Hilfe für besonders intelligente Leute

Von Susanne Billig · 25.09.2007
Ein hoher Intelligenzquotient kann einsam machen, so mancher steht sich mit seinem Potential selbst im Weg. Das Buch "Ganz normal hochbegabt" der Diplom-Psychologin und Verhaltenstherapeutin Andrea Brackmann - eine Mischung aus Ratgeber und Lesebuch - möchte Erwachsenen helfen, sich als hochbegabt zu erkennen und ihr Potential in förderliche Bahnen zu lenken.
Als Baby schlief sie unruhig, als Kleinkind nannte man sie vorlaut. Mit fünf Jahren brachte sie sich Lesen und Schreiben bei und half ihrer älteren Schwester bei den Hausaufgaben. Die Eltern verboten es ihr: Sie würde die Schwester stören.

In der Schule tauchte sie aus Langeweile ab, las unter der Schulbank Bücher über Philosophie, Astronomie und Raumschiff Enterprise. Entsprechend durchschnittlich fiel ihr Abitur aus, das Studium nicht viel besser. Das erste Kind kam, dann das zweite. Hausfrau, Mutter, intellektuell unter-, gesellschaftlich überfordert - vielleicht wäre ihr Leben so weitergegangen, hätte man ihren Sohn in der Schule nicht als hochbegabt erkannt. Nicht aufgrund überragender Leistungen - sondern großer Probleme.

In ihrem Buch "Ganz normal hochbegabt" unterstreicht Autorin Andrea Brackmann immer wieder, wie schwierig sich die Biografien vieler Hochbegabten gestalten. Mit dem Begriff "Hochbegabung" bezeichnen Psychologen eine überdurchschnittliche Intelligenz - also die Fähigkeit, besser als die meisten anderen Menschen Zusammenhänge zu erkennen und intellektuelle Probleme zu lösen. Betroffen sind davon Menschen aller sozialen Schichten.

Feststellen lässt sich eine Hochbegabung entweder im Alltag: Wie schnell ist die Auffassungsgabe beim Lesen oder in Gesprächen? Wie komplex und vielschichtig sind Denken und Fühlen? Welche Empfindungen stellen sich bei Routinearbeiten und mangelnder geistiger Forderung ein? Eine weitere Möglichkeit sind IQ-Tests in ihren unterschiedlichen Varianten. Wer in Deutschland bei einem solchen Test einen Wert von 130 oder mehr erreicht, teilt diese Eigenschaft mit nicht mehr als zwei Prozent der Bevölkerung.

Das kann einsam machen, betont Diplom-Psychologin und Verhaltenstherapeutin Andrea Brackmann. Keineswegs ergreifen alle Hochbegabten einen Beruf, der ihren geistigen Fähigkeiten entspricht; viele stehen sich mit ihrem Potential selbst im Weg. Das Buch - eine Mischung aus Ratgeber und Lesebuch - möchte Erwachsenen helfen, sich als hochbegabt zu erkennen und ihr Potential in förderliche Bahnen zu lenken.

Dazu dienen Kontaktadressen, Tipps und Hintergrundinformationen, vor allem aber die persönlichen Lebensgeschichten von Hochbegabten. Bewusst hat die Autorin schwierige Biografien ausgewählt. Sie möchte zeigen: So lassen sich Krisen und Hindernisse bewältigen. Die eingangs erwähnte Hausfrau und Mutter etwa: Nachdem sie sich jahrelang um ihren Sohn bemüht hatte, der den Schulbesuch verweigerte, kam eine Psychologin auf die Idee, sie selbst zum IQ-Test zu schicken.

Das Testergebnis wurde für die Frau zur großen Befreiung. Ihr Verdacht, anders als andere zu sein, erhielt eine rationale und positive Erklärung. Sie hat begonnen zu schreiben - ein lange gehegter Wunsch. Je mehr sie aufblühte, umso mehr tat es auch ihr Sohn.

Andrea Brackmann hat jeder Lebensgeschichte eine Kurzanalyse angehängt, in der sie das Typische herausarbeitet: So sind es oft Frauen, die sich unterschätzen, ihre vieles Denken als Grübelei, ihre vielen Gefühle als Überempfindlichkeit interpretieren. "Mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen" - dieses Lebensgefühl teilen fast alle Hochbegabten, schreibt Andrea Brackmann.

Und ihr wichtigster Rat lautet: Hochbegabte sollten sich so annehmen und gewähren lassen, wie sie sind: mehr als andere geistig unruhig, sozial nicht immer kompatibel, mit unüblichen Lektüre- oder Beschäftigungsbedürfnissen und beruflich von dem Bedürfnis nach ständiger Veränderung und Abwechslung erfüllt.


Andrea Brackmann: Ganz normal hochbegabt. Leben als hochbegabter Erwachsener
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007, 12,90 Euro