Hightech-Laufschuhe & Co.

Der Plastikmüll von morgen

08:17 Minuten
Auf einem Fußballfeld liegen mehrere Paar Sportschuhe und Badesandalen aus Plastik.
Auch Sportschuhe mit Kunststoffsohlen sind ein ökologisches Problem. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Anke Petermann · 09.04.2019
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Wenn es um Plastikmüll geht, schauen wir gern nach Afrika und Asien, auf vermüllte Strände und wilde Deponien. Doch auch wir könnten mehr tun. Etwa bei Laufschuhen mit Kunststoffsohlen. Aber da scheint für Kunden wie Hersteller zu gelten: Hauptsache funktional.
"Man fühlt, dass man mit deutlich weniger Energieaufwand läuft", so heißt es in einem Werbespot für "Infinergy".
Möglich macht das die Sportschuhsohle aus thermoplastischem Polyurethan von BASF, verspricht die Reklame. Der Chemiekonzern ist stolz auf seine Erfindung namens "Infinergy". Sie soll Lauf-Anfängern Flügel verleihen und Profis Marathon-Siege sichern: "Das ist verlustfreies Laufen", lautet das Versprechen.
Doch ganz ohne Verluste geht das nicht. Der Kult-Kunststoff mit der Super-Sohle erzeugt Abrieb, selbst wenn BASF die besondere Beständigkeit lobt. Ganz vorne beim schädlichen Plastikstaub rangieren allerdings nicht Schuhsohlen, sondern der Reifenabrieb. Auch Kunstrasen-Körnchen werden verschleppt, Baustellen und Bauschutt verursachen ebenfalls Mikroplastik-Emissionen.

Antworten des Chemiekonzerns

Bald schon dürfte die BASF-Hightech-Sohle auf dem Müllberg von morgen landen. Dafür sorgen immer kürzere Verbrauchszyklen – auch beim Auto und beim Hausbau samt Inneneinrichtung. Und dann? Bei der Produktion zählt vor allem Funktionalität. Die Frage nach der Wiederverwertbarkeit gibt BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller als rhetorische zurück:
"Viele von diesen Produkten sind natürlich auch teilweise in Einmal-Verwendungen, zum Beispiel, wie machen Sie das, wenn Sie einen Bauschaum haben an einem Gebäude – wollen Sie den von der Fassade wieder abkratzen und recyceln? Also, das sind nicht immer ganz so einfache Themen, wie das zum Beispiel bei Verpackungen ist."
Der Chemiekonzern wirbt damit, dass Polyurethan in Dächern, an Wänden und in Fußböden "durch schlankere Konstruktionsmöglichkeiten Wohnraumgewinn" ermöglicht. Ideen zum Trennen und Recyceln beim Rückbau? Vorerst noch Fehlanzeige. Detailfragen zum Thema Polyurethan will BASF derzeit nicht beantworten. Rangieren die Wiederverwertbarkeit nach Gebrauch und die Frage nach dem geeigneten Design dafür bei der Forschung und Entwicklung ganz am Ende?

Funktionalität hat Vorrang

Umweltverbände kritisieren jedenfalls, dass die Industrie mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht preisgibt, welche schädlichen Weichmacher und Stabilisatoren die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen behindern. Dirk Voeste und Andreas Kicherer sind bei BASF für Nachhaltigkeit zuständig.
"Nur zu sagen: Lassen sich Produkte einfach und besser rezyklieren, wäre zu kurz gesprungen, man muss es in der Gesamtheit betrachten", sagt Dirk Voeste. Und Kicherer ergänzt: "Die meisten Anforderungen an Kunststoffe sind natürlich in der Nutzenphase. Wenn sie im Auto sind, müssen sie langlebig sein, die müssen UV-stabil sein, die müssen leichtgewichtig sein, damit das Auto leicht wird. Sie müssen bei Häusern gut dämmen, müssen lange halten. Das heißt, die ganzen Materialien, die zusätzlich dazukommen, wie Additive, die sind ja nicht in dem Sinne schädlich, sondern haben einen bestimmten Zweck in der Nutzenphase, damit das Produkt dann auch so lange hält. Es kann natürlich sein, dass das einem mechanischen Recycling teilweise entgegen steht, das ist richtig. Wenn Sie die aber jetzt vorher rausnehmen würden, hätten sie in der Nutzenphase was Schlechteres."

