Hilfe von den Denkern

01.07.2008
Manchmal scheint es, als sei die Globalisierung nichts als eine neue Geißel der Menschheit, die Klimawandel, weltweiten Terrrorismus und soziale Verwerfungen verursacht. Der Münchener Philosophieprofessor Hans-Martin Schönherr-Mann bietet jedoch in seinem Werk "Miteinander leben lernen" nicht nur Problemanalysen, sondern findet Lösungen in der modernen Philosophie.
Die Globalisierung schafft globale Probleme: Die Erwärmung der Erdoberfläche etwa beeinträchtigt das Leben der Menschen ebenso weltweit wie der Terrorismus und dessen Folgen.

Angesichts dessen ist ein globales Ethos von Nöten als Antwort auf die Frage: Wie kann es Menschen mit unterschiedlichen Wert- und Weltvorstellungen aus allen Religionen und ethischen Traditionen gelingen, in einer gemeinsamen Welt zu leben? Dieser Fragestellung widmet sich seit 1990 Hans Küng mit dem "Projekt Weltethos".

Dem ehemaligen katholischen Cheftheologen geht es dabei um eine Koalition von Glaubenden und Nichtglaubenden. Insbesondere für Letztere liefert Hans-Martin Schönherr-Mann nun eine dezidiert "philosophische Wegbereitung", eine breitere, vielfach anschlussfähige philosophische Absicherung für eine globale Ethik unter den Bedingungen der Pluralität - "ohne eine notwendige transzendente Begründung".

Dazu befragt der Münchener Professor für politische Philosophie Denker verschiedener Nationen und diverser philosophischer Schulen. En passant bietet er so einen originellen Einblick in die Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts.

Umrahmt von Hans Küngs Geleitwort und dessen Essay "Leitlinien zum Weiterdenken" enthält das 370 Seiten starke Buch neben einer kurzen Einleitung vier Hauptteile. Der erste bedenkt Herkunft, Wesen und Folgen des Pluralismus, Kennzeichen moderner Gesellschaften. Der zweite Teil stellt den Begriff der Verantwortung als Angelpunkt für den weltethischen Diskurs heraus.

Max Webers Wende von der Prinzipien- zur Verantwortungsethik liefert ebenso wesentliche Impulse für den Weltethos-Diskurs wie etwa Hans Jonas’ Konzept der Verantwortung für die Biosphäre. Der dritte Teil des Buches macht vor allem mit drei herausragenden Denkern und Denkerinnen vertraut, die "sich im 20. Jahrhundert auf die Suche nach den Perspektiven und Voraussetzungen von Kommunikation begeben" haben: Karl Jaspers, Hannah Arendt und Hans-Georg Gadamer.

Auf Letzteren geht der Titel des Buches zurück. Konfrontiert mit der Frage nach dem Sinn der Hermeneutik, der Kunst des Verstehens, antwortete der Philosoph: "Ja, wir müssen doch irgendwie miteinander leben lernen."

Der vierte und letzte Teil bedenkt schließlich "die Suche nach Konsens im Zeitalter der Globalisierung". Für die ethischen Grundprinzipien des gemeinsamen kommunikativen Umgangs jenseits unterschiedlicher Weltbilder wird Karl-Otto Apels Diskursethik ebenso auf ihre alltagsweltliche Relevanz befragt wie Jürgen Habermas’ Theorie der kommunikativen Vernunft.

Der weltethische Diskurs steckt noch in den Kinderschuhen. Er erfordert Gewaltlosigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben, Solidarität und Toleranz, Wahrhaftigkeit und Gleichberechtigung. Ohne Berücksichtigung dieser unabdingbaren Prinzipien, so Schönherr-Mann, wird auch das weltweite Miteinander der Kulturen nicht gelingen.

Der Münchener Ordinarius legt ein gut lesbares, intelligentes Buch vor, das mit den globalen Problemen ebenso vertraut macht wie mit Lösungshilfen aus dem Bereich der modernen Philosophie. Keine allzu leichte Kost, wenngleich konkrete Beispiele aus Politik und Weltgeschehen immer wieder Theorie und Praxis miteinander verbinden und aufeinander verweisen.

Rezensiert von Thomas Kroll

Hans-Martin Schönherr-Mann, Miteinander leben lernen. Die Philosophie und der Kampf der Kulturen
Mit einem Essay von Hans Küng
Piper-Verlag: München 2008
370 Seiten, 22,90 Euro