Freitag, 29. März 2024

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G20-Gipfel und die Presse
"Eine ungeheuerliche Stigmatisierung"

Über 30 Journalisten wurde beim G20-Gipfel die Akkreditierung entzogen, Polizisten sollen eine "Schwarze Liste" mit ihren Namen erhalten haben. Datenschützer und Verbände zeigen sich entsetzt - auch weil ausländische Geheimdienste beteiligt gewesen sein könnten.

Arnd Henze im Gespräch mit Stefan Koldehoff | Artikel von Michael Borgers | 11.07.2017
    Männer unterhalten sich am 06.07.2017 im Medienzentrum für Journalisten, das anlässlich des G20-Gipfels eingerichtet wurde.
    Diesen Journalisten wurde der Zugang zum Medienzentrum auf dem G20-Gipfel gewährt. (picture alliance / Christina Sabrowsky/dpa)
    Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), erkennt einen "seltsamen Vorgang, der Fragen aufwirft". Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen" (ROG), spricht von "einer ungeheuerlichen Stigmatisierung". Für Peter Schaar, den früheren Bundesbeauftragten für den Datenschutz, ist es ein "schwerer Datenschutzverstoß".
    Hintergrund sind zwei "eng beschriebene Seiten", die am Samstag unter Polizisten "offensichtlich in größerer Auflage verteilt worden waren", wie tagesschau.de an diesem Dienstag berichtet. Auf den Papieren standen demnach die Namen von 32 Journalisten, denen die Beamten an den Kontrollpunkten den Zugang zum Pressezentrum des G20-Gipfels verwehren sollten; ihnen wurde vorab bereits eine erteilte Akkreditierung entzogen.
    Problemloser Einblick in brisante Daten
    Es sei "kein Problem" gewesen, heißt es weiter, "den Polizisten über die Schultern zu blicken und sich die alphabetisch sortierten Namen anzusehen" – und zu filmen. Auf dem Drehmaterial des ARD-Hauptstadtstudios seien "viele Namen gut lesbar".
    Parallel informierte an diesem Tag das Bundeskriminalamt via Twitter darüber, dass eine "Sicherheitsüberprüfung" durchgeführt worden sei. Bei "sicherheitsrelevanten Erkenntnissen , die gegen eine Akkreditierung sprechen", entschieden Bundespresseamt und Sicherheitsbehörden über einen "möglichen Entzug der Akkreditierung", hieß es dort. In einigen Fällen sei dies gegeben gewesen.
    Die Empörung über das Vorgehen von BKA und Bundespresseamt ist groß: "Die Liste als solche ist eine Ungeheuerlichkeit", kritisiert ROG-Geschäftsführer Christian Mihr gegenüber @mediasres. Sie stelle "de facto eine Stigmatisierung als vermeintliches Sicherheitsrisiko dar", ohne dass weitere Hintergründe erklärt würden. Hinzu komme, dass es den betroffenen Journalisten "unter solchen undurchsichtigen Kriterien" unmöglich gemacht worden sei, vor Ort noch rechtliche Schritte einzuleiten.
    "Und es ist komplett unklar, von wem das kommt", stellt Mihr die Frage nach der politischen Verantwortung. Sollten die ARD-Recherchen zutreffen, wäre das eine "weitere Eskalation".
    Einmischungen aus der Türkei und den USA?
    Der tagesschau.de-Bericht geht der Frage nach, warum Journalisten auf der "Schwarzen Liste" gelandet sind – und kommt zu dem Schluss, ausländische Behörden könnten beteiligt gewesen sein. So seien mit Chris Grodotzki von "Spiegel Online" und Björn Kietzmann von der Fotoagentur ActionPress zwei Journalisten ausgeschlossen worden, die vor Jahren kurzzeitig in der Türkei festgenommen wurden. In einem anderen Fall liegt laut ARD eine Einmischung von US-Behörden nahe.
    "Es wäre ungeheuerlich, wenn die Daten über Journalisten an Nachrichtendienste autoritärer Regime übermittelt worden wären", urteilt Peter Schaar. Auch der Deutsche Journalistenverband spricht von einem "ungeheuerlichen Skandal", sollten die Vorwürfe zutreffen.
    Die Fragen rund um datenschutzrechtliche Aspekte sieht Frank Überall im Zusammenhang mit anderen negativen Ereignissen auf dem Gipfel. Zwar haben man angesichts "gesamten Situation hohes Verständnis" für viele Vorgänge in Hamburg, betonte der DJV-Vorsitzende im Gespräch mit @mediasres. Dennoch stelle sich die Frage, warum Akkreditierungen entzogen worden seien oder es in Einzelfällen sogar offenbar zu Gewalt gegen Journalisten gekommen sei. Man werde versuchen, diese Fragen im Gespräch zu klären, notfalls auf juristischem Weg.
    Auch @mediasres wollte heute mit Regierungssprecher Steffen Seibert sprechen. Dieser kümmere sich intensiv darum, dass "alle im Raum stehenden Fragen zügig beantwortet werden können und die Öffentlichkeit dann darüber informiert wird", teilte uns das Bundespresseamt mit. Für ein Interview stand Seibert allerdings nicht bereit.
    Hören Sie hier auch Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio über seine Recherchen für den Artikel zur G20-Journalisten-Liste für tagesschau.de.