Krisenprävention bei Corona

Hinterher ist man immer schlauer

04:29 Minuten
In einen Ganzkörper-Schutzanzug gekleidet ist ein Mitarbeiter eines Corona-Testzentrums auf dem Messegelände in Marburg.
In einem Corona-Testzentrum in Marburg. Ist der Gedanke realistisch, dass wir uns auf diese Pandemie ausreichend hätten vorbereiten können? © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Ein Kommentar von Nils Zurawski · 23.12.2020
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Die Krisenmaßnahmen nach dem Corona-Ausbruch wirkten oft erratisch und wenig effektiv. Der Sozialforscher Nils Zurawski fragt, ob sich das bei der nächsten Krise besser machen lässt. Wie gut können wir uns überhaupt auf Katastrophen vorbereiten?
Bin ich gut vorbereitet? Diese Frage kennen und stellen sich wohl auch viele. Athletinnen und Athleten vor einem entscheidenden Wettkampf, Schülerinnen und Schüler vor der wichtigen Klausur, Bergsteigerinnen und Bergsteiger vor dem Achttausender.
Sich vorzubereiten auf eine Aufgabe, eine Situation, die man abschätzen kann, möglicherweise durch viele Wiederholungen kennengelernt hat oder die schon fast zur Routine geworden sind, das kennt jeder. Dass es dennoch immer wieder auch mal nicht klappen kann, dass eine Routine versagt, gehört zum Leben dazu. Nicht immer muss es dann zu einer Katastrophe kommen, nicht immer müssen andere oder man selbst deshalb leiden. Es sind die "überschaubaren" Risiken des Lebens.
Wenn dann doch etwas schiefgeht, hört man allerdings: Warum hast du nicht? Wieso warst du so schlecht vorbereitet? Oder: Ich habe es doch gleich gewusst!

Besserwisserei ist oft unfair

Es sind die Ratschläge derer, die nachher alles vorher besser gewusst hätten. Häufig ist so eine Kritik aber unfair. Denn je komplizierter und verworrener ein Ereignis ist, je mehr Störungen eine Katastrophe verursachen mag, desto unwahrscheinlicher wird eine gute Vorhersage und damit auch eine ausreichende Vorbereitung.
Was aber, wenn diese Risiken nicht mehr überschaubar sind, schon gar nicht vorher, so wie gegenwärtig bei Corona? Ist der Gedanke realistisch, dass wir uns auf diese Pandemie ausreichend hätten vorbereiten können? Und wenn ja, was hieße das eigentlich?

Klar ist, dass es Planspiele und Szenarien gab, in denen eine Pandemie durchdacht wurde. Liest man sich allerdings diese dokumentierten Planspiele durch, dann fällt auf, dass dort massenhaft Kranke zu versorgen sind, hochansteckend und befallen mit einem sehr tödlichen Virus. An das tatsächliche Szenario – was es bedeutet, viele Gesunde im eigenen Heim zu Quarantäne zu verdonnern –, daran wurde gar nicht gedacht.
Warum eigentlich nicht? Weil vielleicht nicht alles immer denkbar ist, wie es ein Kollege mir gegenüber ausdrückte. Vielleicht auch, weil ein Zustand andauernder "Vorbereitung" ein anstrengender Zustand ist, die Gesellschaft in der Zwischenzeit wieder ihrem Leben nachgeht und die Zukunft vor allem ein unbekannter, ferner Ort ist.

Jede Vorbereitung beruht auf alten Erfahrungen

Denn alle Vorbereitungen hängen von unserer Vorstellung über die Zukunft ab, gespeist aus Erfahrungen der Vergangenheit. Worauf wir uns vorbereiten, wovor wir meinen, uns schützen zu müssen, hängt auch damit zusammen, wie wir leben wollen. Und sicherlich: Man kann so leben, um auf fast alles vorbereitet zu sein, im persönlichen Leben, aber auch in Hinblick auf gesellschaftliche Katastrophen. Aber nur die wenigsten möchten die Welt als ständige Bedrohung erleben und wie die Prepper im eigenen Bunker hocken, hochbewaffnet und paranoid auf den Untergang der Welt warten, um den finalen Kampf auszufechten – gegen welchen Feind dann auch immer.
Schon jetzt, mitten in der Corona-Pandemie, prophezeien die Ersten bereits das nächste gefährliche Virus, die nächste katastrophale Pandemie. Jetzt, so sagen sie, sei die Zeit, sich darauf vorzubereiten. Aber wie? Mehr Intensivbetten? Bessere Pläne, mehr Vorräte, den richtigen Impfstoff? Das alles sind Handlungen für den Ernstfall, wenn das Virus da ist, wenn es sich überträgt und verbreitet, möglicherweise mit verheerenden Folgen, schlimmer noch als Sars-CoV-2.

Die beste Vorbereitung läge in ökologischer Vernunft

Oder man hört auf diejenigen, die sich heute bereits über die Ursachen der Virusübertragung Gedanken machen, die über Biodiversität nachdenken, über die Zerstörung der Ökosysteme, über unsere Art zu leben.
Auch das ist nicht neu. So eine systematische Betrachtung wäre jedoch auch eine Art der Vorbereitung, die nicht nur die Symptome des Ausbruchs, sondern möglicherweise die komplexen Ursachen der Entstehung solcher Pandemien betrachtet. Dafür sei jetzt keine Zeit? Erst müsse man Corona bekämpfen, dann die Wirtschaft wieder in Gang bringen? Vielleicht liegt genau darin das Problem.
Sich vorzubereiten heißt nicht nur gerüstet zu sein, um etwas zu bekämpfen, wenn es da ist, sondern auch dafür zu sorgen, die großen Gefahren frühzeitig zu erkennen. Wenn diese Pandemie uns etwas gezeigt hat, dann die Notwendigkeit, die ökologischen Grundlagen unseres Daseins in die Vorbereitung für den nächsten Ernstfall mit einzubeziehen.

Nils Zurawski, geboren 1968, arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Schwerpunkte seiner Arbeit: Überwachung, Polizei, Doping, Stadt. 2013 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu Raumwahrnehmung, Überwachung und Weltbildern. Er bloggt unter surveillance-studies.org.

© Foto: Christoph Rau
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