Hinduismus in Nepal

Die Gleichberechtigung beginnt zu Hause

Eine Frau sitzt während des hinduistischen Festes Maha Kumbh Mela am Flussufer und hält eine brennende Gabe in der Hand.
Eine Frau beim Gebet während des hinduistischen Festes Maha Kumbh Mela. © imago/Invision
Von Dorothea Brummerloh · 13.09.2015
Im Nepal ist noch immer der Hinduismus die prägende Religion. Religiöse Vorschriften regeln in weiten Teilen des Landes den Alltag, gar die Abläufe in der Gesellschaft. Die negativen Folgen spüren vor allem die Frauen.
Ein Hindutempel im Westen Nepals an einer stark befahrenen Hauptstraße. Auf einem steilen Felsvorsprung thront der Tempel, zu dem die Gläubigen mühsam die steilen Treppen empor steigen, bevor sie barfuß den heiligen Ort betreten.
Etwa 80 Prozent der Bevölkerung in Nepal sind Hindus. Nepal war das einzige Land, in dem der Hinduismus jemals Staatsreligion war, erklärt Kreshna Dhakal, mein Begleiter, Übersetzer und selbst Hindu. Erst nach der Entmachtung des Königs im April 2006 bekannte sich Nepal zum Säkularismus, erzählt Dhakal.
"Der Hinduismus ist eine der ältesten Religionen, die du in Nepal finden kannst. Aber er ist auch konservativ und traditionell. Wenn ich all die religiösen Regeln befolgen würde, dann müsste ich ein Priester sein. Eigentlich ist wirklich alles durch unsere Religion geregelt."
In einem Café in der Nähe des Tempels treffen wir Laxmi Gharti mit ihrer Freundin Renu Lama. Laxmi erklärt die Chhaupadi-Tradition, die Frauen während der Menstruation betrifft.
"In dieser Zeit darf eine Frau fünf Tage nicht in die Küche gehen, dort auch nichts anfassen. Sie soll außerhalb der Küche essen, getrennt von den anderen. Sie darf sich nicht hübsch kleiden und nur außerhalb der Küche arbeiten."
Eine Grundbedingung hinduistischer Frömmigkeit ist die rituelle Reinheit, erklärt Laxmi Gharti. Unrein ist neben den Nahrungs- und Genussmitteln Fisch, Fleisch, Eiern, Alkohol und Tabak auch die Menstruation. Damit gilt die Frau während ihrer monatlichen Blutung, aber auch nach einer Geburt im hinduistischen Kontext als unrein. So steht es in den 2000 Jahre alten hinduistischen Gesetzestexten des Manu. Die eigene rituelle Reinheit kann verloren gehen, wenn man unreine Personen oder Gegenstände berührt. Deshalb sollen die Frauen während der Menstruation in einem separaten Haus leben, ergänzt Renu Lama:
"In den Städten wie Kathmandu ist es nicht so. Dort habe ich es noch nie gesehen. Man sieht das nur in den Dörfern, auf dem Land. Das ist nichts für die Moderne und diese Praktiken verschwinden auch immer mehr."
Ein Leben von Kastenzugehörigkeit
Das Leben wird im Hinduismus von der Kastenzugehörigkeit bestimmt. Die soziale Schichtung ist gottgewollt und von Geburt an feststehend. Berufsgruppen wie Lederarbeiter, Schmiede, Schneider und Töpfer gelten orthodoxen Hindus als "unberühbar":
"Das sind Menschen, die du nicht heiraten kannst. Du kannst nicht mit ihnen zusammen essen, sie dürfen nicht in deine Küche kommen. Leute, die noch fest in der Religion verankert sind wie meine Eltern würden mir nie erlauben, Unberührbare als Freunde mitzubringen und gemeinsam mit ihnen zu essen."
Obwohl diese "Unberührbarkeit“ in Nepal schon 1963 abgeschafft wurde, bedeutet der Kontakt mit den so genannten Unberührbaren für Strenggläubige immer noch eine religiöse Verunreinigung. Religiöse Vorschriften beeinflussen eigentlich jeden Lebensabschnitt eines gläubigen Hindu: "Wenn ich zum Beispiel Witwe bin, dann sollte ich mich ein Jahr lang vom Kopf bis Fuß weiß kleiden. Dann sollte ich mich nicht farbenfroh kleiden, zum Beispiel nichts Rotes tragen. Wenn ich das tun würde, denkt jedermann schlecht über mich."
Da die Töchter bei ihrer Hochzeit die Mitgift mitbringen müssen, gelten sie auch heute noch in manchen Familien als Belastung. Anders der Sohn:
"In unserer Kultur muss nach dem Tod der Eltern der Sohn, für gewöhnlich der Älteste, den toten Körper anzünden. Wenn ich zum Beispiel verheiratet bin und wir haben keine Kinder oder nur Töchter, dann muss bei unserem Tod der Sohn meines Schwagers uns verbrennen. Außerdem kümmert sich der Sohn um die alten Eltern und deshalb kümmern sie sich um ihn, weil dann auch ihre Zukunft sicher ist. Warum sollten sie also Geld in ihre Töchter investieren? So sind die Frauen benachteiligt."
Gegenüber ihrem Ehemann gilt eine nepalesische Frau als untergeordnet. Das ist eine Folge zahlreicher Bräuche und Traditionen des Hinduismus. Gesetze legalisieren diese Benachteiligung in bestimmten Bereichen wie dem Erbrecht. Im patriarchalisch geprägten Nepal wird die Staatsbürgerschaft vom Vater vererbt. Rund ein Viertel der Menschen in Nepal über 16 Jahre gelten so als staatenlos.

