Hineingewachsen in das Werk

23.04.2013
Im Interviewband "Starke Frauen für die Kunst" erzählen die Ehefrauen der Künstler der Düsseldorfer ZERO-Gruppe vom Leben mit ihren Männern. Die Kunstsammlerin Anna Lenz lässt sie zu Wort kommen und erfährt, was bisher in keinem Ausstellungskatalog zu lesen war.
Der Titel "Starke Frauen für die Kunst" des sehr ansprechend aufgemachten Interviewbandes von Anna Lenz erinnert an feministisch motivierte Projekte aus den 80er- und 90er-Jahren. Davon kann aber keine Rede sein. Man könnte eher sagen, dass es sich um eine Art späte Wiedergutmachung handelt.

Denn die Sammlerin lässt die 20 Frauen nur zu Wort kommen, weil sie die Lebensgefährtinnen jener Künstler sind, die sie und ihr Ehemann, Gerhard Lenz, mit Ankäufen gefördert hat. Auf fast 300 Seiten erfährt der Leser neben den Biografien der Frauen wichtige und unwichtige Dinge aus dem Leben bekannter Maler und Bildhauer, Dinge, die garantiert in keinem Ausstellungkatalog stehen.

Das Buch verdankt sich großer Wertschätzung dieses Sammlerehepaars ihren Künstlern gegenüber. Die Kollektion Lenz-Schönberg gilt als bedeutendste private ZERO-Sammlung überhaupt. Anna und Gerhard Lenz haben sich bereits in den 1950er-Jahren für Künstler wie Otto Piene, Günther Uecker, Gerhard Mack und Yves Klein interessiert. ZERO stand für eine Kunst, deren Materialien Licht und Bewegung waren, und die Mitte des 20. Jahrhunderts einen absoluten Neuanfang propagierte.

Vermächtnis eines Sammlerehepaars
Das Ehepaar hatte nicht nur Bilder und Objekte gekauft, sondern auch familiäre ZERO-Feste organisiert. Diese persönliche Teilnahme spiegelt sich auch in der Art und Weise, wie die heute über 80-jährigen Sammler ihr Vermächtnis vorbereiten. Vor zwei Jahren haben sie 49 der 600 Werke bei Sotheby´s versteigert, um eine Stiftung zu gründen. Bereits 2009 erschien ein opulenter, zweibändiger Katalog, der die Sammlung mustergültig publizierte.

Wer nun meint, man würde ganz entspannt am Teetisch mit Anekdoten aus dem Künstlerleben unterhalten, wird überrascht sein. Der Leser ist konfrontiert mit sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen. Und es ist wohltuend, dass Anna Lenz zunächst nach der Geschichte der Frauen fragt, bevor sie auf das gemeinsame Leben zu sprechen kommt. Nicht selten handelt es sich um Kunsthistorikerinnen oder Künstlerinnen, die ihre eigenen Ziele verfolgten. Doch selbst in diesen Lebensläufen scheinen ein paar bittere Wahrheiten auf, die ein Licht auf den Stand der Gleichberechtigung in den 1960er- und 1970er-Jahren werfen.

Die spätere Professorin für Kunstgeschichte, Antje von Graevenitz, musste sich von ihrem Künstlermann Gerhard von Graevenitz anhören, dass sie als verheiratete Studentin ihr politisches Engagement zurückfahren sollte. Er warte abends zu lange auf sein Essen. Franziska Megert wurde von Kollegen ihres Mannes Christian Megert als "Hobbykünstlerin" belächelt; sie verbat sich solchen Besuch. Solche Dissonanzen wurden jedoch überwunden, nicht zuletzt, weil die Frauen Grenzen setzten.

Ehrliche Frauen mit Organisationstalent
Neben der unprätentiösen Ehrlichkeit, mit der die Frauen Auskunft geben, kommt dem Buch noch ein anderer Aspekt zugute. Es stellt - eher zufällig - dem deutschen Publikum die italienisch-brasilianische Konzeptkünstlerin Essila Paraiso, die Lebensgefährtin von Turi Simeti, vor, oder die tschechische Porträt-Bildhauerin Vlasta Prachatická, die Frau von Stanislav Kolibal.

Auch die durch ihre Diabetes-Erkrankung zeitweilig immer wieder erblindete Wissenschaftlerin und Künstlerin Elisabeth Goldring-Piene wird nur wenigen ein Begriff sein. Die Amerikanerin war wie Christiane Mewes-Holweck Studentin ihres Mannes, eine nicht seltene Konstellation - bis heute. Gertrud Bartels hingegen hat - wie Antje von Graevenitz - mit ihrer Erwerbstätigkeit dafür gesorgt, dass ihr Mann trotz Familie seinen Weg als Künstler weiterverfolgen konnte.

Ein durchgehendes Motiv in vielen Lebensläufen von Künstlerfrauen ist jedoch die komplette Indienstnahme durch ihre Männer. Und dies passiert oftmals Frauen mit außerordentlichem Organisationstalent. Christiane Uecker, ehemals Buchhändlerin und Fernsehsprecherin, würde sagen, das Werk ihres Mannes sei eben auch ihr Leben. Und auch Hannelore Ditz, die Lebensgefährtin von Arnulf Rainer, will ihren Mann nicht missen, obwohl der Hypochonder sie sogar im Winter in eines der Landateliers vorausschickte, um den Ofen vorzuheizen. Heinz Mack hat gleich pragmatisch in dritter Ehe seine junge Mitarbeiterin geheiratet. Aber auch Ute Mack ist hineingewachsen in "das Werk".

Besprochen von Carmela Thiele


Anna Lenz (Hrsg.): Starke Frauen für die Kunst. Im Gespräch mit Anna Lenz
Fotografien von Roswitha Pross
Hirmer Verlag, München, 2013
296 Seiten, 19,90 Euro
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