Die Hälfte des Plastikmülls wird verbrannt

Der Rückstoß-Effekt der Laufschuhe mag, wie beschworen, hervorragend sein, die Optik der Auto-Mittelkonsole aus Polyurethan bestechend – doch am Ende des Lebenszyklus werden diese Kunststoffe zum größten Teil verbrannt, "thermisch verwertet", nennt es die Industrie. In Deutschland vorschriftsmäßig, anderswo in der Welt nicht unbedingt. Der Umweltwissenschaftler Andreas Gies kritisiert:
"Wir sind nicht in der Lage, Technologien anzubieten, die zum Beispiel auch Ländern, die sich in der Entwicklung befinden, ermöglichen, Kunststoffe wieder zurückzuholen. Das heißt, wir leben hier in einem Schlaraffenland, versorgen aber die Welt mit Problemen."
Im Pilotversuch speist BASF in den sogenannten Dampfspaltern am Standort Ludwigshafen ein Öl ein, das eine Firma in Spanien aus Verpackungsabfällen zurückgewinnt - bei Temperaturen bis 700 Grad. Noch ersetzt dieses Pyrolyseöl in der Basischemikalien-Produktion nur verschwindend geringe Anteile von fossilem Rohbenzin. Und das Bundesumweltministerium erkennt das Verfahren nicht als Recycling an. Denn der Kunststoff bleibt nicht erhalten, sondern wird in Rohstoffe zurückverwandelt.

Widerstand gegen Plastiksteuer

Um Plastikmüll spürbar zu reduzieren, fordert Andreas Gies, bis zur Pensionierung Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, eine Plastiksteuer, "vorgeschlagen von der Europäischen Kommission, abgelehnt von der deutschen Regierung, abgelehnt von der deutschen Umweltministerin".
Und, kaum verwunderlich, auch von der europäischen Kunststoffbranche. BASF-Vorstandschef Brudermüller räumt allerdings ein:
"Wenn man die Problematik der Verschmutzung der Ozeane sieht, dann müssen wir das angehen. Dass natürlich ein Chemie-Unternehmen Produkte verkaufen will, ist auch klar. Aber das muss nicht immer nur in der Menge gehen, sondern das kann durchaus auch in Innovationen, in besseren Produkten gehen. Und ich glaube, ein Thema der BASF war auch schon immer 'mehr mit weniger', und das wird dann vielleicht zu Kunststoffen führen, die ein ganz anderes Profil haben, noch viel leistungsfähiger sind, damit auch einen besseren Preis haben, und damit kann auch eine BASF wachsen."

Hotspots der Verschmutzung

Dass die gesamte Branche ihr schmutziges Problem angeht, will sie mit der "Allianz gegen Plastik-Müll in der Umwelt" zeigen. Rund 30 Konzerne, neben den deutschen Kunststoff-Herstellern BASF und Covestro auch der Konsumgüter-Produzent Henkel, haben diese globale "Alliance to End Plastic Waste", kurz AEPW, geschmiedet.
Angeschwemmter Müll an einem Strand in Kambodscha
Vor allem in Afrika und Südost-Asien wie hier in Kambodscha türmt sich ungeregelter Plastikmüll.© imago/Valentin Wolf
Das Firmennetz will das unkontrollierte Entsorgen von Kunststoffen stoppen und 1,5 Milliarden Dollar bis 2024 investieren, hauptsächlich in Afrika und Südost-Asien, den fernen Hotspots der Plastik-Verschmutzung. Dort will die Allianz Städten und Regierungen helfen, Abfall besser zu erfassen, zu sortieren und zu entsorgen. Und wenn schon nicht zu recyceln, dann wenigstens als Brennstoff zu nutzen. Wichtig dabei, so Voeste von BASF:
"Die Zusammenarbeit über Wertschöpfungsketten hinaus innerhalb der Industrie. Denn um ganz einfach bei Kreislaufwirtschaft den Kreislauf herzustellen, müssen alle irgendwie zusammenarbeiten."

"Responsible Care" mit Verspätung

Bewundernswertes Engagement oder Greenwashing aus Sorge ums angekratzte Kunststoff-Image? Umweltwissenschaftler Gies zeigt sich wenig beeindruckt:
"Seit Jahren wirbt die deutsche und die europäische chemische Industrie mit dem Slogan 'responsible care', verantwortlich für die Produkte zu sorgen, und jetzt fangen sie an, mit einer globalen Initiative verantwortlich für ihre Produkte zu sorgen – der Hit von vor 20 Jahren? Ich glaube, da gibt es noch ein bisschen Nachbesserungsbedarf."
Von der unendlichen Energie fürs Produktdesign, findet Rolf Buschmann, Abfallexperte beim Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND, lasse sich etwas abzweigen - für die Anstrengung, "die Materialien eindeutiger zu machen und relativ gut recycelbare Materialien zu verwenden".
In lösbaren Verbünden, außerdem sortenrein, mit sauberen, transparenten Rezepturen. So jedenfalls der Traum vom ökologischen Design.
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