Der Soziologe Kreshna Dhakal weiß, dass nicht nur staatliche Gesetze und religiöse Vorschriften für nepalesische Frauen ein Problem sind:
"Manchmal leben die Frauen ein Sklavenleben in den Familien. Selbst wenn die Familie gebildet ist, der Mann gutsituiert ist, gibt es Gewalt in der Familie. Manchmal werden die Frauen geschlagen, aus dem Haus gejagt oder auch vom Land vertrieben. Das passiert oft, auch hier in einer Stadt wie Katmandu."
Nepal hat die UN Menschenrechtskonvention unterschrieben: Männer und Frauen sind dem Gesetz nach gleichberechtigt, erklärt die Frauenrechtlerin Kamala Upreti. Doch das sei alles nur Makulatur:
"Es gibt immer noch 170 Gesetze bei uns, die der Gleichstellung widersprechen. Wenn Frauen die gleiche Arbeit machen wie Männer, bekommen die Frauen 100 Rupies und die Männer 500. Wichtigen Dinge werden immer noch von einem männlichen Vormund abhängig gemacht."
Theoretisch könnten die Frauen zur Polizei gehen
Anfang der 80er-Jahre gründete Kamala Upreti zusammen mit einer anderen Frau die Frauenorganisation "Women‘s Foundation of Nepal". Der Bedarf nach Unterstützung der Frauen war damals groß - und ist es heute immer noch.
"Jeden Tag kommen drei oder vier Frauen zu uns, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Wenn die Frauen nur Töchter, keine Söhne geboren haben, werden sie von ihren Ehemännern und der Familie misshandelt oder rausgeworfen."
Natürlich könnten diese Frauen theoretisch zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten. Aus Angst tun sie es aber meistens nicht.
"Wenn die Frauen sich trauen würden, zur Polizei zu gehen oder vor Gericht, können sie sich manchmal durchsetzen. Aber viele haben nicht den Mut und halten die Misshandlung aus, weil sie fürchten, dass sie sonst allein überleben müssten. Das ist der Grund, warum sie diese ganze Gewalt akzeptieren. So werden die meisten Fälle nicht aufgeklärt."
Damit sich die Stellung der Frau in Nepal wirklich verändern kann, helfen nur zum Teil Gesetze – davon ist die Frauenrechtlerin Kamala Upreti überzeugt. Um die religiösen und patriarchalen Traditionen zu überwinden, braucht es einen langen Atem.
"Die Gleichberechtigung beginnt zu Hause. Das ist unsere Losung. Wir brauchen die Veränderung im eigenen Haus. Für das müssen wir kämpfen, für diese Gleichberechtigung... In Katmandu ist es schon besser. Aber draußen auf dem Land ist es immer noch eine große Herausforderung für die Mädchen."
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