem falschen Mittel, aber beides aufeinander bezogen ist natürlich einerseits sehr, sehr lustig und andererseits auch macht einfach dann Freude, darüber zu reden und das ganze Feld noch mal aufzurollen.
An überkommende Kunststrategien anknüpfen
Kassel: Sie haben in Zusammenhang mit diesem Manifest vom Wu-Tang Clan Beethoven erwähnt und andere Vergleiche. Die hatten natürlich damals noch keine Chance, auf CD mal auszutesten, wie viel sie wert sind. Wenn man überhaupt benennen kann, was eigentlich das materielle Produkt ihrer Arbeit war, dann waren es ja beschriebene Notenblätter. Das wiederum hat vor, ja, einem guten Jahr, Ende 2012 kam das Projekt … ja, Beck mal versucht, auch ein bekannter amerikanischer Musiker, anderes Genre. Der hat tatsächlich Noten, wenn auch im Internet, aber wirklich Noten – im wahrsten Sinne des Wortes – seiner Lieder veröffentlicht und mehr oder weniger gesagt: Macht damit, was ihr wollt. Also rein technisch, finde ich, führt ihn das ja fast näher an Beethoven ran als das Projekt des Wu-Tang Clans.
Hecken: Ja, aber beide Strategien kommen aus dem gleichen Impuls heraus, noch mal an überkommene Kunststrategien dann anzuknüpfen. Man macht sich das ja heutzutage gar nicht mehr klar, und das zeigt ja Becks Beispiel dann sehr schön auf: Die Musikindustrie lief ja sehr, sehr lange, bis in die 30er-, 40er-Jahre hinein, kommerziell über den Vertrieb von Notenblättern. Also selbst, als es die berühmten Schellack- und anderen Scheiben schon gab, verdiente die Musikindustrie hauptsächlich ihr Geld über den Verkauf von Noten. Und das hatte eben zur Folge, dass ein ganz anderer Kunststatus existierte. Also man muss sich das mal klarmachen, bis in die 40er-Jahre hinein, selbst die Top-Platten, also die Swingorchester et cetera, deren Singleaufnahmen, die wurden im Radio dann so gespielt in den Hitparaden, dass eine Studioband dann sich die Noten nahm und die Lieder nachspielte. Also es interessierte nicht der Sound, es interessierten nicht die Soli der ursprünglich eingespielten Musiker, sondern es interessierte das, was man eben von Noten und Arrangements ja reproduzieren konnte. Und damit bricht eben die Popmusik ab den 50er-Jahren. Da kommt es auf den Studioklang an, auf die individuelle Stimme, und rein gar nicht auf die Noten. Und deshalb war es natürlich völlig verrückt von Beck, das jetzt mal umdrehen zu wollen. Und genauso verrückt ist jetzt das Anliegen des Wu-Tang Clans, zu sagen: Na, was uns jetzt zur Kunst verhilft, das ist doch der Status des Originals wie in der bildenden Kunst. Das sind völlig verrückte Strategien und extrem avantgardistisch, haben beide nichts mit Pop zu tun, zeigen aber doch so eine interessante Reflektion dann auf den Stand von Popmusik heute, auch wenn die Mittel natürlich jetzt archaisch sind.
Kassel: Na, da sind wir bei dem spekulativen Schluss, den ich mir jetzt noch von Ihnen wünsche, Herr Hecken. Also dass als Event es funktionieren kann und Leute 20 bis 50 Dollar zahlen, um reinzugehen, das Ding mal hören zu dürfen, das kann ich mir noch vorstellen. Aber glauben Sie, dass am Ende wirklich irgendjemand mehrere Millionen Dollar für diese CD zahlt?
Hecken: Na ja, gut, wenn Sie wissen, wie viele Milliarden heutzutage notorisch zur Anlage kommen wollen, wird sich da vielleicht schon jemand finden lassen. Als Modell für andere Popmusikkünstler ist es natürlich kein Vorbild. Es ist wirklich ein typisches One-Hit-Wonder. Also insofern bleibt der Wu-Tang Clan der Popmusik und dem Popkommerz dann doch vorbildlich treu.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.