High-Tech

Musik aus der Kleidung

Von Christian Grasse · 13.10.2014
Musik hören mit dem Schal oder eine Jacke, die jeden Tag anders aussieht? Die wearable-electronics-Konferenz in Berlin präsentiert das Zusammenwachsen von Elektronik und Textilie - und zeigt, wie ein Tänzer den Klang einer Brücke verändern kann.
Nähmaschinen rattern, Lötkolben zischen, bunte Stofffetzen werden zugeschnitten, Platinen und Kabel verklebt. Neugier liegt in der Luft. Im vierten Stock des Berliner Co-Working-Space Betahaus sitzen circa 50 junge Menschen an Basteltischen, verteilt in fünf kleinen Räumen. Mitten drin ist Thomas Gnahm. Er entwickelt mit seinem Künstler- und Designer-Kollektiv Trafo Pop LED-Jacken und will Berlin zum künstlerischen Forschungszentrum für tragbare Elektronik machen.
"Wir haben Leute ausgesucht für unser Festival, die an interessanten Konzepten arbeiten, die umgesetzt sind und funktionieren, aber weniger uns gerichtet an eine kommerzielle Vermarktbarkeit der Produkte."

Da wäre zum Beispiel der Solo Disco Scarf. Ein Schal, der von einer handvoll Workshopteilnehmern zum interaktiven Musik-Player umfunktioniert wird. Die in London lebende Ingenieurin Becky Stewart hat den Disko-Schal entworfen. Sie zeigt mir ihren orange-grünen Prototyp, der an einer mit Styropor auskleideten Wand hängt.
"Auf der einen Seite des Schals kann man Telefon oder MP3-Player anstecken. Auf der anderen Seite des Schals ist ein Kopfhörer-Anschluss befestigt. In der Mitte sieht man einen Knopf, mit dem man die Audio-Kanäle mixen kann. Das besondere daran ist der Faden. Der ist leitfähig. In dem Garn ist Silber eingearbeitet und damit fließt ein geringer Strom durch den Schal. Normalerweise bräuchte man für so etwas eine Leiterplatte mit Kupferbahnen, mit unserem Spezialfaden können wir den Stromkreis einfach mit der Nähmaschine in den Stoff einnähen."

Einen Stromschlag muss man nicht fürchten, versichert mir Becky und lacht. Wahrscheinlich hat sie diese Frage nicht zum ersten Mal gehört.
Ich stecke das Audiokabel, das in der linken Seite des Schals vernäht ist, in mein Telefon und Becky setzt mir einen Kopfhörer auf. Ich starte die Musik und sie befestigt einen Knopf in einem von drei Knopflöchern im Schal. Der Solo Disco Scarf von Becky Stewart ist eine simple Version eines DJ-Pults, eingebaut in einen Schal. Eine Spielerei. Warum das Ganze, will ich von ihr wissen.
"Es geht mir vor allem darum, Leuten beizubringen was Wearable-Technology bedeutet und welche Techniken dahinter stecken. Der Markt dafür wächst rasant und jeder sollte darüber Bescheid wissen. Vor ein paar Jahren hatte kaum jemand Zugang zu Stoffen, die elektrisch leitfähig waren, viele wissen bis heute nicht dass so etwas überhaupt existiert. Man kann Hemden mit Sensoren vernähen, die dank solcher Fäden die Herzfrequenz messen können. Das Potenzial dieser Technologie ist einfach riesig."
Jacken mit Bildschirmen und Leuchtdioden
Dass Elektronik und Textilie zusammenwachsen, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Schließlich werden Computer immer kleiner und stromsparender. Die Vernetzung der Welt ist in vollem Gang und macht auch vor dem Kleiderschrank nicht halt.
Thomas Gnahm: "Das reicht von Funktionswesten für Feuerwehrleute, die der Zentrale übermitteln, wie ist der Zustand, der körperliche, von diesem Feuerwehrmann, wie ist der Puls, wie ist die Temperatur. Das wird alles automatisch ermittelt. Es geht über Schrittzähler, über diesen Lifestyle-Charakter. Das heißt im Prinzip: Alles was ich am Körper trage, teilt den Leuten eine gewisse Message über mich mit. Und da entstehen natürlich auch neue Fragen: Was ist mit den persönlichen Daten. Die Jacke weiß plötzlich wo ich bin und so weiter. Aber andererseits auch neue Möglichkeiten."
Jacken, die mit kleinen Bildschirmen und Leuchtdioden ausgestattet sind und jeden Tag anders aussehen. Je nach Stimmung, Zeit oder Ort zum Beispiel. Oder so genannte Daten-Handschuhe, die per Funk mit einem Computer verbunden sind und damit zum Allzweck-Steuergerät werden. All das erforschen die Künstler, Bastler und Ingenieure auf dem Wear It Festival. Die Definition von Körper und die Rolle von Kleidung und Mode muss offenbar neu verhandelt werden.
Becky Stewart: "Die Verbindungen zwischen Menschen könnte zunehmen. Wir werden bald nicht mehr nur über Bildschirme in Telefonen miteinander kommunizieren, sondern auch über unsere Kleidung und über Objekte, die uns umgeben."
Kleidung wird durch Elektronik zum Kommunikationsmedium. Diese These hat Becky Stewart mit einem internationalen Künstlerteam in New York untersucht. Human Harp, menschliche Harfe, heißt das spektakuläre Musik-Projekt. Dafür wurden Kontaktmikrofone und fest gespannte Seile an der Brooklyn-Bridge befestigt.
Der Klang der Brücke landet dann beim Menschen. Und zwar in einem Anzug, der wie ein Korsett die Saiten der Harfe am Körper zusammenführt. In dem Korsett steckt eine Tänzerin. Sie empfängt die klanglichen Schwingungen der Brücke. Und sie kann den Sound verändern, indem sie tanzt.
Mensch, Kleidung und Umwelt werden eins. Die Utopie der tragbaren Elektronik lässt sich zumindest in der Kunst schon heute umsetzen.
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