"Herzerlfresser" in Leipzig

Trashig, manierierend, ermüdend

Das Schauspiel Leipzig
Das Schauspiel Leipzig versucht auch bei "Herzerlfresser" wieder den Spagat zwischen Autoren- und Regietheater © dpa / picture alliance / Sebastian Willnow
Von Bernhard Doppler · 20.11.2015
Gordon Kämmerer inszeniert den "Herzerlfresser" am Schauspielhaus in Leipzig als "Planet der Affen"-Remake. Das ist erfrischend, fordert aber viel von den Schauspielern - und erstickt am Ende die Musik.
Der "Herzerlfresser" ist eine historische Gestalt aus der steirischen Heimat des Dramatikers: Der Kannibale Paul Reininger, der im 18. Jahrhundert sechs Frauen tötete und ihnen das Herz herausriss, weil er glaubte und hoffte, mit dem siebten verzehrten Herzen unsichtbar zu werden. Er wurde vorher gefasst, zu Tode verurteilt und von Kaiser Joseph II zu lebenslang begnadigt.
Der Autor Ferdinand Schmalz verlegt das Stück in die Gegenwart. Als "Herzstück" hat es die Eröffnung eines modernen Einkaufszentrums, doch das Zentrum liegt nicht nur abseits und auf Morast, auch der historische Herzerlfresser scheint dort herumzuspuken. Zwei Frauenleichen ohne Herz sind entdeckt worden und der Bürgermeister fürchtet einen Imageschaden für sein politisches Herzensanliegen.
Wie sonst keine andere deutsche Bühne hat sich das Leipziger Schauspielhaus unter Enrico Lübbe als Autorentheater hervorgetan: Zwölf Uraufführungen kamen allein in den beiden letzten Spielzeiten heraus. Ferdinand Schmalz wurde hier mit "Am Beispiel der Butter" entdeckt, "Herzerlfresser" ist sein drittes Stück (nach "Dosenfleisch" als Koproduktion von Wiener Burgtheater und Deutschem Theater Berlin) und ein Leipziger Auftragswerk.
Gleichzeitig setzt das Schauspiel Leipzig aber auch auf selbstbewusstes eigenständiges Regietheater. Nicht immer geht das gut aus. Der junge und bereits sehr erfolgreiche Regisseur Gordon Kämmerer lässt Schmalz' Volksstück in einer Welt ausschließlich von Affen spielen (Kostüme Josa David Marx). Die Schauspieler lösen das mit imponierender Energie und viel spielerischem Witz, und dennoch: Die trashige manierierte Stilisierung ermüdet.
Autor Schmalz schien zufrieden
Kämmerers Inszenierung auf dem "Planet der Affen" steht geradezu konträr zur der Leipziger Inszenierung von Cilli Drexels "Am Beispiel der Butter", mit der Schmalz als Dramatiker eingeführt und als eine Art Volksstück-Autor geerdet wurde. In der Tat könnte man nämlich Figuren wie Polizist, Fußpflegerin, Bürgermeister oder liebesbedürftigen Mann vom Wachdienst beinahe auch in einem der schwarzen Volksstücke von Ödon von Horvath finden, wobei die Bühnenorte: Kleine Bahnhofskneipe ("Am Beispiel der Butter"), Autobahnraststätte ("Dosenfleisch") den Reiz ausmachen und auch nun das Fitnessstudio eigentlich so ein Ort wäre.
Doch auch die musikalische Qualität des Textes scheint durch die Affenakrobatik verkauft und kommt wenig zum Blühen. Medizinisch, philosophisch und kulinarisch spielt Schmalz nämlich sehr bravourös mit Worten, so dass sich plötzlich auch existentielle Abgründe öffnen, die übrigens vermutlich auch den kannibalischen Herzerlfresser interessiert haben mögen: Das Herzzentrum, das Herz verlieren, das Herz in die Hose fallen lassen. Was ist das Geheimnis des Herzens? Die Fußpflegerin Irene (Max Thommes) wiederum schließt vom Fuß auf die "Verfasstheit" der Person.
Beim sehr freundlichen Schlussapplaus schien allerdings Autor Ferdinand Schmalz durchaus zufrieden. Er kann auch gelassen sein: "Der Herzerlfresser" wird bereits am 28. November in einer neuen, womöglich ganz konträren Produktion (Regie: Ronny Jakubasch) am Deutschen Theater Berlin zu sehen sein.
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